Simultane Anschläge auf Flugzeuge geplant Terrorfahnder verhindern Massenmord über den Wolken

Die britische Polizei hat nach eigenen Angaben in London einen "Massenmord unvorstellbaren Ausmaßes" verhindert. Terroristen wollten mindestens sechs Passagierflugzeuge zum Absturz bringen. Die US-Regierung vermutet das Terrornetzwerk al-Qaida als Drahtzieher.

London - Die Täter wollten im Handgepäck Bomben an Bord der Maschinen schmuggeln und auf Transatlantikflügen in die USA zünden, teilte die Polizei mit. Wie viele Flugzeuge von den geplanten Anschlägen betroffen gewesen seien, sagte sie noch nicht. SkyNews berichtet allerdings von sechs Maschinen, BBC von zehn. Sicherheitsexperten zufolge seien mutmaßlich Anschläge mit Flüssigsprengstoff geplant gewesen. Das legen auch die derzeitigen Kontrollen auf britischen Flughäfen nahe, bei denen Passagiere fast alle Flüssigkeiten abgeben müssen.

21 Menschen wurden gestern in Zusammenhang mit den Anschlagsplänen in Großbritannien festgenommen. Unter Berufung auf ihren Polizeireporter bezeichnet SkyNews auf seiner Webseite die Verdächtigen als überwiegend junge Briten mittel- und südasiatischer Herkunft. Den Festnahmen waren nach Angaben der Polizei mehrmonatige verdeckte Ermittlungen vorausgegangen. Dem britischen Innenminister John Reid zufolge sind die Hauptverdächtigen verhaftet worden. Er sagte, der Terror-Plot habe - was die mögliche Zahl der Opfer betrifft - ein "bislang nie da gewesenes Ausmaß". Die komplexe Anti-Terror-Operation sei längst nicht beendet.

Aus amerikanischen Geheimdienstkreisen verlautete, an dem Terrorplan seien bis zu 50 Menschen beteiligt gewesen. Sie hätten noch nicht in den Flugzeugen gesessen, seien dem Abflug aber sehr nahe gekommen.

Der Londoner Flughafen Heathrow wurde für aus Europa kommende Flüge weitgehend gesperrt. Flüge mit einer Dauer von drei Stunden oder weniger dürften in Heathrow vorerst nicht mehr landen, teilte ein Flughafensprecher mit. In den Wartehallen bildeten sich lange Schlangen, während die Passagiere über verstärkte Sicherheitsmaßnahmen informiert wurden.

Die Handschrift von al-Qaida

Die Pläne ließen auf al-Qaida schließen, sagte US-Heimatschutzminister Michael Chertoff heute: "Sie sind ausgeklügelt, viele Leute haben dabei mitgewirkt und sie sind von internationalem Ausmaß." Die Untersuchungen seien aber bislang nicht abgeschlossen und daher könne die Täterfrage noch nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Ziel der Anschläge waren SkyNews zufolge Maschinen der US-Fluggesellschaften United, Continental und American Airlines.

Die USA würden nun bewaffnete Flugbegleiter (Air Marshals) nach Großbritannien entsenden, um dort die Anstrengungen für eine Verbesserung der Sicherheitslage zu unterstützen. Den Luftverkehr in den USA bezeichnete Chertoff trotz der Londoner Ereignisse als sicher. Es seien entsprechende Vorkehrungen getroffen worden. Die US-Regierung hat inzwischen die höchste Warnstufe für Flüge aus England ausgerufen. Für alle anderen Flüge gilt die zweithöchste Alarmstufe.

US-Justizminister Alberto Gonzales hat die von der Regierung in London bekannt gegebene Aufdeckung von Terrorplänen in Großbritannien als Beweis gewertet, "dass wir uns nach wie vor im Kriegszustand befinden". Terroristen seien weltweit ständig dabei, Pläne zum Töten unschuldiger Zivilisten auszuarbeiten, sagte Gonzales heute in Washington. Er würdigte die "große Wachsamkeit" der britischen Behörden.

Auch der britische Terrorexperte Paul Beaver sagte, das Handgepäck sei eine Schwachstelle im Sicherheitskonzept an Flughäfen: "Schon ein Laptop kann genug Sprengstoff enthalten, um ein Flugzeug in die Luft zu sprengen." Das Muster der geplanten Anschläge lasse auf die al-Qaida als Urheberin schließen. In den vergangenen Monaten habe die Gruppe schließlich mehrfach gedroht, britische und US-amerikanische Ziele im Luftverkehr als Rache für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan ins Visier zu nehmen. "Ich sehe da eine direkte Verbindung", sagte Beaver. Andere Terrorexperten wie der Deutsche Rolf Tophoven teilen diese Einschätzung: "Wenn das eine Paralleloperation gewesen sein soll, dann entspricht das dem Muster, wie wir es von al-Qaida kennen", sagte er.

Der britische Innenminister Reid hatte gestern bei einem Gespräch mit den Mitarbeitern eines Thinktanks dem "Guardian" zufolge vor einer akuten Terrorgefahr gewarnt und für eine Verschärfung der Anti-Terrorgesetze plädiert. Seiner Ansicht nach steht Großbritannien "wahrscheinlich vor der am längsten anhaltenden Phase ernsthafter Bedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg".

Der britische Premierminister Tony Blair, der derzeit in der Karibik Urlaub macht, informierte US-Präsident George W. Bush telefonisch über die Entwicklung. Das Innenministerium in London erhöhte die Sicherheits-Warnstufe heute auf "kritisch", die höchste von fünf Kategorien. Sie wird nur bei unmittelbar drohenden Anschlägen ausgerufen. Bislang hatte das auf der Homepage des Inlandsgeheimdiensts MI5 veröffentlichte Warnsystem das Risiko eines Terroranschlags als "ernst" eingestuft.

Das Bundesinnenministerium hat nach den vereitelten Terroranschlägen von London die Luftsicherheitsmaßnahmen für Deutschland verschärft. Man habe "vorsorglich" erhöhte Luftsicherheitsmaßnahmen angeordnet, teilte das Ministerium heute mit. Weitere Einzelheiten wollte die Behörde unter Hinweis auf die laufende Operation der britischen Sicherheitsbehörden nicht bekannt geben. Die Bundesregierung stehe "in engem ständigen Kontakt mit den britischen Behörden". Das Innenministerium empfahl Flugpassagieren, "frühzeitig vor Abflug" zu den Sicherheitskontrollen zu erscheinen.

Der Flughafen Heathrow war schon einmal Ausgangspunkt eines Terroranschlags: Am 21. Dezember 1988 stürzte über der schottischen Ortschaft Lockerbie eine Boeing 747 der Pan Am ab, nachdem eine Bombe an Bord explodiert war. Alle 259 Menschen an Bord und weitere elf am Boden starben. Der Sprengsatz war in einem tragbaren Radio versteckt. 2003 übernahm Libyen die Verantwortung für den Anschlag und kündigte Entschädigungszahlungen an.

str/AP/ddp/reuters

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