Wie ein Hassbrief zwei junge Frauen zusammenbrachte

Dieser Beitrag wurde am 08.02.2020 auf bento.de veröffentlicht.
An einem Montagmittag im Januar leuchtet Kübranurs Handy auf, es ist eine WhatsApp-Nachricht ihrer Mutter: Es ist ein Foto. Sofort macht sie sich auf den Weg zur Wohnung ihrer Eltern.
Kübranur ist zwei Monate zuvor bei ihren Eltern ausgezogen. Noch immer landet viel von ihrer Post bei ihnen. Das Foto, das Kübranurs Mutter ihr geschickt hat, ist das eines Briefes, der für sie angekommen ist:
Auf den Umschlag wurde mit einer roten Flüssigkeit ein großes Hakenkreuz getropft. Darin: Eine gebastelte Collage mit rechtsradikalen Motiven. Auf einem dunklen Foto von einem Wald hat jemand ein Hakenkreuz geklebt, daneben ein Bild der Hitlerjugend. Und neben einem lachenden Smiley und dem Foto einer fremden jungen Frau, die ein Kopftuch trägt, stehen Beleidigungen. »Kanakenhure«, »Kübra-Hure«.

Als sie den Brief in der Hand hält, gilt Kübranurs erster Gedanke ihrer Tochter. Ist sie in Gefahr? Dann glaubt sie, es könne sich um eine größer angelegte, rechte Aktion handeln. Im Wohnhaus ihrer Eltern leben viele Menschen mit Migrationshintergrund. Sie fragt Nachbarinnen und Nachbarn, ob sie ebenfalls solche Schreiben erhalten hätten. Doch Kübranur ist die Einzige. Ihr wird klar, dass der Brief persönlich gemeint sein muss. Ein gruseliges Gefühl: »Da hat sich jemand viel Mühe gegeben.«
Kübranur hat keine Ahnung, warum sie den Brief bekommen hat und was man von ihr will. Und auch nicht, wer die junge Frau auf dem selbstgebastelten Brief ist.
Und die junge Frau auf dem Foto hat zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, dass ihr Bild im Briefkasten von Kübranurs Familie gelandet ist.
Am folgenden Dienstagmorgen leuchtet Aminas Handy auf. Zwei neue Nachrichten auf Instagram, beide haben den gleichen Inhalt. Freundinnen fragen sie: »Bist du auf diesem Foto?« Sie öffnet das Bild und erschrickt. Denn es ist ihr Gesicht, das sie zwischen dem Smiley, den Nazi-Symbolen und den Beleidigungen anblickt. Im ersten Moment glaubt Amina, dass es sich um eine Drohung gegen sie handelt. Aber schnell wird ihr klar: Der Hass auf dem selbstgebastelten Bild gilt einer anderen jungen Frau.
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Aminas Foto in der Hassbotschaft stammt aus der Voransicht eines Videos aus der bento-Reihe »Nach den Rechten sehen«. Es zeigt Aminas Gesicht, daneben ein Zitat ihrer Erlebnisse. Deshalb hat sich Amina mit der Geschichte an die Redaktion gewandt. In dem Beitrag schildert Amina ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus und wie sie damit umgeht. Den Beitrag findest du hier.
Aminas Freundinnen hatten ihr den Link zu einem Facebook-Post geschickt. Tarik Mete , ein österreichischer Politiker der SPÖ, den Kübranur über Facebook kennt, hatte mit ihrem Einverständnis einen Post verfasst und darin auf die Hassbotschaft aufmerksam gemacht. Amina kommentiert: »Das bin ich auf dem Bild.« Sie möchte mit der Adressatin des Briefes Kontakt aufnehmen. Kurz darauf telefonieren die beiden miteinander.
Bis zu diesem Moment kennen sich Amina und Kübranur nicht. Und wahrscheinlich hätten sie sich nie kennengelernt, hätte nicht jemand mit großer Mühe eine Hassbotschaft an Kübranur gebastelt. Amina ist 25 Jahre alt, Doktorandin in einer deutschen Großstadt und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Diskriminierungsforschung. Kübranur ist 26 Jahre alt, gelernte Einzelhandelskauffrau, sie ist alleinerziehende Mutter und lebt in einer Stadt mit 11.000-Einwohnern in Oberösterreich.
