Ein Jahr Papst Franziskus Der nette Weltpfarrer
Auch seinen ersten Jahrestag, den 13. März, feiert Papst Franziskus natürlich ganz eigen: Er packt seine Kurienkardinäle und andere geistliche Herren, 80 an der Zahl, in einen großen Bus und fährt fünf Tage zum gemeinsamen Fasten und Beten in ein einsames Exerzitienhaus, 30 Kilometer jenseits der vatikanischen Landesgrenze. Dienstpersonal und Assistenten darf keiner mitnehmen, das karge Zimmer muss jeder selber zahlen. Ach, das Leben im Kirchenstaat war schon angenehmer!
Seit genau einem Jahr heißt der Papst Franziskus - und mit ihm hat sich das Leben bei Hofe radikal geändert: Man trägt schlichten Look statt Ornat in Gold und Seide, geht zu Fuß oder fährt im Bus statt im Dienstwagen. Consultants aus München und McKinsey-Experten untersuchen vertrauliche Akten. Die herrschaftlichen päpstlichen Gemächer sind dunkel und leer - der Hausherr wohnt lieber im vergleichsweise luxusfreien Gästehaus. Da sei er den Menschen näher, meint er.
Die Menschen revanchieren sich mit Begeisterung und Bergen von Briefen, meist mit der Bitte um Hilfe. Mit manchen telefoniert Franziskus, wenn er gerade ein paar Minuten Zeit hat. Eine 80-jährige Witwe die ihren Sohn verloren hat, ruft er seit einer Weile wöchentlich an. "Ich mache den Pfarrer", sagte er im Interview mit der italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera", "das gefällt mir".
"Rasch, rasch"

Binnen eines Jahres wurde aus Jorge Mario Bergoglio, einem international eher unbekannten Bischof aus Buenos Aires, der "Weltpfarrer" Franziskus. So taufte ihn sein Sekretär Alfred Xuereb. Der neue Papst wurde quasi über Nacht zum Superstar. Bei seinen Auftritten drängen sich die Menschen auf dem Petersplatz. Franziskus habe durch seine Amtsführung, so der Wiener Kardinal Christoph Schönborn, allerorten gleichsam einen "Schock der Authentizität" ausgelöst.
Dabei habe er überhaupt kein Konzept für das hohe Amt gehabt, gestand Franziskus. "Mit diesem Übergang von einem Bistum ins andere" habe er ja nicht gerechnet. Also griff er das auf, was schon vor dem Konklave kritisch diskutiert worden war. Und im übrigen "warte ich darauf, dass mir der Herr die Inspiration gibt".
Da diese bekanntlich nicht vorhersehbar ist, überrascht Franziskus seine Umgebung tagtäglich - nicht immer zu deren Wohlgefallen. Spontan beschloss er nach Lampedusa zu fliegen, um dort "die toten Flüchtlinge zu beweinen" und "mit den Überlebenden zu sprechen". Seine Entourage muss alles "rasch rasch" regeln. Spontan fällt ihm ein, den Gottesdienst in einer x-beliebigen römischen Kirche zu zelebrieren, Sicherheitsbedenken sind ihm ebenso gleichgültig wie das Verkehrschaos, das seine Fans verursachen. Ständig hat er Besuch - und neue Ideen. Die verkündet er gern öffentlich, seine Berater erfahren es aus den Medien.
Manchen ist der alte Muff lieber
Frischen Wind hat er in die verstaubte Kirche gebracht. Aber manchen dort ist der alte Muff lieber. "Es gibt im Vatikan auch Strömungen", offenbarte der deutsche Kardinal Walter Kasper diese Woche im Radio-Vatikan-Interview, "die wollen das, was der Papst will, sabotieren". Kein Wunder, die alten Machtstrukturen zerbröseln unter dessen Regiment.
Andere Kritiker zweifeln, ob jenseits der Worte auch Taten stehen. Franziskus gründete zwar mehrere Kommissionen. Aber welche der großen Probleme, fragen sie, habe er denn schon richtig angepackt?
- Die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals? Die brachte schon Vorgänger Benedikt XVI. auf den Weg. Und es gibt noch viel zu tun, wie die Uno unlängst kritisierte.
- Der Umbau der skandalträchtigen Vatikanbank zu einer schlichten Spar- und Girokasse des Kirchenstaats? Auch das ist vom Vorgänger in Auftrag gegeben worden, Franziskus verschaffte dem Vorhaben freilich neue Durchsetzungskraft. Und er installierte neue Finanzkontrollgremien.
- Der kirchliche Umgang mit Geschiedenen? Dazu hat der Papst zwar eine Diskussion eröffnet, aber sogleich gewarnt, es sei "ein langer Weg, den die Kirche zurücklegen muss".
- Der Streit um die Geburtenkontrolle? Da will Franziskus weniger die starre Lehre der Kirche ändern, als den Umgang mit den "Sündern". Nach der Devise: mehr "Barmherzigkeit und Aufmerksamkeit für die konkreten Lebenslagen".
"Barmherzigkeit" ist das Schlüsselwort zum Verständnis dieses Papstes. Er ist kein Revolutionär, er will weder die Welt noch die katholischen Dogmen umstürzen, er will sie nur menschlicher machen. Nicht die Definition der Sünde, sondern den Umgang mit dem Sünder will er ändern. Für manche Katholiken wird das zu wenig sein. Für andere ist es schon zu viel.
Nach seiner scharfen Kapitalismuskritik empörten sich US-amerikanische Milliardäre über den päpstlichen "Marxismus" und stellten Spenden in dreistelliger Millionenhöhe in Frage. Unverzüglich versicherte der Erzbischof von New York, Kardinal Timothy Dolan, dass der Papst nicht nur Armen zugetan sei. "Er liebt auch die reichen Leute".