Peter und der Wolf
Der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland steht vor einem Beet aus roten Geranien und guckt in die Luft. Er sieht eine Landschaft voller Frieden, die Zugspitze, blauen Himmel, grüne Wälder. Dann kommen die Hubschrauber.
Es sind amerikanische »Black Hawks«, wie man sie aus dem Irak-Krieg kennt, vier Stück hintereinander. Man kann Männer in Tarnanzügen erkennen, die aus geöffneten Luken nach unten sehen, die Hubschrauber kommen immer tiefer, dann fallen sie auf die Erde, genau vor das Geranienbeet, wo Peter Struck noch immer steht, mit leicht geöffnetem Mund. Es sieht aus wie ein Angriff.
Im letzten Hubschrauber sitzt Donald Rumsfeld. Als Rumsfeld landet, dreht sich Struck um. Vielleicht hofft er, dass Rumsfeld ihn nicht sieht.
Auf der Wiese warten über 100 Journalisten, mit Kameras und Fotoapparaten. Man darf heute Bilder machen. Das hier ist auch eine Chance. Peter Struck dreht sich wieder in die andere Richtung und geht los, seine Hände liegen auf der Hosennaht.
Es ist kurz nach zehn am vergangenen Mittwoch; in Garmisch-Partenkirchen geht es darum, noch einmal klar zu machen, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis repariert ist. Bevor Donald Rumsfeld ankam, sagte Peter Struck, dass man jetzt nur noch nach vorn gucken werde. Das heißt, eigentlich sagte er das nicht, er brummte es eher. Er klang nicht sehr überzeugt. Struck weiß nie so genau, was Rumsfeld gerade mit ihm vorhat.
Bevor es den Krieg im Irak gab, sagten sie »Peter« und »Don« zueinander. Struck sagte, mit dem Don könne er gut. Nach dem Krieg musste Struck nach Washington, um die Temperatur zu fühlen. Rumsfeld sprach Struck mit »Mister Minister« an, und Struck sagte »Mister Secretary«. Rumsfeld wollte keine gemeinsamen Fotos mit Struck, er behandelte ihn wie den kleinen Bastard der Nato-Familie.
Peter Struck legt seine Hand auf Donald Rumsfelds Oberarm, als er ihn am Hubschrauber begrüßt. Sie gehen nebeneinander an dem Geranienbeet vorbei, Rumsfeld sagt »Peter«, Struck sagt »Don«. Er sagt es laut, damit man hören kann, dass Deutschland und Amerika wieder per Du sind.
Rumsfeld erzählt, dass er 1973 schon mal hier war, als Nato-Botschafter, und dass er seinen Kindern da hinten in den Bergen das Skilaufen beigebracht hat.
»Oh yes«, sagt Struck.
Dann wird es still, und Donald Rumsfeld bricht in ein merkwürdiges Lachen aus.
»He, he, he, he.« Rumsfeld lacht so ähnlich wie J. R. Ewing.
Sie gehen auf das George-C.-Marshall- Center zu, das heute sein zehnjähriges Bestehen feiert. Deshalb ist Rumsfeld eigentlich hier. Das Marshall-Center ist eine amerikanisch-deutsche Einrichtung, im Verhältnis 90 zu 10. Es heißt, dass hier Lehrgänge abgehalten werden, in denen es um Strategien für Frieden und Sicherheit geht. Es sind Kurse für Militärs aus osteuropäischen Staaten; Polen, Rumänien, Usbekistan, Turkmenistan. Sie lernen hier Englisch und einiges darüber, was Amerika unter Frieden versteht.
Wer hier ausgebildet wurde, sitzt jetzt zu Hause an strategisch wichtigen Stellen und denkt freundlich über Amerika. Als der Afghanistan-Krieg ausbrach, bekamen die USA sehr unbürokratisch Überflug- und Landerechte in solchen Staaten. Für Amerika ist das Marshall-Center eine sinnvolle Einrichtung. Ein Brückenkopf des neuen Europa auf dem Gelände des alten Europa.
Der Plenarsaal des Zentrums ist nach Konrad Adenauer benannt, der nie vergessen wollte, was Amerika für Deutschland getan hat. Fünf Blechbläser spielen auf, Struck sitzt neben Rumsfeld in der ersten Reihe und lächelt ihn freundlich an. Dann hält Rumsfeld die Festrede.
Er spricht vom alten und neuen Europa. Der Unterschied, sagt er, sei keine Frage der Größe von Ländern, sondern ihrer Haltung zur transatlantischen Einheit. Nicht alle Länder, sagt er, hätten die Bedeutung dieser Einheit verstanden. Er meint Deutschland, aber er sagt es nicht. Er spricht lieber über Polen. Polen, sagt er, kümmert sich um die Nachkriegsordnung im Irak. Polen ist ein gutes Land. Am Ende spielen die fünf Blechbläser die deutsche und die amerikanische Nationalhymne.
Die Leute von den Medien dürfen keine Fragen stellen. Donald Rumsfeld beantwortet sowieso selten Fragen. Er hat mal gesagt, es gebe, wenn überhaupt, nur drei mögliche Antworten für die Presse: »1. 'I know and will tell you'; 2. 'I know and I can't tell you'; and, 3. 'I don't know.'«
Rumsfeld und Struck gehen zusammen hinaus, Struck läuft neben Rumsfeld, sie müssen über etwas reden, über irgendetwas, weil die Kameras dabei sind.
»Well, full of mountains here«, sagt Rumsfeld, als wäre er erstaunt, dass es, 30 Jahre nachdem er zum letzten Mal hier war, noch immer Berge in Garmisch-Partenkirchen gibt. Rumsfeld gibt Struck flüchtig die Hand, die letzten Schritte zu seinem Hubschrauber geht er allein. Man kann noch hören, dass er lacht.
»He, he, he, he.«
Die vier »Black Hawks« heben sich in die Luft, auf nach Brüssel, den Belgiern Angst machen. Peter Struck blickt den Fliegern nicht hinterher. Er sieht nachdenklich aus.
Er guckt in die andere Richtung, wo die Berge stehen. Es sind drei Berge nebeneinander, und sie sind alle sehr hoch. Der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland kneift die Augen zusammen und fragt: »Welcher ist denn jetzt eigentlich die Zugspitze?« MATTHIAS GEYER