Das Einzige, was die beiden Frauen äußerlich verbindet, ist ihr Alter und ihr Kopftuch. Amina wird in dem Brief von einer Person zum Symbol einer Muslima. Die Autorin Kübra Gümüşay schreibt in ihrem Buch Sprache und Sein dazu: »Auf kein Attribut werden muslimische Frauen derart reduziert wie auf dieses Kleidungsstück. Sie werden sogar danach benannt: Kopftuchträgerin. Ihre gesamte Menschlichkeit, ihre gesamte Erfahrungswelt wird darauf reduziert.« (S. 72)
Jetzt verbindet Kübranur und Amina eine rassistische Botschaft.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich dadurch Amina kennenlerne. Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals erfahre, wer das auf dem Foto überhaupt ist«, erzählt Kübranur. Sie hat einen leichten österreichischen Dialekt und man kann fast hören, wie sie lächelt, als sie diesen Satz sagt: »Ich hätte sie gern anders kennengelernt.«
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Als Amina und Kübranur telefonieren, waren beide bereits mit der Polizei in Kontakt.
Kübranur hat den Brief zur Wache in Enns gebracht. Die Beamten hätten ihr gesagt, dass sie mit dem Papier nichts anfangen könnten, da Kübranurs Mutter und Bruder den Brief bereits angefasst hätten. »Ich habe dann gesagt, dass sie doch Fingerabdrücke abgeben könnten. Aber zu dem Zeitpunkt haben die Beamten den Brief alle schon in der Hand gehabt. Da war ich sehr enttäuscht«, sagt Kübranur. Sie verlässt die Wache mit dem Gedanken, nichts erreicht zu haben.
Kübranur
Die Polizei sagt gegenüber bento, dass eine Anzeige gegen Unbekannt aufgenommen wurde. »Wir gehen derzeit von einem Vergehen gegen das Verbotsgesetz aus«, sagt Sascha Baumgartner von der Polizei Enns. Mit dem Verbotsgesetz ist seit 1947 die Verwendung von rechtsradikalen Symbolen, darunter auch das Hakenkreuz, untersagt. Baumgartner sagt, die Polizeistation Enns habe eine Kopie des Briefes an den Verfassungsschutz geschickt. Dort solle er mit anderen Fällen verglichen werden.
Wegen der Beleidigungen in dem Brief müsse Kübranur zur Staatsanwaltschaft oder zum Gericht gehen, das sei eine private Angelegenheit. »Da kein Absender auf dem Brief ist und ziemlich viele Leute den Brief angefasst haben, sind die Ermittlungen schwierig«, so Baumgartner. Er sagt, die Beamten hätten »erfahrungsgemäß gewusst«, dass eine Spurensicherung »fast unmöglich« sei und hätten den Brief deshalb nicht untersucht. Wie viele Fälle solcher Art gab es denn schon in Enns? Es sei der erste, sagt Baumgartner.
Auf die Frage, wie ernst die Beamten in Enns das Schreiben an Kübranur nehmen, antwortet Baumgartner: »Wir nehmen jeden Sachverhalt, der bei uns zur Anzeige gebracht wird, ernst.« Ob es spezielle Trainings gibt, wie mit Betroffenen rechter Beleidigungen umgegangen wird? »Es gibt keine speziellen Trainings dafür, wie man mit derartigen Situationen umgeht. Aber bei uns wird jedes Opfer gleichbehandelt.«
Kübranur fühlt sich, seit sie den Brief erhalten hat, nicht mehr sicher, wenn sie allein mit ihrer Tochter in der Wohnung ist.
Kübranur
»Der Absender kennt zwar unsere Adresse nicht, aber die ist nicht schwierig herauszufinden. Es muss mir ja nur jemand nach dem Einkaufen nach Hause folgen. Ich habe Angst, dass uns etwas passiert«, sagt sie.
Auch Aminas Besuch bei der Polizei blieb ohne Ergebnis. »Sie haben mir gesagt, dass ich denjenigen anzeigen kann, der das Foto des Briefes gepostet hat – also den SPÖ-Politiker, der auf Rassismus hingewiesen hat. Das wollte ich natürlich nicht.« Amina muss fast lachen, als sie vom Vorschlag der Polizei erzählt. »Dass jemand mein Foto in diesem Kontext verwendet, könne ich nicht zur Anzeige bringen«, erzählt sie.
