KREDITE Piepen für den Puff
Es war eine typisch bürgerliche Klientel, die den Berliner Auto-Pfandleiher Achim Schadow aufsuchte: Nach und nach erschienen vor seinem Schreibtisch ein gut gekleideter Rentner, eine redselige Senatsbeamtin, ein junger Hauptstadt-Polizist und ein stadtbekannter Tischlermeister.
Die drei Herren und die Dame kamen mit ihren Autos und wollten schnell Geld. Der Pfandleiher taxierte den Zeitwert der Gefährte und gewährte, branchenüblich, die Hälfte als Kredit. Er stellte einen Barscheck aus, und ein paar Minuten, nachdem die Kunden vorstellig geworden waren, lösten sie den Scheck in einer nahen Bank ein und machten sich von dannen. Schadow, der zu den Seriösen der Branche zählt, behielt die Autos samt Fahrzeugbriefen als Pfand.
Der Rentner ließ seinen Ford Fiesta da und nahm 4000 Mark mit, der Ford Sierra der Senatsbeamtin brachte 1000 Mark. Der Polizist bekam 10 000 Mark für seinen BMW, der Handwerksmeister 20 000 Mark für seinen Mercedes SL.
Schadows Kunden hatten zwei Gemeinsamkeiten. Sie brauchten dringend Bargeld - und sie steckten so tief in den Miesen, dass sie ihrer Bank keinen Pfifferling mehr wert waren. Der rüstige Rentner, mutmaßt der Geldverleiher, »braucht die Piepen für die Spielbank oder für den Puff«. Anders als bei Banken und Sparkassen bleiben den Kunden der Pfandleiher aber peinliche Fragen nach den persönlichen Lebensverhältnissen und dem Verwendungszweck des Kredites erspart.
Jedes Jahr versetzen tausende klamme Bundesbürger ihr Auto für ein bis drei Monate, und es werden immer mehr. Während die knapp 300 deutschen Pfandhäuser hauptsächlich Schmuck und Uhren beleihen und mit mageren Zuwachsraten um drei Prozent leben müssen, verbuchen die rund zwei Dutzend Auto-Pfandleihen Umsatzsteigerungen um zehn Prozent. »Die Leute haben eben eher ein Auto als wertvolle Uhren oder Schmuck«, erklärt Schadow den Boom der Branche.
Wer so abgebrannt ist, dass er nur noch beim Pfandleiher kreditwürdig ist, zahlt - selbst im Vergleich zu den teuren Überziehungszinsen beim Dispositionskredit der Banken - kräftig drauf. Üblich sind pro Monat ein Prozent Zinsen auf die Leihsumme.
Richtig Geld verdienen die Auto-Pfandleiher allerdings mit satten Nebengebühren, die als »Kostenvergütung« und als »Standgeld« auf den Zins geschlagen werden. So stellen manche Kreditgeber monatlich bis zu fünf Prozent in Rechnung; für das Abstellen des Fahrzeuges kommen bei den meisten rund 200 Mark hinzu.
Wer seinen VW Golf auch nur vier Wochen lang mit 10 000 Mark beleiht, muss bei einigen Kredithaien der Branche insgesamt bis zu 800 Mark zahlen - ein effektiver Jahreszins also von 96 Prozent. Für Klaus Germann, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Pfandkreditgewerbes, ist die Grenze des Zumutbaren klar. Wer fünf oder mehr Prozent Kostenvergütung verlange, sei »unseriös und schadet der ganzen Branche«.
Acht von zehn Kunden lösen nach der Erfahrung von Thomas Stäbler vom Stuttgarter Kraftfahrzeug-Pfandhaus Haugstetter & Stäbler ihr Fahrzeug innerhalb von drei Monaten aus; wenn nicht, darf das Pfand versteigert werden. Zumeist aber sind die Pfandleiher kulant, verlängern die Frist um einen oder sogar mehrere Monate - und kassieren ordentlich weiter.
Das Gros der Kunden sind längst nicht mehr verkrachte Existenzen, stattdessen versetzen immer mehr Selbständige ihre Fahrzeuge - oft weil sie wegen der Zahlungsmoral ihrer Kunden klamm sind und kein Geld mehr für Materialeinkäufe oder gar die Löhne ihrer Mitarbeiter haben. So
* belieh ein Berliner Maurermeister seinen Jeep und drei Wochen später einen Mercedes der E-Klasse, um seine Handwerker bezahlen zu können;
* löste ein Dachdeckermeister bei der Auto-Pfandleihe Arclas im rheinischen Willich Anfang Juli seinen Mercedes SL aus, den er wegen Liquiditätsschwierigkeiten mit 50 000 Mark belastet hatte;
* ließ sich der Inhaber eines Baugeschäftes beim Auto-Pfandhaus Hannover 3000 Mark auf einen Mini-Bagger auszahlen, um über die Runden zu kommen;
* nahm ein Schreinermeister beim Auto-Pfandhaus Römer im rheinischen Frechen 20 000 Mark auf seinen Opel Sintra auf. Ein Kunde hatte sich für 18 000 Mark einen Zaun bauen lassen und die Rechnung nicht bezahlt.
Mitunter, glaubt Bernd Sakreida von der Auto-Pfandleihe Doma im niederbayerischen Plattling, seien die Motive der Gewerbetreibenden jedoch auch nicht ganz koscher. Manchmal werde der Pfandkredit etwa »für Wareneinkäufe genutzt, die wegen Schwarzarbeit nicht über die Bücher laufen sollen«.
Nicht selten versuchen Kunden, die Pfandleiher zu leimen. Dem Berliner Schadow wollten Kunden etwa einen VW-Transporter unterjubeln, der »einen Knick im Dach und ein verzogenes Führerhaus« hatte. Ganoven drehten dem Hamburger Pfandleiher Joachim Ratajek ein VW Golf Cabrio an, das samt Fahrzeugbrief gestohlen worden war. Er belieh das neuwertige Auto mit 20 000 Mark und musste den Schaden tragen.
Wie die meisten Kollegen versucht Klaus Aringer von der Arclas Pfandkredit in Willich, solch Ungemach zu vermeiden. Bieten ihm dubiose Gestalten ein teures Auto an, »checke ich bei der Polizei, ob das Ding womöglich geklaut ist«. CARSTEN HOLM