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Secret Service: Die Schutzengel der Präsidenten

Foto: Joe Raedle/ Getty Images

Secret Service Die Sch(m)utzengel

Schnell, professionell, furchtlos: Die Agenten des Secret Service gelten als beste Personenschützer der Welt. Das Buch eines US-Journalisten enthüllt, wie die Prätorianer der Präsidenten arbeiten - und was ihre Schützlinge im Weißen Haus so alles treiben.

Hamburg - "Das Weiße Haus", wusste der Psychiater und Kennedy-Vertraute Bertram S. Brown, "ist eine Feuerprobe für die Persönlichkeit." Entweder es forme oder es entstelle den Charakter des Präsidenten. Nur die stabilsten Menschen blieben trotz ihrer Machtfülle und der fortwährenden Unterwürfigkeit ihres Umfelds demütig und bescheiden. Unglücklicherweise zöge das Amt aber vor allem "Leute ohne Prinzipien" an, biegsam, opportunistisch und hungrig nach Applaus.

Glaubt man den Schilderungen der Männer und Frauen, die sich dem Schutz des Präsidenten und seiner Angehörigen verschrieben haben, liegt Brown ganz richtig. Dann nämlich wohnten im Weißen Haus bisher nur in den seltensten Fällen besonders angenehme Zeitgenossen. Der Journalist und Autor Ronald Kessler hat in seinem nun auf Deutsch erscheinenden Buch "Im Secret Service" zahlreiche Erinnerungen der Personenschützer zusammengetragen - die wenigsten davon schmeicheln den Mächtigen.

So verpflichtete etwa der als notorischer Ehebrecher dargestellte John F. Kennedy seine Beschützer, ihn vor der Rückkehr seiner Frau ins Weiße Haus rechtzeitig zu warnen, um die Pool-Planschereien mit mehreren halbnackten Sekretärinnen noch abbrechen zu können.

Lyndon B. Johnson hingegen, Kennedys angeblich häufig betrunkener Nachfolger im Amt, ertappte die Gattin in flagranti mit einer Schreibkraft im Oval Office, wie Kessler zu berichten weiß. Und Jimmy Carter, der sich gern so volksnah gab, verbot demnach seinen Leibwächtern, ihn anzusprechen oder nur anzusehen.

"Den wahren Charakter kennen"

Nun lässt sich darüber streiten, ob es tatsächlich notwendig ist, noch Jahrzehnte nach Ende der jeweiligen Amtszeiten die charakterlichen Defizite früherer Präsidenten öffentlich zu machen. Doch Kessler diskutiert diese Frage in seinem zwar kenntnisreichen, aber wenig liebevoll erzählten Buch nicht: "Das Wahlvolk hat ein Recht, den wahren Charakter seines Führers zu kennen", verfügt der Autor auf sehr amerikanische Weise - und lässt die Personenschützer deshalb viel schmutzige Wäsche waschen.

Richard Nixon sei - man ahnt es - ein Sonderling gewesen, erzählten dessen Leibwächter dem Journalisten. Und Bill Clinton ein Gernegroß, der für einen Haarschnitt an Bord der Air Force One schon einmal stundenlang einen Flughafen lahmlegte. Und Hillary erst: "jähzornig, sarkastisch und streng". Die beiden Bushs hingegen kommen in den Schilderungen der Agenten erstaunlich gut weg und erscheinen bodenständig, warmherzig, witzig.

Was den deutschen Leser indes wohl eher schockieren wird, ist die Vielzahl von US-Politikern, auf die im vergangenen Jahrhundert Attentate verübt worden sind: Es waren Dutzende. "Das Weiße Haus ist ein Magnet für Psychotiker", sagt ein Ex-Agent in Kesslers Buch, ein anderer nennt es ein "Mekka für geistig Auffällige", und beide meinen damit ausnahmsweise nicht die Amtsinhaber.

"Psychisch instabile Menschen"

Seitdem Barack Obama (Codename: "Renegade", also: "Abtrünniger") die Amtsgeschäfte von George W. Bush übernommen hat, steigerte sich laut Kessler die Zahl der Drohungen gegen den Präsidenten um 400 Prozent. "Obamas Charisma und die öffentliche Aufmerksamkeit, die sein Job mit sich bringt, ziehen unwillkürlich psychisch instabile Menschen an", sagte ein Ex-Secret-Service-Agent bereits im September 2008 SPIEGEL ONLINE . Attentäter seien selten politische Überzeugungstäter oder kühl kalkulierende Auftragskiller, sondern zumeist verwirrte Personen, die sich von der Prominenz ihres Opfers animiert fühlten.

