
Krise in der Sahelzone: Millionen Menschen von Hunger bedroht
Schwere Dürre In der Sahelzone droht eine Hungerkatastrophe
Der Name ist so verheißungsvoll wie irreführend: Sahel bedeutet Ufer. Jemandem, der die Sahara durchquert, mag die Sahelzone tatsächlich wie ein rettendes Ufer jenseits der Wüste vorkommen. Doch im vergangenen Jahrzehnt war der Streifen quer durch Afrika selbst Schauplatz mehrerer Dürren und Hungersnöte - 2005, 2008, zuletzt 2010.
Nun droht Millionen Bewohnern des Landschaftsgürtels wieder eine humanitäre Krise. Seit dem vergangenen Herbst herrscht in vielen Teilen der Sahelzone Dürre. "Es zeichnet sich eine Hungerkatastrophe ab", sagt Sebastian Lesch, Sprecher des Entwicklungshilfeministeriums. Mehr als zehn Millionen Menschen sind von Hunger bedroht, es könnten bis zu 15 Millionen werden.
Noch lässt sich eine katastrophale Entwicklung wie im vergangenen Jahr in Ostafrika abwenden, sagen Helfer in betroffenen Ländern. Dafür bedarf es aber einer gemeinsamen Anstrengung der lokalen Regierungen, der Nichtregierungsorganisationen und der Geberländer. Die ist bislang allenfalls in Ansätzen zu erkennen. "Kommen Hilfsmittel? Nicht genug und nicht schnell genug", sagt Willi Kohlmus, 50, Regionalkoordinator der Welthungerhilfe in Mali. "Wir haben zu wenig zu verteilen." So leben viele Menschen schon jetzt von Notrationen, das sind kaum mehr als ein, zwei Kellen verdünnter Hirsebrei am Tag.
Aktuell sind laut Kohlmus allein in Mali etwa 1,8 Millionen Menschen wegen der Dürre von Hunger betroffen. Das entspreche mehr als einem Viertel aller Gemeinden des Landes - rund 200 von 735. "Etwa fünf Millionen Menschen werden betroffen sein, wenn keine Hilfe kommt", sagt Kohlmus - in einem Land mit kaum mehr als 14 Millionen Einwohnern.
Vorräte gehen in wenigen Wochen zur Neige
In manchen Regionen Malis liegen die Ernteausfälle bei bis zu 90 Prozent. Die Regierung hat als Mindestration pro Person und Monat neun Kilo Hülsenfrüchte, etwa Hirse, festgelegt. "Davon kann sich niemand ernähren", sagt Kohlmus, der seit drei Jahren in Mali arbeitet.
Das Land ist keine Ausnahme. Die Vereinten Nationen sehen Regionen im Senegal, dem Tschad, in Gambia oder Kamerun als gefährdet an. Bereits deutlich drastischer ist die Lage in Burkina Faso, Mauretanien und Niger.
In Niger, 16,5 Millionen Einwohner, sind mehr als sechs Millionen Menschen von Hunger bedroht. Der Regierung zufolge fehlen 700.000 Tonnen Lebensmittel. "Die Situation wird sich auf jeden Fall verschlechtern", sagt Johannes Schoors, 51. Er koordiniert die Arbeit der Hilfsorganisation Care in Niger und ist seit zweieinhalb Jahren im Land. Zwei Millionen Menschen droht innerhalb der nächsten sechs Wochen die Nahrung auszugehen, dem Rest innerhalb von drei Monaten. Die nächste Ernte beginnt frühestens Ende August. Damit bleiben mehrere Monate, in denen die Menschen auf Hilfe angewiesen sind.
Probleme mit der Nahrungsmittelversorgung sind in der Sahelzone keine Ausnahme - es gebe jedes Jahr Ernährungsengpässe, sagt Kohlmus. Allerdings beginnt die Hungerperiode dann erst im April oder Mai - und nicht wie in diesem Jahr schon jetzt. Weil Vorräte in einigen Regionen schon aufgebraucht sind, könnte die Zahl der Hungernden drastisch steigen.
