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So haben junge Menschen das N-Wort zum ersten Mal gehört

»In der Grundschule schleuderte mir jemand das Wort zum ersten Mal hasserfüllt entgegen.«

Dieser Beitrag wurde am 04.09.2019 auf bento.de veröffentlicht.

Das »N-Wort«: Man könnte meinen, dieser Begriff gehört jenen längst vergangenen Zeiten an, denen er entsprungen ist. Die koloniale Ausbeutung des afrikanischen Kontinents, die Versklavung von Menschen, die grausame Rassentheorie des Nationalsozialismus. Und doch gibt es bis heute Menschen, die fordern, dass Pipi Langstrumpfs Vater weiterhin ein »N****könig« sein soll.

Schon ein sehr oberflächlicher Blick in die Geschichte zeigt: Das Wort war nie neutral besetzt. Das wissen besonders diejenigen, die damit beleidigt werden.

Wir haben vier junge Menschen gefragt, wie sie mit dem N-Wort umgehen. 

Im Video (oben) spricht der Buchautor  und Musiker David Mayonga über seine erste Erfahrung mit dem Wort und erklärt, warum er es auf seinem Buchtitel trotzdem ausschreibt.

Chiedza, 23, ist Auszubildende in der Altenpflege.

Foto: Inken Dworak

»Die amerikanische Form des N-Worts habe ich schon als Kind in Zimbabwe im Fernsehen gehört. Ich war zu jung, um die Bedeutung zu verstehen. Das deutsche Wort habe ich zum ersten Mal im Deutschkurs gehört, als ich vor zwei Jahren nach Hamburg gekommen bin. Ich habe gefragt, was die politisch korrekte Bezeichnung für schwarze Menschen ist. Die Lehrerin hat daraufhin das N-Wort genannt und noch einige andere Begriffe, wie ›Schwarze‹ und ›Farbige‹. Ich habe sofort gespürt, dass das irgendwie nicht stimmen kann, auch, weil es so ähnlich wie das amerikanische N-Wort klang. Ich hatte auf jeden Fall ein seltsames Gefühl. Ich habe dann aber nichts gesagt und erst einmal zu Hause nachgelesen, was es damit auf sich hat. 

Auch ein anderer Lehrer hat das Wort im Unterricht verwendet. Er hat es immer und immer wieder in Form von Zitaten genutzt und das hat mich sehr enttäuscht. Denn eigentlich habe ich sehr viel von ihm gehalten und ich wusste auch, dass er sehr belesen ist und es doch eigentlich besser wissen müsste. Ich habe erst einmal nichts gesagt, um mich ein wenig zu beruhigen. Aber ich möchte ihn noch darauf ansprechen und mit ihm darüber reden.

Dass Leute das Wort immer noch benutzen wollen, ist für mich Bullshit. Wieso sollten weiße Menschen darüber entscheiden, wie sie uns nennen? Sie wurden mit solchen Wörtern doch nie unterdrückt. Wieso halten sie so daran fest?

Mein Ziel ist es, dass ich selbstbewusster werde und mich traue, Leute darauf anzusprechen, wenn mich ihr Verhalten stört. Ich versuche das zu machen, wenn beispielsweise Leute ungefragt meine Haare anfassen. Wenn ich sage, dass mich das stört, dann reagieren viele darauf, indem sie mir erklären, dass sie nicht rassistisch sind. Dann sage ich, dass ich das auch nicht gemeint habe, aber dass mich das Haare-Anfassen stört und dass sie das ja bei einer nicht-schwarzen Person auch nicht machen.

Momentan versuche ich viel zu lernen. Ich engagiere mich in einer queeren Gruppe  und einer Gruppe für schwarze Menschen . Und ich war auf einer Demonstration gegen Gewalt gegen schwarze Frauen. Die Situation hat mich so berührt, dass ich geweint habe. Ich habe mich stark und empowert gefühlt. Im Alltag versuche ich, mit meinen nicht-schwarzen Freunden darüber zu sprechen, was Alltagsrassismus für mich bedeutet, auch wenn es echt anstrengend ist und ich eigentlich nicht finde, dass das meine Aufgabe ist, das zu erklären.«

Narku, 27, leitet Vielfaltsprojekte  und ist Dozent an der LMU München. 

Foto: Florian Lenners

»An das erste Mal, als ich das N-Wort gehört habe, kann ich mich wahrscheinlich gar nicht erinnern. Meine Eltern wurden schon damit konfrontiert, als sie mich im Kinderwagen herumgeschoben haben. Meine ersten Erinnerungen gehen zurück in den Kindergarten, wo ich von anderen Kindern sogenannt wurde. Für mich gibt es aber eine relevante Unterscheidung: Wann hat es jemand hasserfüllt zu mir gesagt?

Dass mir das Wort jemand mit diesem Hass entgegen schleuderte, das ist in der Grundschule zum ersten Mal passiert. Da habe ich verstanden, dass ich als anders angesehen werde. Und ich wusste, dass ich diese Beleidigung nicht zurückwerfen kann.