Umso Besorgnis erregender erscheinen da die Recherchen Kesslers, der in seinem Buch auch vor zunehmendem Missmanagement und dem allgemeinen Sparwahn beim Secret Service  warnt. Auch während Obamas Amtseinführung seien sensible Bereiche nicht ausreichend kontrolliert worden, schreibt der ehemalige Reporter der "Washington Post", der heute für den Blog Newsmax.com  schreibt.

Zum Beispiel hätten Beamte die Personalien der Spender nicht überprüft, die mehr als 300.000 Dollar für ein Inaugurationsticket bezahlt hätten. Andere wiederum, die dem Präsidenten beim Ablegen des Amtseides ebenfalls sehr nahe gekommen seien, seien nicht neuerlich durchsucht worden, nachdem sie sich zuvor mit unüberprüften Personen in einem Raum aufgehalten hätten.

Die von Kessler aufgedeckten Versäumnisse erinnern an einen Zwischenfall im Weißen Haus, der im vergangenen Jahr für Aufregung gesorgt hatte. Seinerzeit konnten sich drei ungeladene Gäste bei einem offiziellen Abendessen mit Obama einschleichen. In einer Kongress-Anhörung wurden anschließend "nicht zu leugnende Planungs- und Ausführungsfehler des gesamten Secret-Service-Apparats" kritisiert.

Kritik von "aufschlussreich" bis "hirnverbrannt"

Doch damit nicht genug. Dem Buch zufolge verzeichnet der Dienst inzwischen eine starke Abwanderungsbewegung teuer ausgebildeter Personenschützer, die in der Privatwirtschaft deutlich besser bezahlt werden. Den übrigen etwa 3400 Spezialagenten bliebe gleichzeitig immer weniger Zeit für Ruhephasen und Training, viele seien inzwischen völlig außer Form. Und auch an ihrer Bewaffnung werde gespart. "Wir pfeifen auf dem letzten Loch", sagte ein aktiver Agent dem Autor. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Anschlag passiert."

In den USA stieß Kesslers Buch auf gespaltene Kritik. Die Zeitung "USA Today" fand seine Beobachtungen zwar "aufschlussreich und unterhaltend". Die "Washington Post" dagegen, bei der Kessler lange als Reporter gearbeitet hatte, nannte das Buch eine Kollektion "hirnverbrannter und endloser Anekdoten": Kessler habe die "saftigsten Gerüchte, die er kriegen konnte", einfach mit den "weitschweifenden Beschwerden" der Agenten zusammengerührt, das Ergebnis sei "langweilig und wohlbekannt".

Die meisten Rezensenten wiesen außerdem daraufhin, dass Kessler sich in den letzten Jahren vor allem als konservativer Blogger einen Namen gemacht hat. Deshalb kämen republikanische Präsidenten wie Reagan und die Bushs in seinem Buch auch meist besser weg als demokratische wie Kennedy, Johnson oder Clinton.

"Nie am falschen Ende gespart"

Der Direktor des Secret Service, Mark Sullivan, bestreitet die schlechte Verfassung seines Dienstes in Kesslers Buch: Es werde "nie am falschen Ende gespart", sagte er: "Wir tun alles, um zu gewährleisten, dass wir die Aufgaben erfüllen, die wir zu erfüllen haben."

Eine Studie, aus der Kessler zitiert, kam hingegen schon vor Jahren zu dem Ergebnis, dass die Gefahren, denen sich die Agenten bei ihrer Arbeit aussetzen mussten, "keine Quelle signifikanten Stresses" waren. Was den Beamten viel stärker zusetzte, als die Aussicht, sich vor einen Menschen werfen zu müssen, auf den gerade geschossen wird, war der "extrem autoritäre Führungsstil" der Behörde. Und daran habe sich seither wenig geändert, so Kessler.

Trotz schwerer Waffen, grimmiger Visagen und großer Verantwortung sind die Agenten des Secret Service ebenso wie ihre Schützlinge vor allem eines: Menschen, die unter großem Druck stehen, und Menschen, die Fehler machen.

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