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UNTERHALTUNG Schwäbischer Eisenbahn-Blues

In Berlin lockt eine neue Kneipenattraktion: Beim Bier können die Gäste der »Kopier-Bar« CDs bespielen.
aus DER SPIEGEL 12/1997

Seine beiden Aldi-Tüten hat Janusz Szymecki, 39, mit alten Singles und LP gefüllt. Er ist unterwegs in seine Stammkneipe - eine Cola trinken und eine CD brennen: Heute abend, so sagt der Industriekaufmann und ehemalige Diskjockey, »geht's darum, ein paar Italo-Tanzhelden der achtziger Jahre wie Gazebo, aber auch Laura Branigan aus der Vinyl-Vergessenheit zu retten«.

Nach zweieinhalb Stunden hat Szymecki 16 Titel für seinen persönlichen Hitmix zusammengestellt und digital auf einer CD konserviert. Am Tresen der »Kopier-Bar« bezahlt er 30 Mark für die 60-Minuten-CD und 2,50 Mark für die Cola.

Der kreative Kneipenbesuch in der »Kopier-Bar« in Berlin-Kreuzberg gilt als neuester Szene-Spaß der Hauptstadt - und »Kopier-Bar«-Gründer Rolf Ruff, 43, hat bereits große Pläne für den Siegeszug seiner »deutschen Antwort auf die Planet-Hollywood-Kette«.

Kneipiers aus anderen deutschen Städten, die zum Mitmachen bereit sind, sollen Billardtisch und Flipper rauswerfen und statt des traditionellen Unterhaltungsgeräts moderne Digitaltechnik installieren lassen. Mit deren Hilfe dürfen sich die Gäste dann als Musikproduzenten versuchen und sich von LP, Tonband, Kassette oder Schellackplatte ihren Wunschsound auf CD kopieren - allerdings ausschließlich fürs private Vergnügen.

Ruff achtet peinlich darauf, mit seiner multifunktionalen Kneipe nicht in den Geruch des Raubkopierens zu geraten. Brav überweist er pro bespielter CD 1,34 Mark an die Gema und läßt seine Gäste unterschreiben, daß sie mit ihren Selfmade-CDs keinerlei Geschäfte machen.

Nicht alle von Ruffs Kunden kommen in so offensichtlich unkommerzieller Absicht wie jene Frau, die Kauf-CDs für rund 600 Mark anschleppt, um daraus in der »Kopier-Bar« zwei Geschenk-Discs für ihren Mann zusammenzustellen - mit aufgedrucktem Familienfoto, versteht sich.

Möglich wurde die selbstgemachte CD als Geburtstagspräsent erst durch die in jüngster Zeit stark gefallenen Preise für High-Tech-Geräte. Noch vor wenigen Jahren waren sogenannte CD-Brenner nur in Profiqualität zu haben und kosteten rund 10 000 Mark, heute gibt es die Technik in »Consumer-Ausführung« schon für unter 1000 Mark.

Ruff, der seit 1990 in seinem »Soundman-Shop« teure Hi-Fi-Ware verkauft und CDs für Profis herstellt, fühlt sich zunehmend durch die Schleuderpreise großer Elektronik-Märkte bedrängt - »auch deshalb verlege ich mich mit der ,Kopier-Bar' jetzt mehr auf Dienstleistung. Früher habe ich unseren Kunden den Kaffee einfach so hingestellt, jetzt kann ich Geld dafür verlangen«, sagt der »Kopier-Bar«-Chef.

Beim Kaffee allein soll es aber nicht bleiben. »Wir setzen auf ein futuristisches Bar-Konzept«, sagt Peter Schulz, der für Ruff die »Kopier-Bar«-Idee im Franchiseverfahren vermarktet. An den Verträgen mit Wirten in Leipzig, Rostock und Dresden feilt er bereits, Interessenten gibt es in Stuttgart, Hannover, St. Petersburg und Marseille.

Seine Franchisepartner lockt Schulz mit dem Angebot, sie könnten schon mit acht Prozent Eigenkapital Wirt einer »Kopier-Bar« werden. Den Rest finanzierten Brauereien und Ausstattungsfirmen.

Der Musikliebhaber Rolf Ruff, ein geborenen Schwabe aus Schopfloch, gelernter Bankkaufmann und Betriebswirt, spricht nicht über Zahlen, sondern lieber über eine »Revolution auf dem Musikmarkt«.

Immerhin beansprucht Ruff den Ruhm, 1981 in Berlin das erste Walkman-Fachgeschäft der Welt eröffnet zu haben: Die Idee dazu habe er während einer Zugfahrt zwischen Sydney und Melbourne ausgetüftelt, als er mit seinem in Singapur gekauften, damals gerade neu auf den Markt geworfenen Walkman Haydn hörte.

Für »kleine Gruppen, die bei Sony oder Warner sowieso nie eine Chance hätten«, entwickelte der Tüftler 1995 eine CD-Duplikationsmaschine. »In Zeiten wegbrechender Subventionen sind solche neuen Wege des Marketings gefragt«, sagt Gunther Haupt, ein Cellist, der vor drei Jahren das Orchester »Kammer Sinfonia Berlin« gründete. Dessen beste Stücke werden nun in der »Kopier-Bar« auf ein paar Dutzend CDs gebrannt. Mit denen will Haupt auf Sponsoren- und Veranstaltersuche gehen.

Ruff träumt bereits davon, die »Kopier-Bar«-Produktionen auch im Internet anzubieten, so daß jeder Netsurfer sich seine individuelle CD aus den angebotenen Stücken zusammenstellen kann.

Bislang allerdings kommen nur die anwesenden Bargäste in den Genuß, den dilettierenden CD-Machern bei der Arbeit zuzuhören. »Und bevor das Bier geleert ist, können die Leute die CD auch schon kaufen«, sagt Ruff. Wie bei Karaoke-Shows läßt er jeden ans Mikro - egal ob verwegener Nachwuchsrocker, süddeutscher Religionslehrer, der im Blues-Stil »Auf der schwäbischen Eisenbahn« intoniert, oder verlassener Liebhaber, der für seine Angebetete eine Versöhnungs-CD aufnimmt.

Aufnahmen klassischer Musik legt Ruff nur auf Sonntagvormittage. Dann ist es relativ ruhig im Kreuzberger Kiez - und die Gefahr am geringsten, daß eine Polizeisirene die Aufnahme stört.

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