LGBT-Rechte in Polen: "Ich könnte nicht einfach so auf ein Date mit einem Mann gehen"
Dieser Beitrag wurde am 19.02.2020 auf bento.de veröffentlicht.
Als Sappho* vor zwei Jahren zum Studieren in die polnische Großstadt Lublin zog, lernte sie eine Stadt kennen, in der queere Menschen sichtbar waren – eine Stadt, in der sie sich zunächst wohlfühlte. Regenbogen-Accessoires gehörten ins alltägliche Bild auf der Straße, erzählt die 20-Jährige. Seit vergangenem Jahr habe sich das geändert. "Früher hatte ich meine Regenbogen-Tasche überall dabei. Heute trage ich sie fast gar nicht mehr, aus Angst vor Anfeindungen."
Regelmäßig landet Polen, wenn es um LGBT-Rechte in Europa geht, auf einem der hintersten Ränge – was nicht zuletzt an der nationalkonservativen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) liegt, die seit 2015 den Ministerpräsidenten stellt.
Vergangenen April verabschiedete das Lubliner Regionalparlament eine Resolution gegen die "LGBT-Ideologie", vorangetrieben durch PiS. Drei weitere Regionen und zahlreiche Bezirke und Gemeinden zogen nach. Der ganze Südosten des Landes, und damit mehr als ein Viertel der Bevölkerung, lebt heute in Gebieten, die sich "LGBT-frei" erklärt haben.
Die Verdrängung queerer Menschen aus der Öffentlichkeit sei seit den Resolutionen schrittweise vorangegangen, erzählt Sappho am Telefon.
In ihrer Heimatstadt Pulawy, 50 Kilometer von Lublin, sei sie seitdem zweimal wegen ihrer Sexualität angegangen worden – "einmal spuckte ein Jugendlicher in meine Richtung".
Bei den Resolutionen handelt es sich im Grunde um rein symbolische Erklärungen – für die LGBT-Community haben sie dennoch reale Konsequenzen. Homophobe fühlten sich bestätigt, glaubt Sappho. "Sie denken: Wir haben die Regierung auf unserer Seite, deshalb ist das in Ordnung."
Diesen Eindruck hat auch Adrian Stodolak, 29. Er lebt in der Kleinstadt Sanok, im äußersten Südosten Polens, und bezeichnet sich als offen schwul – in der Öffentlichkeit zeigt er das trotzdem kaum. Auch er hat Angst. "Ich könnte nicht einfach so auf ein Date mit einem Mann gehen", erzählt er. "Das war schon immer so, aber momentan fühlt es sich noch gefährlicher an."
Von Kolleginnen und Kollegen habe er sich anfangs anders behandelt gefühlt. "Ich glaube, mittlerweile haben sie mich als das akzeptiert, was ich bin – eben als Mensch." Wenn er jedoch einem homophoben Mob gegenüberstünde, sehe dieser den Menschen nicht mehr. "Um es höflich auszudrücken: Die Menschen sind sehr leidenschaftlich, wenn es um ihre Meinung und ihre Religion geht", sagt Adrian. Resolutionen, wie es sie auch in seiner Region gibt, fachten diesen Hass weiter an.
Konservative Bürgermeister in Polen versuchen regelmäßig, Pride-Veranstaltungen in ihren Städten zu verhindern. Wenn sie dann doch stattfinden, greifen Homophobe sie an. In Bialystok standen vergangenen Sommer bei der ersten Pride tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer rund 4000 Gegendemonstranten gegenüber, Hooligans und Nationalisten warfen Flaschen, Steine und Feuerwerkskörper.
Fragt man einen jungen Anhänger der Regierungspartei, will dieser eine Diskriminierung von queeren Menschen durch die Politik nicht sehen. "Diese Resolution ist nicht gegen die Menschen, sondern gegen die Ideologie", sagt Artur Synowski. Er ist Mitglied der Jugendorganisation von PiS in Krakau. Was genau sich hinter der "Ideologie" verbergen soll, kann er jedoch auch nicht sagen, stattdessen verweist er darauf, dass es ihm wichtig sei, dass der Staat "christliche Werte" schütze. Die Menschen in Polen seien einfach konservativer als in Ländern wie Deutschland, so der 21-Jährige.
Rechte Politiker und die mächtige katholische Kirche betreiben den Kampf gegen LGBT-Rechte gemeinsam.
Die PiS pocht auf das traditionelle Familienbild, das sie in Gefahr sieht, außerdem müssten Kinder vor "Frühsexualisierung" geschützt werden. Eine rechte Wochenzeitschrift verteilte vergangenen Sommer Sticker mit der Aufschrift "LGBT-freie Zone". Erzbischöfe rufen zu Protesten gegen Pride-Veranstaltungen auf und warnen gar vor einer "Regenbogen-Pest" oder der "kranken" LGBT-Ideologie. (queer.de)
"So etwas wie eine 'LGBT-Ideologie' gibt es nicht", sagt hingegen Adrian. "Es klingt immer, als würden wir die Familie aus Mann, Frau und biologischen Kindern durch ein gleichgeschlechtliches Paar mit Adoptivsohn ersetzen wollen. Was wir aber wirklich sagen, ist, dass Menschen Suizid begehen, weil sie in einem Land leben, das ihnen das Gefühl gibt, nicht dazuzugehören."
Die meisten in der Community hätten schon einmal daran gedacht, in ein anderes Land zu ziehen, glaubt Adrian. Er selbst spiele auch mit dem Gedanken. "Ja, man kann sein ganzes Leben hier in einer kleinen Stadt leben und nicht ein einziges Mal wegen seiner sexuellen Orientierung attackiert werden. Aber gleichzeitig fühlt man sich nicht akzeptiert als derjenige, der man ist."
Allerdings: Spricht man mit dem jungen PiS-Anhänger Artur, so klingt es, als erwarte auch er, dass langfristig ein Wandel kommen wird. Junge Menschen seien etwas offener, selbst die in der PiS.
Tatsächlich hat die Partei das Thema vor der Parlamentswahl im vergangenen Herbst weniger ins Zentrum gerückt als erwartet. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski betonte zwar immer wieder, dass eine Familie aus "Mann, Frau und ihren Kindern" bestehe, doch das Thema schaffte es nicht an die Spitze der Agenda. (MDR)
Die queere Community in Polen ist zudem in den letzten Jahren selbstbewusster geworden: In Städten wie Lublin gibt es erst seit zwei Jahren überhaupt Pride-Veranstaltungen – immer durch Angriffe und Gegenproteste begleitet.
Unterkriegen lässt sich die Community davon nicht – sie wird auch weiterhin für ihre Rechte auf die Straße gehen.
*Name von der Redaktion geändert