Thomas Losse-Müller zur Gaspreisbremse »Sonst droht eine soziale Spaltung«

Thomas Losse-Müller
Foto:Frank Peter / IMAGO
SPIEGEL: Herr Losse-Müller, die Gaspreise sind stark gesunken, die befürchtete Energiekrise ist in diesem Winter ausgeblieben. Was folgt daraus für die deutsche Politik?
Losse-Müller: Die Bundesregierung hat für die Gaspreisbremse bis zum April 2024 insgesamt 200 Milliarden Euro vorgesehen. Wir sind jetzt in der glücklichen Lage, dass die Hälfte der Summe ausreichen wird, wenn die Preise auf dem aktuellen Niveau verharren. Das schafft Spielraum, um nicht nur das Fieber zu senken, sondern um die Krankheit zu bekämpfen.
SPIEGEL: Was meinen Sie damit?
Losse-Müller: Die Preisbremse hat das Ziel, Haushalte vor hohen finanziellen Lasten zu bewahren. Sie ändert aber nichts an der Abhängigkeit vom Gas. Ich plädiere dringend dafür, die absehbar frei werdenden 100 Milliarden Euro für die Energiewende zu nutzen. Sonst droht eine soziale Spaltung.
SPIEGEL: Warum?
Losse-Müller: Wir erleben gerade, dass sich viele wohlhabende Haushalte darum bemühen, von Öl und Gas loszukommen. Sie können es sich leisten, 100.000 Euro in eine Solaranlage, eine Luft-Wärme-Pumpe und die dafür notwendige energetische Sanierung zu investieren. Sie nutzen dann den eigenen Solarstrom, um ihre Wohnung zu heizen. Die meisten Menschen haben das Geld nicht. Die durchschnittliche Ersparnis pro Haushalt beträgt in Deutschland 15.000 Euro. Kein Förderprogramm kann es leisten, diese immense Lücke zu schließen. Deshalb muss die öffentliche Hand direkt investieren.

Dickes D
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SPIEGEL: Wer viel spart, wird bestraft. Ist das gerecht?
Losse-Müller: Das Ziel Klimaneutralität für 2045 ist festgeschrieben. Wir werden es nur mit einer Wärmewende erreichen. Wir haben über Jahrzehnte auf billiges russisches Gas gesetzt. Das war ein strategischer Fehler. Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen nicht mehr mit Öl und Gas heizen müssen. Von staatlichen Investitionen würden alle profitieren.
SPIEGEL: Was schlagen Sie vor?
Losse-Müller: Mein Ziel ist eine kommunale Wärmewende. Das Geld müsste vor allem in den Ausbau von Wärmenetzen fließen. So würden Haushalte mit Wärme versorgt, die etwa aus Wind und Sonne gewonnen wird. Wir brauchen auch mehr Speicher für regenerativen Strom und deutlich stärkere Verteilnetze.
SPIEGEL: Wie schnell wäre das zu machen?
Losse-Müller: Es ist ein langfristiges Projekt. Der Anteil der Haushalte, die an ein Wärmenetz angeschlossen sind, liegt zurzeit bei 20 Prozent. Es wäre wichtig, die Zahl bis 2030 zu verdoppeln. Der Bund sollte in diesem Jahr entscheiden, die 100 Milliarden Euro zu investieren. Dafür braucht es eine rechtliche Grundlage. Das Geld muss dann vor allem an die Kommunen fließen, die eine zentrale Rolle spielen. Der Ausbau erfolgt vor Ort, nicht in Berlin.
SPIEGEL: Schon jetzt sind Handwerker knapp. Wer eine neue Heizung braucht, muss Monate bis Jahre warten. Lässt sich Ihr Vorschlag da überhaupt umsetzen?
Losse-Müller: Handwerker sind auch deshalb so beschäftigt, weil wohlhabende Haushalte sich Luft-Wärme-Pumpen einbauen lassen. Wenn ich aber weiß, dass der Weg strategisch in eine andere Richtung geht, lassen sich Ressourcen anders nutzen. Wichtig ist, dass der Weg klar ist. Deshalb gibt es Zeitdruck.
SPIEGEL: Haben Sie in Berlin schon Mitstreiter gefunden?
Losse-Müller: Ich kann nur Wege aufzeigen. Die Bundesregierung muss entscheiden.