Zschäpe-Prozess Vater von NSU-Opfer beantragt Videoübertragung

Ismail Yozgat, dessen Sohn vom NSU ermordet wurde: Gerechtes Verfahren bekommen
Foto: Uwe Zucchi/ dpaDen Tod seines Sohnes Halit hat Ismail Yozgat nicht verwunden. Halit Yozgat ist das neunte und jüngste Opfer der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Der 21-Jährige wurde im April 2006 in seinem Internetcafé in Kassel erschossen, er verblutete in den Armen seines Vaters.
Die, die seinen Sohn getötet haben sollen, sind tot. Doch ihre mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe sowie mutmaßliche Helfer der Terrorzelle sind angeklagt, an diesem Mittwoch sollte ursprünglich der Prozess vor dem Oberlandesgericht München (OLG) beginnen. Ismail Yozgats Rechtsanwälte Thomas Bliwier, Doris Dierbach und Alexander Kienzle hatten für den Auftakt geplant, einen Antrag zu stellen: Sie wollen, dass die Hauptverhandlung in einen weiteren Saal übertragen wird, aus dem wiederum mit einem sogenannten Backchannel ebenfalls zurückübertragen wird, was sich in diesem Saal abspielt.
Da der 6. Strafsenat den Prozess verschoben hat, um die umstrittene Vergabe der Plätze im Saal neu zu regeln, beanstanden Yozgats Anwälte die Sitzungsverfügung nun über den Postweg und haben dem OLG den Antrag zugestellt, damit er in die aktuellen Überlegungen einbezogen wird. Es ist der erste Antrag auf Videoübertragung.
Es gehe nicht um eine Art Public Viewing, die vergleichbar wäre "mit einer Übertragung in ein Fußballstadion, bei der 60.000 Zuschauer grölend den Prozess verfolgen", sagt Strafverteidiger Kienzle, "sondern um eine Übertragung in einen anderen Saal im Gerichtsgebäude". Diese Art von "Saalerweiterung" hat der Senat bislang kategorisch abgelehnt.
Zu groß sei das Risiko, dass ein späteres Urteil einer Revision nicht standhalte, sagte Margarete Nötzel, Richterin und Leiterin der Justizpressestelle am OLG München. Der Fokus liege "auf der Durchführung des Verfahrens und der Aufarbeitung der mutmaßlichen Taten". "Es geht darum, ob sich die Angeklagten schuldig gemacht haben oder nicht und dass sie ein gerechtes Verfahren bekommen - und ein Urteil, das keinen Revisionsgrund liefert. Das ist unsere Aufgabe", so Nötzel.
Ismail Yozgat wartet bis heute auf Antwort vom OLG
Ismail Yozgats Anwälte sehen darin kein Hindernis: Solange die Übertragung von Ton- und Bildaufzeichnungen justizinterne Zwecke verfolge und eine Kontrollmöglichkeit im Rahmen der Sitzungsleitung bestehe, sei dies laut Paragraf 169 Satz 2 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) "ausdrücklich zulässig", heißt es in ihrem Antrag.
"Der stark eingeschränkte Zugang der Öffentlichkeit wird verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht", schreiben die Juristen. Der eigens für diesen Prozess umgebaute Schwurgerichtssaal A 101 umfasst 100 Plätze für die Öffentlichkeit, die je zur Hälfte an Zuschauer und Medienvertreter vergeben werden sollen. Das seien viel zu wenige, sagt Rechtsanwalt Kienzle. Die Debatte in den vergangenen Wochen habe die Dimension des öffentlichen Interesses noch einmal belegt.
Es handele sich um ein "rechtshistorisch bedeutsames Verfahren von in der bisherigen Rechtsgeschichte der Bundesrepublik einmaliger Tragweite", steht in dem Antrag. Nach den "verfassungsrechtlichen Vorgaben an ein rechtsstaatliches Verfahren" müsse dem gewaltigen Informationsinteresse der Öffentlichkeit daher durch "Herstellung einer angemessenen Öffentlichkeit im Sinne des Paragrafen 169 Satz 1 GVG Rechnung getragen werden". Eine Übertragung in einen anderen Sitzungssaal oder auf Leinwände könne dies auffangen, die erforderlichen Einrichtungen seien vorhanden, der technische Aufwand würde sich in "engen Grenzen" halten.
Die Beschränkung der Öffentlichkeit auf jeweils 50 Plätze für Zuhörer und Medienvertreter lasse vermuten, "dass das Gericht der vorliegenden Sache nach wie vor nicht das angemessene öffentliche Gewicht bemisst", heißt es in dem Antragsschreiben. Und sie verstärke die Zweifel von Ismail Yozgat, dessen Sohn aus rassistischen Motiven getötet wurde, an "einer allen beteiligten Interessen gerecht werden wollenden gerichtlichen Aufarbeitung der Mordtat sowie der weiteren angeklagten Straftaten".
Ismail Yozgat hatte es bereits "tief getroffen", dass türkische Prozessbeobachter zuerst keinen sicheren Platz in der Hauptverhandlung haben sollten. Er verfasste ein Schreiben an das Gericht und forderte es auf, seine Entscheidung zu überdenken. Bis heute hat er keine Antwort bekommen.