Dieser Beitrag wurde am 23.01.2017 auf bento.de veröffentlicht.
Alina erzählte es am Telefon ganz ruhig, als sei das alles normal. Wie sie plötzlich Männerhände an Po und Brüsten spürte. Die Küsse gegen ihren Willen. Und wie sie, Alina Sonnefeld aus Jena, sich schließlich mit einem Brief dagegen wehrte . Ich legte nach dem Interview auf, irgendwie Alltag. Die Arme, dachte ich. Sowas ist mir ja noch nie direkt passiert.
Dachte ich.
Bis ich abends im Bett lag, da rasten plötzlich all diese Momente durch meinen Kopf, in denen ich auf eine Art angeschaut, angesprochen oder berührt wurde , die ich nicht wollte.
Plötzlich merkte ich: In 29 Jahren bin ich unzählige Male belästigt worden, wie wahrscheinlich fast alle Frauen sagen, wenn man sie länger darüber nachdenken lässt.
Da war dieser Typ, der sich in der Sauna im Fitnessstudio einen runtergeholt hat. Noch nicht mal mehr unter dem Handtuch, sondern ganz offen, während er zu mir und meiner Begleitung starrte. Fassungslos und mit rasenden Herzen verließen wir die Sauna, ohne ein Wort, erst später meldeten wir den Typen. Das war vor etwa drei Jahren.
Beiträge: Sexueller Missbrauch
Aber es ging schon viel früher los. Nicht immer so krass, aber immer unangenehm. In einer Bar in der ich mit 19 gearbeitet habe, haute mir ein Fremder auf den Hintern. Mit voller Wucht. Das war nicht nur anzüglich, das war auch schmerzhaft. Die Security ließ ihn gewähren. Ob er an dem Abend noch weitere Frauen begrapscht hat, keine Ahnung.
Weil es für mich alltäglich ist.
Obwohl wir die große Debatte hatten, den #Aufschrei. Die Feministin Anne Wizorek bündelte mit anderen unter dem Hashtag Geschichten vieler einzelner Frauen, zu einer großen, sichtbaren Masse. Das Thema Sexismus bekam eine ungeheure Aufmerksamkeit.
Und deswegen ist es so wichtig, dass mutige Frauen wie Alina Sonnefeld immer wieder darauf hinweisen, nicht lockerlassen und dem Thema den Raum geben, den es braucht.
Den Raum, den ich mir selbst nicht zugestanden habe.
Immer wieder bin ich weggegangen, habe mich entzogen, die Konfrontation gescheut. Habe es abgetan. Die Hand des Bekannten in der Bar, die viel niedriger an der Hüfte sitzt, als sie müsste. Der Typ in der Bahn, der seltsam nah kam. Die anzüglichen Bewegungen, der unverhohlene Blick ins Dekolleté. Der fremde Mann, der meinen schwangeren Bauch berührte und mir dabei in die Augen starrte.
Warum?
Es gab nicht nur einen Grund dafür, wird mir klar. Mal wollte ich nicht die dumme Zicke sein, die den ungewollten Flirt vor den Kopf stößt. Mal dachte ich, ich sähe Gespenster. Vielleicht ist seine Hand zufällig auf meinem Knie, es ist ja auch eng hier in der Bahn. Mal war ich einfach zu perplex. Mal hatte ich dieses ungute Gefühl, das in mir aufstieg erst später als Belästigung zu deuten gewusst.
Aber warum denke ich so? Warum suche ich die Schuld bei mir?
Sexuelle Belästigung ist so alltäglich, dass ich sie nicht immer bemerke. Dass ich überrascht bin, wenn sie mir widerfährt. Dass ich nicht weiß, wie ich mich wehren soll. Dass mir mein Gegenüber leidtut. Vielleicht bin ich selber Schuld? Habe die falschen Signale gesendet?
Und überhaupt: Ich hätte ja was sagen können.
Ich habe nichts gesagt, weil es mir unangenehm war. Weil ich mich geschämt habe. Auch wenn es absurd ist.
In einem Urlaub (mit 20), fragte mich ein 70-Jähriger, ob ich mit ihm für 50 Dollar ins Bett gehe und schaute so lüstern, dass ich verzweifelte. Ich meldetet es der Hostel-Leitung. Der Mann flog aus der Jugendherberge. Einem Bekannten tat er leid, er fragte, warum ich so hart sei. Der 70-Jährige sei doch nur einsam gewesen.
Und hier ist der Punkt: Es ist ganz egal, wie einsam dieser Mann war. Ich muss mich nicht fragen, wie es dem anderen mit der Situation geht. Sondern mich selbst, wie es mir damit geht. Und ich muss keine Belästigung akzeptieren. Für keinen einzigen Moment.
Es macht mich wütend, mein Gedankenkarussell, mein Reflex, zu verdrängen. Und es gibt nur ein Mittel: Nein sagen. Immer und immer wieder. Auch wenn es belanglos scheint. Darüber reden. Immer und immer wieder – auch wenn es gebetsmühlenartig scheint. Und Belästigung zu melden – denn es gibt keinen Grund sich zu schämen.
Nicht einen einzigen.