Wann ist es sinnvoll nach der Trennung der Eltern eine Therapie zu machen? Ein Experte gibt Antworten.
Dieser Beitrag wurde am 12.04.2019 auf bento.de veröffentlicht.
Millennials sind die erste Generation, die in großen Zahlen von den Scheidungen der Eltern betroffen ist: Erst in den 80er Jahren stieg die Scheidungsrate auf fast 30 Prozent, in den 2000ern dann auf fast 50 Prozent (Statista). Was macht das mit unserer Generation? Und wie beeinflusst einen die Trennungen der Eltern auch noch Jahre später?
Dr. Claus Koch ist Autor, Psychologe und Leiter des Pädagogischen Instituts Berlin.
Wir haben ihn gefragt, ob es Spätfolgen haben kann, wenn die Eltern sich trennen, was mit Kindern in dem Moment passiert – und wann es sinnvoll ist, eine Therapie zu machen.
Herr Koch, was sind mögliche Spätfolgen einer nicht verarbeiteten Trennung der Eltern?
Das sind zum Beispiel Beziehungsstörungen, die sich in Verlustängsten, Bindungsängsten, dem wiederholten Abbrechen von Beziehungen oder übertrieben sexualisiertem Verhalten – wie ständigen One Night Stands – äußern.
Manche Trennungskinder haben auch Angst davor, später selbst keine guten Eltern zu sein. Ein weiteres Symptom sind Panikattacken, die insbesondere dann auftreten, wenn etwas nicht so klappt, wie man möchte. Sie resultieren aus einem Gefühl der Ohnmacht, das man als Kind oder Jugendlicher bei der Trennung seiner Eltern erlebt hat. Wenn Kinder die Erfahrung machen, dass die Eltern absichtlich etwas entscheiden, was ihnen weh tut, sie aber nichts dagegen tun können, entsteht genau dieses Gefühl: Ganz allein zu sein und nichts gegen das ausrichten zu können, was einen schmerzt.
Wie sieht es mit Angst aus, zum Beispiel vor Ablehnung?
So eine Angst kann aufgrund der Trennung seiner Eltern auftreten, genau wie ein beschädigtes Selbstwertgefühl. Allerdings sind jede Familie und jedes Trennungskind anders, so dass sich keine pauschalen Aussagen treffen lassen.
Was macht denn eine Trennung der Eltern mit uns Kindern?
Besonders kleine Kinder reagieren vor allem mit starken Verlustängsten auf die Trennung der Eltern, denn wenn der eine geht, könnte ja auch der andere gehen. Außerdem empfinden sie ein Gefühl, völlig übergangen zu werden. Das trifft übrigens auch auf Jugendliche oder junge Erwachsene in einer solchen Situation zu.
Eine große Rolle spielen ja auch Schuldgefühle.
Um die Trennung für sich zu erklären, suchen Kinder häufig die Schuld bei sich. Jüngere Kinder versprechen daraufhin, artig zu sein oder ihr Zimmer aufzuräumen, um diesen inneren Konflikt zu lösen. Das ist ein ganz natürliches Verhalten, das wir alle kennen, wenn etwas Schlimmes passiert ist und wir uns fragen, was wir hätten tun können, um es zu verhindern. Wir suchen die Gründe bei uns, weil wir es uns nicht erklären können.
Das klingt nach einem schweren Konflikt. Was macht es mit Kindern, wenn sie dem dauerhaft ausgesetzt sind?
Die meisten Kinder fressen dieses Problem in sich hinein. Wenn sie noch klein sind, versuchen sie, sich auf die Seite des Elternteils zu stellen, bei dem sie sich sicherer fühlen, was völlig normal ist. Ist die Mutter beispielsweise wütend auf den Vater und gibt ihm die Schuld an der Trennung, gibt das Kind ihr recht. Ist es dann beim Vater, der erzählt, dass die Mutter in seinen Augen genauso viel Schuld an der Trennung hat, wird das Kind auch dem Vater zustimmen.
