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Katastrophe von Tianjin Der Wind treibt das Gift in die Stadt

In der chinesischen Hafenstadt Tianjin hat es wieder Explosionen gegeben. Giftige Dämpfe bedrohen die Menschen, Evakuierungen wurden angeordnet. Und es stellt sich mehr und mehr die Frage: Hat die Feuerwehr beim Ersteinsatz die Lage verschlimmert?

Nach mehreren schweren Explosionen im Hafen der chinesischen Stadt Tianjin wächst offenbar die Gefahr für die Bevölkerung. Die Behörden warnten vor giftigen Gasen und evakuierten die Bewohner in einem Umkreis von drei Kilometern.

Noch vor wenigen Tagen hieß es, der Wind ziehe auf das Meer. Jetzt hat er offenbar seine Richtung geändert. Eine Notunterkunft in einer Grundschule wurde geräumt. Die Menschen wurden aufgefordert, Mundschutz zu tragen.

Viele Feuerwehrleute kamen ums Leben

Auf dem Hafengelände waren in der Nacht zum Donnerstag tonnenweise Chemikalien explodiert. Darunter befand sich hochgiftiges Natriumcyanid, wie jetzt erstmals mitgeteilt wurde. Auch im Umkreis gab es schwere Schäden. Nach jüngsten Behördenangaben kamen mehr als 100 Menschen ums Leben, mehr als 700 wurden verletzt. Unter den Toten sind auch 21 Feuerwehrleute. 13 Retter und eine unbekannte Zahl an Hafenarbeitern werden noch vermisst.

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China: Die Katastrophe von Tianjin

Foto: STRINGER/CHINA/ REUTERS

Am Samstag gab es erneut Explosionen in dem riesigen Trümmergebiet. Reporter hätten sieben oder acht Detonationen gehört, berichtete die Nachrichtenagentur China News Service. Schwarzer Rauch stieg auf, offenbar schwelen noch mehrere Feuer.

Aufgebrachte Angehörige von vermissten Feuerwehrleuten stürmten eine Pressekonferenz und wurden von Sicherheitskräften zurückgedrängt. Nie zuvor in der Geschichte der Volksrepublik sind bei einem Unglück so viele Feuerwehrleute ums Leben gekommen wie in Tianjin.

Hat Wasser Explosionen provoziert?

Die Feuerwehrleute waren zum Einsatz in einer Lagerhalle für Gefahrgüter gerufen worden, ohne zu wissen, was dort brannte oder gelagert war. Sie setzten Wasser ein, was bei Chemikalien explosive Reaktionen auslösen kann. Die hohe Opferzahl löste Diskussionen um die Frage aus, ob Feuerwehrleute für solche Situationen ausreichend ausgebildet sind.

"Als die Explosion passierte, waren Feuerwehrleute dabei, den Brand zu löschen, und Nachschub war gerade eingetroffen. Sie wurden völlig überrascht, sodass die Opferzahl hoch ist", schilderte Zhou Tian, Chef der Feuerwehr von Tianjin.

Die Bergungsarbeiten kamen angesichts der Gefahr durch die Chemikalien nur langsam voran. Mehr als 1000 Feuerwehrleute waren im Einsatz. Ein Team von Militärspezialisten im Umgang mit gefährlichen Chemikalien rückte am Samstag ins Trümmergebiet vor, um nach Überlebenden zu suchen, wie die Nachrichtenagentur Xinhua berichtete.

Als Reaktion auf die Katastrophe ordnete die Regierung landesweit Inspektionen bei Unternehmen an, die mit gefährlichen Chemikalien und Explosivstoffen umgehen. Die Lehren aus dem Unglück seien "äußerst tiefgreifend", fand die Kommission für Arbeitssicherheit. Es "enthüllt einen Mangel an Sicherheitsbewusstsein bei Unternehmen und eine lockere Umsetzung von Sicherheitsvorschriften", hieß es laut Xinhua.

Das Unglück ist ein schwerer Schlag für das Wirtschaftszentrum Tianjin, das ein wichtiger Umschlagplatz ist. Der Binhai Distrikt trägt zu 55 Prozent zur Wirtschaftsleistung der gut eine Stunde von Peking entfernt gelegenen Zehn-Millionen-Metropole bei.

Tausende Autos, darunter Volkswagen und Renaults, wurden zerstört. Die Wolfsburger verlagerten ihre Neuwagen-Transporte nach dem Unglück nach Shanghai und Guangzhou, wie Xinhua berichtete. 40 Prozent aller importierten Autos kamen über den Hafen von Tianjin nach China.

sms/dpa/Reuters
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