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Problem bei Produktion: Stinkewolke nach Chemieunfall in Rouen

Foto: CHARLY TRIBALLEAU/ AFP

Chemieunfall in Rouen Stinkende Gaswolke beunruhigt Franzosen

Der Gestank hat sich über große Teile Frankreichs und bis nach England ausgebreitet: Aus einer Fabrik in Rouen tritt ein Gas aus, das Leck konnte in zwei Tagen nicht gestopft werden. Toxikologen bezweifeln, ob alles so harmlos ist, wie zunächst behauptet. Nun reist die Umweltministerin an.
Von Simone Utler

Hamburg - Für Delphine Batho ist der Vorfall wichtig genug, um die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des deutsch-französischen Elysée-Vertrags in Berlin zu verlassen. "Abreise aus Berlin, um mich nach Rouen zu begeben", twitterte die französische Umweltministerin .

Denn in Rouen hat es einen Chemieunfall gegeben. Aus einer Fabrik des Unternehmens Lubrizol  tritt seit Montagmorgen das Gas Methanthiol, auch Methylmercaptan genannt, aus. Bis Dienstagnachmittag war das Leck noch nicht gestopft. Eine stinkende Wolke erstreckte sich über mehr als 350 Kilometer in Frankreich und hat sogar schon England erreicht.

Alles ganz harmlos, betonten Betreiber und Behörden. Das französische Innenministerium verkündete sogar, es bestehe "keine Gefahr für die Gesundheit" von Menschen. Die Bewohner der Normandie und des Großraums Paris wurden ausdrücklich aufgerufen, nicht weiter den Notruf zu wählen. Tausende besorgte Franzosen hatten zuvor die Leitungen der Rettungsdienste überlastet.

Doch kann man zu diesem Zeitpunkt wirklich schon Entwarnung geben?

Methanthiol kann harmlos sein. "Es wird auch im menschlichen Körper gebildet, kommt in Darmgasen vor", sagt Toxikologe Eberhard Nies vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung  (IFA). Damit habe man eine Vorstellung, wie es derzeit in weiten Teilen Frankreichs rieche. "Wenn es stinkt, bedeutet es nicht unbedingt, dass das Gas auch gesundheitsschädlich ist."

Auch das Innenministerium betonte, das Gas sei bereits zu riechen, lange bevor es toxische Konzentrationen erreiche. Mehrere Experten versicherten, das Gas sei in schwacher Konzentration nicht gesundheitsschädlich.

Das unsichtbare Methanthiol wird wegen seines fauligen Geruchs dem geruchlosen Haushaltsgas zugesetzt, damit Gaslecks leichter bemerkt werden können. Doch dies ist in diesem Fall mitnichten der Grund für die riesige Stinkewolke über Frankreich. Aus dem Werk in Rouen tritt das Gas aufgrund eines Chemieunfalls aus.

Panne bei der Produktion

"Während des normalen Produktionsprozesses ist etwas schiefgegangen", sagte Unternehmenssprecherin Nathalie Bakaev. Bei dem Prozess würden Zusatzstoffe für Schmieröl hergestellt. Aus diesem Produkt sei das Methanthiol entwichen. "Das Problem ist noch nicht behoben", räumte die Sprecherin am Dienstagnachmittag ein. Es dauere eine ganze Weile, bis der Prozess angehalten werden könne.

Die gesamte Produktion in dem Werk wurde vorläufig gestoppt. Die französischen Behörden ordneten einen Notfallplan an.

Methanthiol kann nämlich durchaus gefährlich sein. "Die Toxizität hängt ab von der Konzentration des Methanthiols in der Luft und von möglichen anderen Bestandteilen des freigewordenen Gemischs", sagt Nies. Wenn es bei einem Prozess frei wird, könnte es von anderen Stoffen begleitet werden, beispielsweise von Oxiden. "Und die könnten Reizungen auslösen."

Auch Methanthiol kann Augen und Atemwege reizen. Nach Angaben des französischen Instituts für Forschung und Sicherheit (INRS) kann es bei Personen, die dem Gas direkt ausgesetzt sind, zu Lungenproblemen, Schwindel, Übelkeit und Bewusstseinsstörungen kommen. In sehr hohen Konzentrationen kann Methanthiol tödlich sein.

Seit Montag auf dem Gelände - und keine Probleme

"In der Tat ist das Gas so stark, dass es Irritationen auslöst", räumte die Sprecherin ein. Sie sei jedoch seit Montag auf dem Gelände und fühle sich nicht schlecht.

Tausende Franzosen sind beunruhigt, mehrere Anwohner der von der Gaswolke betroffenen Regionen meldeten körperliche Beschwerden. Mitarbeiter des Werkes sind dem Unternehmen zufolge nicht betroffen. "Der Unfall geschah um 8 Uhr, da waren noch kaum Arbeiter in der Anlage. Anschließend durfte keiner mehr das Gelände betreten", erklärte Bakaev. Es habe keine Schäden in dem Werk gegeben.

Wie hoch die Belastungen auf dem Werksgelände und in anderen Regionen sind, ist nicht bekannt. Auf die Frage nach den Werten verwies die Lubrizol-Sprecherin auf Tests der Feuerwehr, wonach das ausgetretene Gas nicht giftig sei. Angaben zu den Daten machte sie aber nicht: "Die Werte liegen mir nicht vor."

"Die müssten eigentlich die Fakten auf den Tisch legen", sagt Toxikologe Nies. Dann könnte man die tatsächliche Lage einschätzen. "Normalerweise sollte ein Unternehmen in einem solchen Fall chemische Analysen durchführen lassen." Nach europäischer Chemikaliengesetzgebung seien Hersteller und Importeure bestimmter Chemikalien verpflichtet, selbst unter normalen Bedingungen Grenzwerte für die Allgemeinheit abzuleiten. Auch dazu machte die Lubrizol-Sprecherin jedoch keine Angaben.

Bakaev betonte, das Unternehmen kehre den Fall mitnichten unter den Teppich. Unmittelbar nach dem Unfall am Montag seien vor Ort die Behörden eingeschaltet und die Medien informiert worden. Auch werde die Betriebsfeuerwehr von zwei Experten der Feuerwehr von Rouen unterstützt. Zusammen mit den Behörden werde nun nach der Unfallursache gesucht.

mit Material von AFP

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