Dr. Claus Koch
Junge Erwachsene fühlen sich auch Jahre später deshalb häufig hinters Licht geführt, weil sie merken, dass die Realität anders aussieht, wie von einem Elternteil geschildert wurde.
Aber tut man Kindern einen Gefallen, wenn man ihnen zuliebe zusammenbleibt? Oder gibt es die gleichen Symptome bei Kindern, die mit dem Konflikt der Eltern aufwachsen und diesem dauerhaft ausgesetzt sind?
Man macht es sich viel zu einfach, wenn man Trennungskinder immer nur Kinder, die in traditionellen Familien leben, gegenüberstellt und so tut, als gäbe es dort keine Probleme. Kinder, die unter einem Dauerstreit der Eltern aufwachsen, sind den Loyalitätskonflikten, Verlustängsten, Schuld- und Ohnmachtsgefühlen dauerhaft ausgeliefert. Nicht immer ist das Zusammenbleiben der beste Weg.
Wie viele Kinder sind von den Folgen der Trennung der Eltern nachhaltig betroffen?
Psychologinnen wie Mavis Hetherington oder Judith Wallerstein gehen in ihren Langzeituntersuchungen davon aus, dass bis zu 80 Prozent der Kinder eine Scheidung ohne Folgen, die darauf zurückzuführen wären, verkraften. Das liegt meist daran, dass die Eltern gut damit und miteinander umgehen. Bei den restlichen Trennungskindern aber kommt es zu Symptomen, die wohl auf die Trennung ihrer Eltern zurückzuführen sind.
Vergleicht man diese Kinder mit Kindern aus traditionellen Familien, sieht man aber, dass auch Kinder, deren Eltern nicht getrennt leben, ähnliche Symptome aufweisen können. Deshalb liegt der Prozentsatz der Kinder, der wegen der Trennung ihrer Eltern Langzeitfolgen erlebt, nur bei etwa zehn bis fünfzehn Prozent.
Wann ist es sinnvoll, eine Therapie zu machen?
Wenn Symptome wie zum Beispiel Verlustängste in starker Ausprägung länger als eineinhalb oder zwei Jahre nach der Trennung der Eltern anhalten oder im Erwachsenenalter plötzlich wieder zum Vorschein kommen, ist es sinnvoll eine Therapie zu machen. Je früher desto besser. Auch als Erwachsener muss man manchmal noch die Trennung der Eltern verarbeiten.
Dr. Claus Koch
Gerade dann ist es wichtig, wenn man seine Probleme zum Beispiel mit der Beziehung der Eltern in Verbindung bringen und mit therapeutischer Hilfe lösen kann.
Wie sieht so eine Therapie aus?
Eine solche Therapie umfasst normalerweise mindestens 15 Sitzungen. Wie sie genau abläuft, hängt immer vom therapeutischen Ansatz ab. Aber der entscheidende Punkt ist, dass das Verhältnis zum Therapeuten oder der Therapeutin gut ist und man bereit ist, vor diesem Menschen die Ängste zum Ausdruck zu bringen, die man den eigenen Eltern nie mitteilen und deshalb auch nicht lösen konnte.
So etwas findet man übrigens ganz einfach in einem unverbindlichen Vorgespräch heraus.
Immer wieder trennen sich Eltern von Kindern, die selbst schon erwachsen sind. Was bedeutet das für die Kinder?
Diese Zahlen haben in letzter Zeit stark zugenommen. Die Eltern trennen sich dann, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Es ist aber ein großer Irrglaube, dass das den Kindern nichts mehr ausmachen würde – im Gegenteil.
Dr. Claus Koch
Die Trennung der Eltern kann einen sehr treffen, selbst wenn man schon erwachsen ist. Auch dann bietet es sich an, eine Therapie zu machen, um diese Situation zu verarbeiten, wenn man merkt, dass man lange darunter leidet.