Fußball-Sprachgeschichte Wie Deutschland das "Schland" entdeckte
Sie klemmen sich Fähnchen an die Fenster und hupen im Autokorso. Sie malen sich schwarz-rot-goldene Schminke ins Gesicht, tragen Blumenkränze und johlen: Finaaale, ohhoooo. Jeder weiß: Alle zwei Jahre wird Deutschland zu Schland. Dann ist es okay, fremde Leute zu herzen, weil Thomas Müller ein Tor geschossen hat. Oder mit der deutschen Flagge auf dem Rücken die Nationalhymne zu schmettern.
Auch bei der WM 2014 ist das wieder so. Man muss sie nicht gut finden, diese Schlandisierung, aber entgehen kann man ihr nicht. "Schland ist ein Zustand", sagt Michael Ebmeyer, Autor des Buchs "Das Spiel mit Schwarz-Rot-Gold" . "Und der zeichnet sich durch große Offenheit aus. Jeder kann mitmachen, der keine Kopfschmerzen davon kriegt."
Was Schland bedeutet und wie man sich in Schland benimmt, ist also allen klar. Nur: Wer hat den Begriff erfunden? Und wann fing Deutschland an, Schland zu sein?
Eine Nachfrage bei der Gesellschaft für deutsche Sprache fördert erstmal nur Grundsätzliches zutage. "Deutschland, Deutschland", mit Betonung auf dem langgezogenen "laaaand", so gehe ja ein populärer Fangesang , sagt Redakteurin Nicola Frank. "Und weil die erste Silbe unbetont bleibt, hört man dabei in der Hauptsache 'Schlaaand'." Als Geburtsstunde des Begriffs vermutet sie die WM 2006.
Aufschrift "Deut" am Pulli abhanden gekommen
Tatsächlich findet Schland im Juni 2006 erstmals zaghafte Erwähnung in Zeitungsartikeln - zum Teil mit rührenden Erklärungsversuchen. So lästert eine Autorin anlässlich des Eröffnungsspiels gegen Costa Rica im "Kölner Stadt-Anzeiger", Tore der Klinsmann-Elf würden immer mit "Schland"-Geschrei gefeiert ("Für 'Deutschland' reicht die Hirnmasse nach den ersten Bieren nicht mehr"). In der "WAZ" wird spekuliert, bei Pullis mit der Aufschrift "Schland" sei offenbar ein "Deut" abhanden gekommen.
Irgendwann, das zeigt der Blick ins Pressearchiv, ist Schland einfach da. Erst als Witzchen, dann als geflügeltes Wort, später, zur WM 2010, als Metapher für eine ganze Nation. Schland-Shirts und Schland-Pullis werden verkauft, die Band Uwu Lena singt "Schland o Schland" und schafft es auf Platz vier der deutschen Charts. Wer hat das alles ins Rollen gebracht?
Klarheit bringt ein Blick ins Register des Deutschen Patent- und Markenamts. Unter der Nummer 30550886 ist Schland dort als Wortmarke eingetragen - angemeldet bereits am 26. August 2005, also ein knappes Jahr vor dem Sommermärchen. Verantwortlich: die zur Kölner Brainpool-Gruppe gehörende Produktionsfirma Raab TV. Auch die Merchandising-Rechte liegen bei dem Kölner Unternehmen.
Als Stefan Raab sich die Rechte an Schland sicherte, hatte in Deutschland gerade der Confederations Cup stattgefunden - jene Generalprobe zur Heim-WM, bei der erstmals so etwas wie Euphorie um die Klinsmann-Elf zu spüren war. Hat sich Raab also den Hype zunutze gemacht, um mit Schland einen Haufen Geld zu scheffeln? Ganz so einfach ist es nicht - denn in Umlauf gebracht hatte der Entertainer den Begriff schon viel früher.
Müdes Witzchen, historischer Moment
Es ist der 25. Juni 2002. Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea. Am Nachmittag hat sich Rudi Völlers Nationalelf im Halbfinale durchgesetzt, eins zu null. Draußen auf den Straßen feiern die Leute noch, als Stefan Raab mit einem Cabrio ins Kölner "TV Total"-Studio rollt. Gashupe in der Hand, Deutschlandfahnen am Auto, das typische Raab-Grinsen mit 32 Schneidezähnen. Finaale, ohoo. Und dann dieser kleine Gag, in Minute 3 der Aufzeichnung :
"Jetzt zur Abendstunde, da sind die Leute ja schon seit zwei, drei Stunden draußen und feiern. Ist nicht mehr ganz vollständig, aber mein Lieblingsschlachtruf ist: 'Schlaaand - Schlaaand - Schlaand - Schlaand!" Heute mittag war da noch ein 'Deut-' davor, aber mittlerweile is nur noch Schlaaand!"
Ein müdes Witzchen, das Publikum schmunzelt höflich. Und doch: ein beinahe historischer Moment. Schland in Sicht.
In den nächsten Jahren bringt Raab seine Fanbeobachtung immer mal wieder ins Spiel. 2004 zum Beispiel trägt er nach der EM-Vorrundenpartie gegen Holland ein T-Shirt mit "Schland"-Print, 2005 gibt es das bedruckte Leibchen als Preis für den Sieger beim Fußball mit verbundenen Augen, dem "Blind Kick". Es ist ein Running Gag unter vielen, Notiz nehmen davon eigentlich nur "TV Total"-Immergucker.
In der Partynation gelten andere Gesetze
Für den Durchbuch muss erst die WM 2006 kommen. Das Sommermärchen. Schönstes Wetter, wochenlang. Gäste aus aller Welt. Eine mutig aufspielende Klinsmann-Elf, und dazu diese nie dagewesene Stimmung im Land, die nach einer Bezeichnung schreit.
Schlaaaand.
"Stefan Raab hat uns geholfen, ein Wort für diesen Zustand zu finden", sagt Schriftsteller Ebmeyer. "Durch Schland haben wir die Chance, unser Land anders zu beobachten, als wir sonst Deutschland beobachten müssten." Denn unter normalen Bedingungen sei es ja erst mal bedenklich, wenn massenhaft die deutsche Flagge geschwenkt oder die Hymne gesungen werde. "Aber wenn eine Partynation namens Schland an diese Stelle tritt, gelten andere Gesetze", sagt Ebmeyer. "Gerade weil der Begriff sowas Saloppes, Spielerisches hat, nimmt er viel Ernst aus der Debatte heraus."
Wie viel Geld Stefan Raab und Brainpool mit dem Verkauf von Schland-Produkten und Schland-Musik inzwischen verdient haben, dazu macht das Unternehmen keine Angaben, man bittet um Verständnis. Stolz sein darf Raab aber ohnehin vor allem auf etwas, das sich nicht mit Geld bemessen lässt: Seiner Muttersprache hat er ein neues Wort geschenkt.
Nur in den Duden hat es Schland noch nicht geschafft. Bislang sei die Beleglage in den Quellen zu dünn, lässt eine Sprecherin wissen. Aber über eine Aufnahme des Wortes sei in der Tat schon nachgedacht worden. "Wir werden weiter beobachten."