Wie der Gender-Filter auf Snapchat unsere Geschlechter-Klischees enthüllt

Sprengt er unsere Vorurteile oder bestätigt er sie nur?

Dieser Beitrag wurde am 17.05.2019 auf bento.de veröffentlicht.

Die Mutter von Dieter Bohlen ist jetzt auf Instagram. In einem Video erzählt sie mit breitem Grinsen und langen, blonden Haaren von der wilden Schulzeit ihres Sohnes. Ihre Haut ist makellos. Nur die tiefe Stimme passt nicht ganz, und das Kinn verformt sich beim Sprechen. Das Video zeigt nicht die Mutter des Produzenten, sondern ihn selbst und einen Filter. Genauer gesagt: Den zur Zeit vielleicht bekanntesten Snapchat-Filter der Welt.

Mit dem Gender-Filter hat Snapchat mal wieder Aufmerksamkeit auf allen Plattformen.

Denn um den sogenannten "Genderswap"- oder "Gender-Filter" ist seit Tagen ein regelrechter Hype entstanden. Menschen weltweit verändern mit ihm ihr sichtbares Geschlecht. Oder machen sich noch weiblicher oder männlicher als sie aussehen. Darunter sind nicht nur deutsche Prominente wie Dieter Bohlen und Til Schweiger, sondern auch internationale Stars wie Miley Cyrus oder die englische Cricket-Nationalmannschaf t.

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Obwohl viele den Filter für Insta-Stories oder auf Twitter nutzen, kommt er eigentlich von Snapchat. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Snap-Filter auch außerhalb der App zum Phänomen wird. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil der Messenger bei den Nutzerzahlen eigentlich längst von Instagram überholt wurde. Nur:

Wofür steht der Gender-Filter eigentlich?

Während für viele Nutzerinnen und Nutzer der "Gender Swap" einfach nur ein lustiger Spaß ist, mit dem man sogar auf Tinder Erfolg haben kann (Buzzfeed ), ärgern sich andere über den Effekt: Zementieren Selfies von Männern mit virtuellen langen Haaren und digitaler Schminke im Gesicht nicht auch unangenehme Klischees über Frauen und umgekehrt? Geht es beim Gender-Filter am Ende vielleicht nur darum, zu bestätigen, wie unweiblich echte Typen wie Dieter Bohlen und Til Schweiger in Wirklichkeit sind?

Schmerzhafter Hype oder verspielter Filter?

Mit dem Filter können wir an unserer Identität drehen, das macht den Effekt so erfolgreich. Wie finden das eigentlich Menschen, die nicht nur mal eben in einer App an ihrem Aussehen schrauben, sondern sich ganz bewusst für eine sichtbare Veränderung entscheiden, und damit einen oft langen und schwierigen Prozess?

Wir haben in unserer Facebook-Gruppe "Queer in Deutschland" nachgefragt. Auch dort wurde in den vergangenen Tagen über den Gender-Filter diskutiert. 

Queer in Deutschland

Du lebst queer oder interessierst dich für das Thema? In unserer Facebook-Gruppe diskutieren wir über queeres Leben in Deutschland. Hier kannst du Mitglied werden. 

Wir nehmen nur Menschen in unsere Community auf, die ein echtes Interesse an LGBTQ-Themen zeigen und noch im bento-Alter sind. Ein vertrauter Austausch ist uns wichtig. Deswegen kann es manchmal etwas dauern, bis neue Anfragen beantwortet werden.

Die Reaktionen waren dabei ganz unterschiedlich. Sie zeigen vor allem, dass auch junge queere Menschen sehr unterschiedlich über queere Themen denken können – und viele selbst gerne mit Filtern und Effekten spielen. Manche finden den Hype dennoch fragwürdig. Um die Identität der Gruppenmitglieder zu schützen, zitieren wir sie hier nur mit Vornamen.

Manche Mitglieder wie Erik sehen die Effekte des Gender-Filters eher kritisch:

Es bestärkt bestehende Geschlechterklischees, indem Männer mit Bart und Augenringen dargestellt werden und Frauen mit auffälligem Make-up. Ich finde, dass damit die Lebensrealitäten von nicht-binären Menschen zu einer Unterhaltungsshow gemacht werden.

Erik J.

Auch Lean denkt ähnlich über den Filter – sieht aber auch Vorteile:

Klar geht es um Klischees, das ist nicht der Burner. Aber wenn es dabei hilft, dass sich Leute damit beschäftigen, dass es mehr Optionen als nur das biologische Geschlecht gibt, und das irgendwie zum Thema wird, finde ich, ist es das locker wert.

Lean V.

So geht es auch anderen Mitgliedern der "Queer in Deutschland"-Gruppe:

Ich fand es bisher einfach nur ziemlich lustig. Ich habe es irgendwie noch nicht in Zusammenhang damit gebracht, dass ich selbst trans bin. Snapchat benutze ich nicht. In was soll mich die App auch verwandeln? Ich bin doch schon ein Mann.

Desideria R.

Andere junge Transsexuelle sehen es ähnlich und erzählen von ihren eigenen Erfahrungen mit Snapchat-Filtern:

Ich als trans hab auch damals damit gespielt. Eine Freundin schickte mir letztens ein Bild mit so einem Filter. Dazu schrieb sie: 'Schau, ich bin jetzt bärtig – so wie du nur ohne testo'. Das war ganz witzig. Also alles cool. Es gibt so so vieles, das dramatisiert wird, aber das is doch echt eher ein Gag. Und mit solchen filtern wird niemand auf die Füße getreten.

Jim R.

Auch Lena geht es so. Dass der Hype allerdings etwas an der Diskussion um transsexuelle Menschen verändert, glaubt Lena nicht: 

Ich habe mir schon mit so ner App einen Bart auf mein Gesicht gemacht, als ich noch gar nicht wusste, dass ich trans* bin. Was ich damit sagen will: Wir sollten solchen Spielereien nicht so große Bedeutung beimessen. Denn sichtbarer werden wir Transpersonen dadurch in der Öffentlichkeit auch nicht.

Lena C.

Andere Mitglieder der Gruppe finden den Trend dagegen gut und hoffen, dass er vielleicht sogar Klischees aufbrechen kann. So wie Milly:

Ich finde, dass es eine gute Idee ist, um unsere Gesellschaft ein wenig zu sensibilisieren. Natürlich gibt es bessere Varianten, aber es ist ein guter Anfang.

Milly B.

Für manche Menschen könnte der Gender-Filter vielleicht tatsächlich mehr sein als nur ein Spaß. Und auch zum Nachdenken anregen: Wie will ich von anderen wahrgenommen werden? Auf Snapchat und Instagram können wir damit spielen. Das verändert nicht die Welt. Aber immerhin unser Gesicht. Oder um es sehr frei mit der Drag-Ikone Ru Paul zu sagen: We're all born naked. Ze rest is filter. 

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