Kombination von Problemen überfordert betroffene Regierungen
Die Dürre allein könnten die betroffenen Staaten vielleicht noch verkraften. Bei einer Kombination von Problemen, wie sie nun auftritt, sind sie trotz Geldreserven und Notfall-Vorräten überfordert - darin sind sich Kohlmus und Schoors einig. Und in diesem Jahr kommen besonders viele ungünstige Umstände zusammen:
- Die letzte Dürre liegt gerade einmal zwei Jahre zurück. Menschen und Tieren blieb keine Zeit mehr zur Erholung, Böden sind immer noch ausgelaugt.
- Regen schaffte keine Abhilfe. Entweder regnete es so stark, dass es zu Überschwemmungen kam - oder es regnete so wenig und zum falschen Zeitpunkt, dass Saatgut aufging, nur um wieder zu verdorren.
- Die Lebensmittelpreise haben sich seit Dezember verdoppelt. In Niger kostete ein 100-Kilo-Sack Hirse vor wenigen Monaten umgerechnet noch 25 Euro, jetzt 50 - nahezu unbezahlbar bei Monatslöhnen von 60 bis 75 Euro für Arbeiter, die oft eine große Familie ernähren müssen.
- Der Fluss Niger hat weit weniger Land überschwemmt als sonst; entsprechend geringer sind die Ernten.
- Die betroffenen Länder müssen zusätzlich mit Rückkehrern aus den Krisenstaaten Elfenbeinküste und Libyen zurechtkommen.
- In Mali erschweren Kämpfe zwischen den Nomaden der Tuareg und der Regierung die Hilfsarbeiten.
Die Zukunft verpfänden, um zu überleben
Die Not lässt Betroffenen keine Chance, langfristig zu planen. Viehhirten verkaufen ihre Tiere. Menschen machen Schmuck zu Geld, lassen Kinder zu Hause, um das Schuldgeld zu sparen. "Wenn sie ihr Eigentum verkaufen, schwächen sie sich für die Zukunft", sagt Schoors.
Und Zukunft heißt nichts anderes als: die nächste Krise. Dauerhaft, so die Helfer vor Ort, lässt sich die Situation nur durch Prävention statt Reaktion verbessern: Neue Anbaumethoden, Saatgut mit kürzeren Reifungszeiten, verbesserter Dünger, Erosionsschutz, Aufbau der Wasserversorgung, Vorratshaltung. Schoors schätzt, dass dafür allein in Niger langfristig 300 Millionen Euro notwendig sind - es ist utopisch, dass das Land diese Aufgabe allein bewältigen soll.
Jetzt ist es zu spät, um vorzubeugen. Die Folgen der Krise lassen sich nur noch abmildern. Helfer haben trotz aller Probleme Hoffnung, eine Katastrophe wie im vergangenen Jahr am Horn von Afrika vermeiden zu können. In den meisten Staaten der Sahelzone herrscht, zumindest im Vergleich mit Somalia, relative politische Stabilität. Allerdings wollen sich manche der betroffenen Regierungen die Krise nicht eingestehen. "In Niger hat man schon im Oktober zugegeben, dass es Probleme gibt, in Mali im November, Burkina Faso hat es bis heute nicht zugegeben", sagt Kohlmus.
Geld und Hilfsmittel fehlen
Während der Welthungerhilfe-Mitarbeiter die träge Reaktion von Malis Regierung kritisiert, lobt Care-Helfer Schoors die Verantwortlichen in Niger: Dort gebe es beispielsweise Frühwarnsysteme und eine Website , auf der aktuelle Informationen einlaufen. Das mache die Koordination der Hilfe für die Regierung, andere Länder und NGO einfacher.
Allein - die beste Infrastruktur nützt nichts, wenn Geld und Hilfsgüter fehlen. Deutschland hat bislang zwölf Millionen Euro bereitgestellt - 2,1 Millionen durch das Auswärtige Amt, 9,9 Millionen durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ). Laut Uno werden allein für die akute Nothilfe mindestens 530 Millionen Euro benötigt, für Essen, Wasser und Medikamente. Hilfslieferungen haben eine Anlaufzeit von einigen Wochen - dann könnte es schon zu spät sein. "Wenn wir nicht schnell reagieren", warnt Care-Helfer Schoors, "kommen wir zum Punkt, dass Tausende Leute verhungern."