Gestorben Peter Pulzer, 93

Die wohl originellste Antwort auf die Frage, warum die alte Bundesrepublik sich mit Veränderung schwertat, stammte von dem großen, in Oxford lehrenden Politikprofessor: weil sie eine »stille Revolution« hinter sich habe – und nichts sei konservativer als eine erfolgreiche Revolution. Pulzer spielte auf den Wandel nach 1945 an. Das Erreichte wollten viele nach zwei Weltkriegen, Holocaust, Flucht und Vertreibung bloß nicht infrage stellen. Der brillante, zugewandte Gelehrte kannte die Deutschen. In der Reichspogromnacht 1938 hatten Nazis die elterliche Wohnung in Wien geplündert. Monate später wanderte die Familie nach Großbritannien aus. Pulzer studierte an der Universität Cambridge Geschichte und machte Karriere als Antisemitismusforscher und Experte des britischen Parteiensystems. Dieses werde von Klassenzugehörigkeit bestimmt, alles andere sei nur Dekoration – insbesondere dieses Urteil Pulzers aus dem Jahr 1967 wurde zum Klassiker. Kanzler Helmut Kohl schätzte später seine Mahnung, die deutsche Historie nicht rückwärts zu lesen, also alles auf das »Dritte Reich« hin zu deuten. Pulzer bezweifelte zugleich, dass es den Deutschen gelingen werde, so bald aus dem Schatten Hitlers zu treten. Die Last der deutschen Geschichte schließe »eine Freisprechung wegen guter Führung aus«. Peter Pulzer starb am 26. Januar in Oxford.