Polizei-Schutzwesten Löchrige Lebensretter

Die Schutzwesten der Polizei in mehreren Bundesländern sind nicht mehr kugelsicher. Das haben Schusstests in Bayern ergeben. Die Panzerjacken müssen deshalb vorzeitig ausgetauscht werden. Doch der Hersteller hat vor zwei Wochen Insolvenz angemeldet. Jetzt wird der Steuerzahler die Millionenkosten tragen müssen.

Mellrichstadt in Unterfranken: 11.000 Einwohner, eine historische Eisenbahn, und mittwochs ist Kinotag. Das Panzergrenadierbataillon 352 der Bundeswehr ist hier stationiert, und das bayerische Landesamt für Maß und Gewicht unterhält eine Außenstelle: Im Beschussamt Mellrichstadt wird die Funktionsfähigkeit von Waffen, Munition und Schutzausrüstungen überprüft. Zuletzt mit Besorgnis erregenden Ergebnissen.

Im Februar 2005 testeten die Ballistiker unter Extrembedingungen schusssichere Westen der Polizei. Die Resultate schockierten. Mehrere Projektile durchschlugen die Panzerjacken. Gerade ältere Westen, durch Feuchtigkeit und Abnutzung mürbe geworden, hielten die Geschosse aus Maschinenpistolen nicht mehr auf.

"Hier zeichnet sich ein echter Skandal ab. Wir sind fassungslos", sagte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, SPIEGEL ONLINE. "Unsere Einsatzkräfte gehen davon aus, dass sie mit vernünftigen Westen ausgestattet sind und entsprechende Sicherheit haben. Das ist aber offenbar nicht der Fall. So darf man nicht mit dem Leben von Polizisten umgehen."

Die Länder wollen deshalb die textilen Lebensretter möglichst bald ersetzen. Doch die Kosten dafür sind enorm. Allein das bayerische Staatsministerium des Innern rechnet mit zehn bis 15 Millionen Euro, wie Behördensprecher Michael Ziegler gegenüber SPIEGEL ONLINE bestätigte. Bis 2007 sollen seinen Angaben zufolge die 29.000 Schutzwesten der bayerischen Polizei ausgetauscht werden. Ähnliches steht auch dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen bevor.

Das Innenministerium in Düsseldorf etwa wird die 33.000 Westen seiner Beamten ersetzen müssen. 10.000 neue Kugelfänger seien schon bestellt worden, sagte Behördensprecher Ulrich Rungwerth SPIEGEL ONLINE. Stückpreis: etwa 1000 Euro. Und obschon der Hersteller auf die 2001 angeschafften Westen fünf Jahre Garantie eingeräumt hatte, ist von der Firma Second Chance Body Armor aus dem bayerischen Brannenburg keine Entschädigung zu erwarten. Vor zwei Wochen wurde gegen die Gesellschaft mit beschränkter Haftung vor dem Amtsgericht Rosenheim das Insolvenzverfahren eröffnet.

Dabei hatte die nordrhein-westfälische FDP-Fraktion eigenen Angaben zufolge schon 2001 im Düsseldorfer Innenausschuss darauf hingewiesen, dass die aus einer Zylon-Faser hergestellten Westen schnell altern und deshalb ihr Schutz vor Projektilen ständig abnehme. Auch das Polizeitechnische Institut der Polizeiführungsakademie in Münster hatte zuvor erklärt, dass es in der Praxis an den Schutzwesten zu Materialveränderungen kommen könne. Dennoch wurden in NRW Brustpanzer im Gesamtwert von etwa 30 Millionen Euro angeschafft.

Warnende Zwischenrufe gab es auch in Bayern frühzeitig. Einem Bericht des "Münchner Merkur" zufolge soll der frühere SPD-Landtagsabgeordenete Thomas Jung schon im September 2001 den Innenminister Günther Beckstein vor den Gefahren der Westen schriftlich gewarnt haben. Ohne Erfolg. Die Landesregierung kaufte ein.

Die neuen Schutzwesten, die nun angeschafft werden müssen, sollen jedenfalls nicht mehr aus Zylon-Fasern sein. Aramid heißt das Material der Zukunft - und der Vergangenheit. Denn daraus bestanden bereits die Vorgängermodelle der jetzt in die Kritik geratenen Schutzwesten. Deren Problem seinerzeit: Sie wurden kaum getragen. Die Jacken waren einfach zu schwer.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten