Familienalbum Freiheit, 1951

Hartmut Beyer, 77:
Es ist Kriegsschrott, in dem wir hier paddeln: sogenannte Abwurftanks. Sie erhöhten die Reichweite von Kampfflugzeugen. Für meinen besten Freund (im hellen Hemd) und mich wurden sie zum Boot. Wir waren Flüchtlingskinder und lebten in Behelfsheimen in Haldensleben in Sachsen-Anhalt, meine Familie stammt aus Danzig. Wir hatten kein Fahrrad, keinen Fußball, keine Bücher, kein Fernsehen; unser Spielzeug war simpel. Zum Glück waren es bis zur Ohre, so heißt der Fluss, nur hundert Meter. Ältere Jungen hatten die zwei bis drei Meter langen Blechbehälter aus dem Wasser geborgen. Damit wir sie als Boote benutzen konnten, musste eine Öffnung ausgeschnitten werden, der Boden wurde dann vorsichtig platt geklopft, mit dem Hammer oder mit groben Holzpflöcken. Die kleinen Risse oder Löcher, die dabei entstanden, überpinselten wir mit Teer und klebten in mehreren Schichten Sackfetzen darauf. Die Paddel bestanden aus Besenstielen mit Holzbrettern daran. In unserem Boot hatten wir kleine Sandsäcke, um es zu stabilisieren. Es war nicht einfach, in so ein Ding einzusteigen und damit herumzupaddeln. Es kippte schnell um. Wir hatten aber bald den Bogen raus und machten mit drei oder vier Booten Fahrten in die Natur. Wir waren eine Truppe von sechs bis acht Jungen, die am Wochenende gleich nach dem Frühstück loszog, abends kamen wir zurück, und kein Mensch kümmerte sich darum, was wir draußen trieben. Ab 1. Mai gingen wir barfuß, egal, wie das Wetter war. Schwimmen lernten wir praktisch von selbst, wir tobten im Wasser, und plötzlich konnten wir es eben. Wir spielten Völkerball mit den Mädchen, wir holten Fische aus dem Wasser, Rotfedern, Aalquappen, auch Aale. Die hatten sich manchmal in Schrottrohren verkrochen, man hielt die Öffnungen zu und hatte den Aal. Die Eltern freuten sich, es war ja noch die Zeit der Lebensmittelkarten. Es war schön, wenn es mal etwas Besonderes zu essen gab.
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