Mein Bruder ist gleich aufgetaucht, hat sich vor mich gestellt und gesagt: Niemand nennt meinen Bruder so. Auch einem anderen schwarzen Klassenkameraden habe ich davon erzählt und wir haben uns versprochen, dass wir uns in diesen Situationen immer beistehen werden. Mir war also schon in der Grundschule klar: Wenn du das Wort benutzt, dann hast du nicht nur ein Problem mit mir, sondern mit allen Menschen, die du damit beleidigst. Das war ein Gefühl der Solidarität. Und das war unglaublich schön, da muss ich heute noch lächeln, wenn ich daran denke.

Als ich von meinen Eltern mehr über die geschichtliche Bedeutung des Begriffs gelernt habe, war ich unfassbar wütend. Und das ging so, bis ich etwa zwanzig war. Mittlerweile habe ich eine Palette an Reaktionen. Neulich saß ich in der S-Bahn in München, und da sagte jemand das Wort zu mir, und ich erwiderte, wie im Lied ›N-Wort‹ von Megaloh: ›Sie wären doch auch gern schwarz. Es ist so schön, schwarz zu sein! Sie sollten es mal ausprobieren.‹ Die Person war dann natürlich etwas irritiert. Aber das ist etwas, das ich heute mit Inbrunst sagen kann: Ich bin gerne schwarz. 

Als ich einmal in Friedrichshafen am Bodensee sehr intensiv beleidigt wurde, habe ich mir gesagt: Heute ist der Tag. Ich habe dann die Polizei gerufen und eine Anzeige aufgegeben. Weil ich dachte: Ich gehe nicht unglücklich nach Hause. Ich weigere mich, dass diese Person durch das Wort Unglück in mein Leben bringt.

Ab und zu treffe ich junge schwarze Menschen, die mich aus gefühlter Solidarität so ansprechen. Ich verstehe, warum sie das sagen. Es gibt diesen Moment, in dem man die Beleidigung gegen das eigene Selbst aufgreift und versucht, den Begriff neu zu besetzen. Das funktioniert nicht, aber es ist ein Schritt zur Emanzipation von der Wut, die man empfindet, wenn man das Wort hört. Ich schlage dann immer ein, zwei Videos und Bücher vor, begleite sie im Denkprozess und hoffe dann, dass sie das Wort anschließend aus ihrem Wortschatz streichen werden.«

Fredi, 21, studiert Politikwissenschaften in Berlin.

»Ich habe das Wort zum ersten Mal in der dritten Klasse gehört. Ich bin über den Pausenhof gerannt und habe, weil ich ziemlich tollpatschig war, den Ball eines anderen Drittklässlers versehentlich weg geschossen. Der Junge hat mich dann einen ›N-Wort‹ genannt. Das habe ich eigentlich nur so zur Kenntnis genommen, weil ich ja gar nicht wusste, was das eigentlich bedeutet. Ich habe es meiner Mutter auch erst zwei oder drei Tage später erzählt. Sie hat mich darüber aufgeklärt, was das bedeutet, was überhaupt dahinter steckt. Ich habe verstanden, dass es sehr, sehr negativ konnotiert ist. Mir ist die Bedeutung dann eben so klar geworden, wie es einem Drittklässler werden kann. 

Meine Mutter hat es bei meiner Klassenlehrerin gemeldet. Es wurde aber nicht weiter verfolgt, weil es als Bagatelle galt. Das hat mir gezeigt, dass es in den Augen anderer Menschen nicht als besonders drastisch angesehen wird. Obwohl es für mich und auch für meine Mutter, die ja noch eher damit leben musste, sehr einschneidend war. Einfach, weil es der erste Moment war, in dem ich von Menschen als anders wahrgenommen wurde.

In dem Moment selbst war ich nicht traurig. Aber wenn man älter wird, wirkt das nach. Ich hatte durch solche Vorfälle das Gefühl, dass ich mich rechtfertigen muss, dass ich dazugehöre. Das war wirklich schwierig zu verarbeiten, besonders, als ich noch ein wenig jünger war. Ich glaube, das kann ich jetzt besser.

Ich lebe in Berlin, und mir begegnet das Wort hier nicht so häufig. Ich war einmal bei einem Fußballspiel von Hertha BSC, mit dem Spieler Salomon Kalou. Ein älterer Fan vor mir hat lautstark das N-Wort geschimpft und geschrien. Ich war perplex und konnte nicht wirklich reagieren. So geht es mir oft, wenn mir im Alltag Rassismus begegnet. Ich bin nicht besonders schlagfertig in diesen Momenten und bin einfach überrumpelt.

Ich studiere Politikwissenschaft, da gibt es die Strömung der postkolonialen Theorie. Die befasst sich genau mit solchen Dingen. Ich finde, es spricht nicht für die Menschen, die ein Wort unreflektiert konsumieren, das so einen extrem rassistischen Unterton hat. Das Argument ›das haben wir schon immer benutzt‹ finde ich erschreckend, weil da eine extreme Ignoranz mitschwingt. Das Wort wurde benutzt, um Menschen zu marginalisieren und zu entmenschlichen.«

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