Zur Ausgabe
Artikel 54 / 119

Freizeit Spaß haben

Streetball zieht in die Diskotheken um: Teenager treffen sich zum »Baskethouse«.
aus DER SPIEGEL 46/1993

Wenn die Schülerin Mara, 15, aus Hamburg »Bock auf Basketball« hat, dann geht sie neuerdings in die Disco. In der Großen Freiheit 36, unweit der Reeperbahn, kämpfen jeden zweiten Sonntag Mädchenteams wie die »Tatjanas« oder die »Assisters« mit den Jungen von »West Coast Fifties« oder »Terror Air Knees« um Rebounds und Punkte.

Aus den Boxen dröhnen Rap und harte Hip-Hop-Beats. Auf der Tanzfläche steht ein Korb. Etwa 200 Teenager begutachten die Akteure bei Mombo (Wurfantäuschung), Blind Pass (verdecktes Zuspiel) oder dem spektakulären Slam Dunk, bei dem der Ball mit Kraft im Korb versenkt wird. »Baskethouse« nennt der Student der Betriebswirtschaftslehre Stefan Eggerstedt, 28, die von ihm erfolgreich in Szene gesetzte Veranstaltungsreihe, in Deutschland die erste ihrer Art. Sein Konzept ist Sport, Musik und Party - nach dem Sportschweiß fließt der Tanzschweiß.

Basketball in der Disco ist die neueste Variante eines Freizeitvergnügens, dem sich in diesem Jahr die deutschen Teenager leidenschaftlich hingeben.

Selten ist eine Sportart derart schnell so beliebt geworden. 25 000 neue Spieler meldeten sich dieses Jahr bei den 1600 deutschen Vereinen an. Bei 12bis 20jährigen steht Basketball so hoch im Kurs wie Fußball.

Vor allem die Variante, die aus den schwarzen Ghettos von New York und Los Angeles stammt: drei gegen drei, ein Korb, kein Schiedsrichter. Oberste Spielregel ist Fair play, obwohl es im Kampf um »apple« (Ball) und »hoop« (Korb) schon mal hart zur Sache geht. Wer sich gefoult fühlt, hebt kurz den Arm - der Ballbesitz wechselt, das Spiel geht weiter. Streit ist bei Streetball-Trios verpönt, weil das »uncool« wäre.

»Cool« ist die zentrale Vokabel der Szene. Kopiert wird das Lebensgefühl der Schwarzen; Vorbilder sind neben den US-Spielern Michael »Air« Jordan und Charles Barkley auch die Helden aus den Hip-Hop-Videos, die auf MTV laufen. Streetball ist ein Kult-Cocktail aus Sport, Musik, Sprache und spezieller Kleidung: knielange Shorts, schlabbrige Shirts und Sweater, knöchelhohe, bis zu 400 Mark teure Basketballstiefel und Baseballmützen, die mit dem Schirm nach hinten zu tragen sind.

Der Sportartikelhersteller Adidas, dem lange ein verstaubtes Turnhallen-Image anhing, eroberte mit Streetball-Turnieren in Europa Terrain zurück. Adidas-Manager Michael Klein konstatiert eine »erfreulich hohe Akzeptanz bei den 10- bis 20jährigen und eine Verdoppelung des Absatzes von Textilien und Bällen«. Im nächsten Jahr soll es wieder Wettbewerbe geben, mit »noch mehr Teams und weltweit. Wir werden ordentlich einen drauflegen«, sagt Klein.

Das alles interessiert die Kids in der Großen Freiheit nicht. Mara will »einfach Spaß haben«. Und Basketball a la Baskethouse hat einen tollen Nebeneffekt: »Endlich einmal hat meine Mutter nichts zu meckern, wenn ich in die Disco gehe.« Y

Zur Ausgabe
Artikel 54 / 119
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren