Pirelli-Kalender Rio, arm und sexy
Im November ist es an der Copacabana manchmal so grau wie in Hamburg. Doch das ist nicht schlimm, denn Starfotograf Steve McCurry mag es düster. Er hat den Pirelli-Kalender 2013 in Rio fotografiert - und die Stadt im Schatten seiner Models groß rausgebracht.
Dunkle Wolken hängen über Copacabana, der Strand liegt verlassen im Nieselregen, Rio glänzt grau wie Hamburg im November. So grau, dass sich die Presseleute von Pirelli genötigt sehen, sich bei den eingeladenen Journalisten zu entschuldigen: "Wir haben wirklich Pech, normalerweise scheint hier die Sonne."
Nur einer freut sich über das Schmuddelwetter in Rio: Starfotograf Steve McCurry, der die Bilder des Pirelli-Kalenders 2013 macht. "Ich liebe Regen", sagt der Amerikaner. "Sonnenlicht ist langweilig."
Seine Vorliebe für Zwielicht und Schatten zieht sich durch den gesamten Kalender. Bei vielen Shootings hat es geregnet, es war bewölkt oder Nacht. Rio gewinnt dadurch auf vielen Fotos eine dunkle und geheimnisvolle Aura, die Stadt wirkt so erotisch wie die Models. Nackte Busen sind überflüssig.
Ein Model fand McCurry, während er über den Wochenmarkt schlenderte
Das zeichnet diesen Kalender aus: Er zeigt nicht bloße Nacktheit. Er hat eine Botschaft. Rio ist eine der meistfotografierten Städte der Welt, aber selten sieht man sie wie durch die Linse von Steve McCurry. Seine Frauen posieren vor den Graffiti einer Favelamauer, in der Ruine des stillgelegten Bahnhofs von Leopoldina, im Halbschatten des Urwalds, der mitten in der Stadt wuchert. Er fand viele seiner Models in der Stadt.
McCurry ist bekannt für seine Porträts, das Foto eines grünäugigen Mädchens aus Afghanistan landete auf dem Cover von "National Geographic" und machte ihn weltweit berühmt. Rio kannte er von früheren Besuchen, stundenlang strolchte er durch die Stadt, diese Vertrautheit schlägt sich in den Settings nieder: Die Stadt wirkt nah, fast intim. Ein Model fand er, während er über den Wochenmarkt schlenderte, sie verkaufte Pfefferschoten.
Der Kalender hält weitere Überraschungen bereit. Zwei Models sind zwar bekannt, aber nicht durch den Laufsteg: Schauspielerin Sonia Braga und Sängerin Marisa Monte. Braga, die in New York lebt, verkörpert seit Jahrzehnten das brasilianische Schönheitsideal der Morena, der kaffeefarbenen Mestizin. Sie machte in den siebziger Jahren als "Gabriela" in der gleichnamigen Telenovela Furore, die auf dem Roman von Jorge Amado beruhte. McCurry hat sie als klassische Schönheit inszeniert, vor seiner Kamera wirkt sie streng und verführerisch, mit 62 Jahren.
Sängerin Marisa Monte ist die Antipode zur Diva Braga, sie wirkt cool und zerbrechlich. Adriana Lima, ein brasilianisches Top-Model, zeigt vor der Kamera nicht Busen, sondern Bauch: Sie ließ sich hochschwanger ablichten.
Für Pirelli erweist sich McCurry als Glücksfall, er hat neue ästhetische Standards für den Kalender gesetzt. Und auch die Marketingabteilung dürfte zufrieden sein: Der italienische Konzern dürfte nach dieser Huldigung an Rio mehr Reifen verkaufen. Vor allem rutsch- und regenfeste.