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Indien: Hundefreunde in Neu-Delhi

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Hundefreunde in Indien "Menschen gibt es viel zu viele"

Auf Indiens Straßen tobt ein erbitterter Streit: Hundeliebhaber füttern herrenlose Hunde - inzwischen stromern dort 25 Millionen herum. Wie gefährlich sind die Tiere?

Nur vier Hunde sind an diesem Nachmittag zur Futterstelle im Neu-Delhier Stadtteil Vasant Kunj gekommen. Wenig interessiert umkreisen die Straßenhunde die metallenen Fressnäpfe, die Sonya Ghosh aus ihrem Kofferraum heraus mit einer Mischung aus Reis, Weizen und Hähnchenklein füllt. "Inzwischen füttern auch andere Leute hier im Viertel meine Lieblinge", so erklärt Ghosh das geringe Interesse und die Leibesfülle der Tiere.

Etwa 30 Straßenhunde leben in der kleinen Siedlung, die auch Ghosh ihr Zuhause nennt. Die 56-jährige Universitätsdozentin sorgt dafür, dass es nicht weniger werden: "Eine Zeit lang haben mich Anwohner verfolgt und beschimpft. Sie haben versucht, die Hunde zu vertreiben. Sie haben gesagt, dass mein Essen die Tiere anlockt und Kinder und Erwachsene gebissen worden seien", sagt die Aktivistin.

Jeden Tag versorgt Ghosh 230 Hunde in der Umgebung. Den Nörglern habe sie es gezeigt: "Ich habe zwei Leute wegen Diffamierung verklagt, das hat die richtig Geld gekostet." Inzwischen würden die Hundehasser sie in Ruhe lassen.

Kampf zwischen Tierliebhabern und Hundehassern

Ghosh glaubt fest daran, dass ihre Arbeit einem guten Zweck dient. "Tiere sind die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Wer ihnen hilft, wird zum besseren Menschen", sagt sie.

Der Streit über die Straßenhundepopulation in Indien wird immer erbitterter. Schätzungen zufolge leben etwa 25 Millionen herrenlose Hunde im Land. Die Tiere sind für etwa 17 Millionen Hundebisse jährlich verantwortlich, sagt Rozario Menezes. Der in Goa ansässige Kinderarzt ist Vorsitzender der Organisation "Menschen für die Ausrottung von Straßentieren".

"Ich sehe in meiner Praxis das entsetzliche Leiden, das diese Köter verursachen", sagt der Arzt. Indien müsse - "wie alle anderen zivilisierten Nationen" - eine Politik betreiben, wonach Hunde entweder ein Heim haben oder im Tierheim und dann beim Abdecker landen. "Die Sicherheit der Menschen muss an oberster Stelle stehen."

Tollwut und Bissattacken unter rechtlichem Schutz

Inder, die das Füttern der Straßenhunde kritisch sehen, argumentieren auch, dass Wohltäter statt der Tiere lieber Menschen ernähren sollten. 230 Millionen Inder hungern. Auf dem Welthungerindex schneidet das Land weit schlechter ab als die Nachbarn Pakistan, Bangladesch und Nepal. Ghosh gibt umgerechnet 500 Euro monatlich für die Hundeverköstigung aus, mehr als ein indischer Lehrer verdient. Sie will das Geld nicht für hungernde Menschen verwenden. "Dafür ist die Regierung zuständig und die kümmert sich nicht."

Mit immer mehr Hunden häufen sich die Nachrichten von tödlichen Angriffen auf Menschen. In der Region Bareilly im Bundesstaat Uttar Pradesh starben in den ersten vierzig Tagen diesen Jahres fünf Menschen nach Attacken durch Hundemeuten, unter anderem ein siebenjähriges Mädchen und ein zwölfjähriger Junge. Eltern in der Region schicken ihre Kinder aus Angst vor den Tieren nicht mehr in die Schule.

Indien hat zudem ein enormes Tollwutproblem. Die Weltgesundheitsorganisation registriert im Land pro Jahr durchschnittlich 20.000 Todesfälle durch die vor allem durch Hundebisse übertragene Krankheit - das ist ein Drittel aller Tollwuttoten weltweit. Ein landesweites Impf- und Sterilisationsprogramm hat Lücken.

"Menschen gibt es in Indien viel zu viele"

Der indische Staat tut wenig, um die Straßenhunde zu kontrollieren. Der Grund: Laut Artikel 51A(g) der indischen Verfassung ist es die Aufgabe jedes Bürgers, die Umwelt zu schützen und Mitgefühl für jedes Lebewesen zu zeigen. Nach indischem Recht ist es illegal, Straßenhunde von ihren Lagerplätzen zu vertreiben - auch wenn die vor der eigenen Haustür sind.

Wenn die Behörden aktiv werden, fangen Hundefänger die aufdringlichen Tiere zwar ein - aber nur, um sie ein paar Tage später geimpft und sterilisiert wieder an ihrem Stammplatz abzuladen. Das staatliche "Animal Welfare Board of India" lässt keinen Zweifel, auf wessen Seite die offiziellen Stellen stehen: Sollte ein Straßenhund schnappen oder beißen, "soll dem menschliche Aggressor die alleinige Schuld zuerkannt werden".

Der Kinderarzt Menezes versucht, vor dem Obersten Gericht die Gesetze zum Schutz der Hunde aufzuweichen. Die Richter sollen entscheiden, ob es erlaubt sein soll, einen Straßenhund zu töten, wenn der sich als öffentliches Ärgernis erwiesen habe.

Hundeaktivisten sind alarmiert: "Statt der Hunde sollte lieber die Menschenpopulation in Indien dezimiert werden", sagte Geeta Seshamani, die in Neu-Delhi den angesehenen "Verband zur Ausrottung der Grausamkeit gegenüber Tieren" betreibt. "Menschen gibt es in Indien viel zu viele."

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