Die zuständige Polizei-Pressestelle erklärte gegenüber bento, dass sie den Fall aktuell nicht konkret nachvollziehen könne, aber Betroffene in einer solchen Situation eigentlich an die Opferberatung »Weißer Ring « verwiesen würden.
Die beiden jungen Frauen sind enttäuscht von den Reaktionen der Polizisten. Überrascht sind sie nicht.
Beide Frauen haben schon oft Alltagsrassismus erlebt – und hatten deshalb schon öfter Kontakt mit der Polizei. Kübranur ruft diese nur, wenn jemand handgreiflich wird, einmal hetzte jemand seinen Hund auf sie. Über verbale Anfeindungen sagt sie: »Wenn mich jemand doof anmacht, ignoriere ich es einfach.« Amina hingegen will gegen jede Form rassistischer Hetze vorgehen. Sie zeigt jede zugeraunte Beleidigung und offene Anfeindung an. »Ich möchte den Menschen, die meinen, mich rassistisch beleidigen zu können, wenigstens zeigen, dass ich es mir nicht gefallen lasse. Ich will nicht den Rest des Tages mit einem schlimmen Gefühl im Bauch herumlaufen. Ich möchte mich wehren und ich möchte sie wenigstens in den Schreck versetzen ›Ich wurde angezeigt!‹.«

Für Kübranur ist der offene Hass nur ein Teil des Problems. Sie ist auch zurück nach Enns gekommen, weil sie sich hier sicherer fühlte. Für kurze Zeit hat sie in der Nähe von Passau gelebt. Dort bekam sie als Einzelhandelskauffrau keinen Job – wegen des Kopftuches, habe man ihr gesagt, erzählt Kübranur. Sie arbeitete als Reinigungskraft, wurde oft angefeindet und rief öfter die Polizei. Schließlich zog sie wieder zurück zu ihren Eltern.
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»Ich bin hier aufgewachsen. Ich frage mich wer, wieso, weshalb auf diese Idee gekommen ist.« Kübranur sagt, sie habe einen Verdacht. Aber sicher sei sie sich nicht. Sie sei immer gut mit ihren Mitmenschen ausgekommen, sagt sie. »Natürlich wurde ich wegen meines Kopftuches doof angeredet. Aber so ein Drohbrief ist für mich etwas anderes.«
»Die Täter oder Täterinnen haben sich bewusst Kübras Religionszugehörigkeit und das Kopftuch als Grundlage ihrer Beleidigungen gewählt, weil das Diskriminierungsanker sind«, erklärt Amina. »Es ist ein Ausdruck von Herrschaftsanspruch und Herabwürdigung, der sich auch in der Nutzung der Nazisymbolik widerspiegelt. Bei Frauen* mit Kopftuch merkt man bei solchen Fällen auch, wie sehr antimuslimischer Rassismus und Sexismus miteinander verwoben sind. Sie wurde sowohl aufgrund ihrer Religion, also ihres Kopftuchs, als auch mit abwertenden Bezeichnungen für Frauen* beleidigt.«

Kübranur und Amina wollen in Kontakt bleiben.
Die beiden wollen sich gegenseitig auf dem Laufenden halten, wie sich das Ganze weiterentwickelt. »Ich will nicht aufhören, darüber zu posten und darüber zu sprechen«, sagt Kübranur. »Damit die nicht denken, dass ich eingeschüchtert bin und mich zuhause verkrieche. Wenn man still ist, wird es nicht aufhören.«
Nach ihrem Besuch bei der Polizei ist ein Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ) auf Kübranur zugekommen. Sie hat den Brief dort abgegeben, der Verein will ihn auf Fingerabdrücke und Spuren untersuchen lassen. »Ich warte nun darauf, was dabei herauskommt. Vielleicht komme ich dann weiter«, sagt Kübranur langsam.
Amina
Nachdem Kübranur ihre Erfahrung öffentlich gemacht hat, hat die Polizei Enns sie am Samstag erneut angerufen. Sie baten die 26-Jährige darum, den Drohbrief noch einmal vorbeizubringen. Sie wollen nun doch nach Spuren suchen. Kübranur möchte abwarten, was die IGGÖ herausfindet und den Brief dann der Polizei übergeben.