Wiesn-Blog Gekommen, um sich zu blamieren

Hoch die Maß: Auf der Wiesn lassen viele Firmen die Sau raus
Foto: MICHAEL DALDER/ REUTERSNirgends kann man sich so blamieren wie im Festzelt auf dem Oktoberfest. Manchen mag das egal sein, "kennt mich ja keiner". Doch wie ist es, wenn man die anderen schon am Montag wiedersieht? Am Kaffeeautomaten? Im Meeting? In der Kantine?
Ein großer Teil der reservierten Plätze auf dem Oktoberfest ist von Unternehmen gebucht. Firmen laden ihre Kunden ein, Abteilungen gehen geschlossen aufs Oktoberfest.
Firmen feiern gern etwas mehr für sich, oben auf den Galerien der Zelte, die der Pöbel ohne Reservierungsbändchen meistens nicht betreten darf. Oder in den sogenannten Boxen am Rande des Zeltes, in denen es gesitteter zugeht als im Mittelschiff. Das Mittelschiff ist der brodelnde Kessel eines jeden Zeltes, aber auch hier darf teilweise reserviert werden. Und auch das tun Unternehmen. Kaliber wie Siemens buchen gleich ganze Blöcke, Anzugträger werden zu Trachtlern.

Oktoberfest 2014: One, two, g'suffa
Ich sitze an einem Firmentisch auf der Galerie. Die Bedienung hat mich hergelassen, weil die, die hier eigentlich sein sollten, zu spät dran sind, und irgendwem möchte sie endlich ihr Bier verkaufen. Als ich gegessen und getrunken habe und gerade gehen will, treffen die überdrehten, geschniegelten Kunden eines Beratungsunternehmens ein, für die der Tisch gedacht war. Sie waren noch kurz in einem anderen Zelt, sagen sie, und ich soll ruhig sitzen bleiben. Ob ich etwas trinken möchte? Ich bleibe noch etwas.
Die Kunden sind schon länger unterwegs und tanzen jetzt mit ein paar Damen, die ihre Dirndlblusen vergessen haben, auf der Galerie umher. Und ich frage mich, ob diese Tänzerinnen in den hohen Hacken den treuen Kunden genauso zur Verfügung gestellt wurden wie die Verzehrgutscheine, die aus ihren Lederhosentaschen quellen. Die feinste Fischplatte, die das Zelt zu bieten hat, wird angeliefert, kaum einer rührt sie mehr an. Ich gehe.
Im Marstall-Zelt inspiziere ich die Aufkleber. Medienunternehmen, Anwaltskanzleien. Eine Immobilienfirma erstreckt sich über zehn Tische. Es ist schon später am Abend, und die Reihen sind ausgedünnt. Diejenigen, die einen sitzen haben und nicht das Gespött des Jahres im Büro sein wollen, sind heimgegangen. Der Chef, der die Praktikantin anbaggert, der stille Kollege, der nach zwei Maß auf dem Tisch einschläft, der Vorgesetzte, der wie ein Derwisch tanzt und dabei von der Bank fällt: Das sind die Geschichten, über die noch Monate später gekichert wird.

Oktoberfest: Jetzt schlägt's Bier!
Es gilt, nicht über die Stränge zu schlagen, was bei diesen Einladungen nicht jedem gut gelingt. Der lüsterne Hagere am Anwaltstisch, eigentlich bestes Rentenalter, der mich dicht zu sich zieht und mir beinahe ins Ohr sabbert, wird dafür hoffentlich später mit Lästereien in seiner Kanzlei bestraft. Ekelhaft.
Da werde ich plötzlich am Arm gepackt und auf eine andere Bank gezogen. "Das ist die größte Kirmes, die ich je gesehen habe", sagt Kolja aus dem Ruhrgebiet begeistert. Er ist Inhaber eines Transportunternehmens und wurde von seiner Stuttgarter Bank eingeladen, genauso wie die Leute an den umliegenden acht Tischen auch. Kolja und sein Geschäftspartner haben Sepplhüte auf dem Kopf und kaufen gerade einer Wiesn-Fotografin Bilder ab, ein Zehner das Stück. Mehr Geld müssen sie nicht hierlassen, Stuttgart zahlt.
Der Bankier aus dem Ländle trägt einen Filzherz-Anstecker mit dem Wort "Chef" auf der Brust, zwischen den Tischen geht eine Bedienung umher und verteilt kleine Schnapsflaschen, einige Exemplare stehen bereits geleert auf den Tischen.
Im Wettstreit um die größte Blamage siegt heute ein Landwirt, der mehrere Höfe in der Schweiz besitzt. Das gestandene Mannsbild tanzt mit Hasenohren auf dem Kopf in den Gängen, Halt suchend an vorbeilaufenden Frauen. Kolja und sein Partner zeigen ihn mir kichernd.

Oktoberfest 2014: Und keiner bleibt allein
Ich bin allerdings nicht beeindruckt, ich habe schon ganz andere Ausfälle gesehen. Jemand mit Möet-Kübel unter dem Arm kommt zu unserem Tisch, kurz darauf prostet der Bankier seinen Kunden zu. Sie haben einen lustigen Abend, er hat einen guten Job gemacht. Kolja spielt mit einem blinkenden Plastikeiswürfel, den er aus dem Kübel gefischt hat und fragt höflich, ob ich noch mitkommen möchte an die Bar ihres Hotels.
Möchte ich nicht. Nicht meine Firma, nicht meine Feier. Ein Münchner Kindl weiß, wann Feierabend ist. Meistens.