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Infektionen in Schlachtbetrieb Tönnies soll Produktion erhöht haben – trotz Corona

Vor dem Corona-Ausbruch im Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück soll die Firma die Zahl der Schlachtungen erhöht haben. Das könnte ein Grund für die große Zahl der Infektionen sein.
Von Lukas Eberle, Düsseldorf
aus DER SPIEGEL 28/2020
Schlachthof der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück

Schlachthof der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück

Foto: Bernd Thissen/ picture alliance/dpa

Die Firma Tönnies soll in ihrem Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück ab Mai die Produktion erhöht und damit die massenhafte Verbreitung des Coronavirus begünstigt haben. Das berichtet ein Fleischkontrolleur, der dort arbeitet. Es seien "pro Woche 10.000 Schweine mehr als zu dieser Jahreszeit üblich geschlachtet" worden, sagt der Mann, der sich anonym an den SPIEGEL gewendet hat. Die Redaktion konnte sich anhand von Dokumenten von seiner Glaubwürdigkeit überzeugen.

Anfang Mai wurde ein Schlachthof der Firma Westfleisch in Coesfeld aufgrund eines Corona-Ausbruchs geschlossen. Knapp 300 Beschäftigte hatten sich infiziert. Die Tiere, die dort nicht verarbeitet werden konnten, seien nach Rheda-Wiedenbrück gekommen, so der Kontrolleur. Die Beschäftigten im Zerlegebereich hätten "Schulter an Schulter" gestanden, da bei solchen Produktionsmengen die Arbeitsschritte nur so in der geforderten Geschwindigkeit ausgeführt werden könnten. "Damit die Arbeiter eineinhalb Meter Abstand halten können, müsste das Förderband halb so schnell laufen. Stattdessen wurde zuletzt sogar noch mehr geschlachtet als sonst." 

Mitte Mai ließ der Kreis Gütersloh mehrere Tausend Beschäftige des Schlachthofs in Rheda-Wiedenbrück auf das Coronavirus testen. Es gab damals bereits sieben infizierte Arbeiter.

Laut Tönnies "kein Zusammenhang" mit Corona-Infektionen

Die Firma Tönnies bestätigt dem SPIEGEL auf Anfrage, dass man "in den vergangenen Monaten" versucht habe, an mehreren Standorten "den Ausfall diverser Schlachtbetriebe teilweise aufzufangen". Im Werk in Rheda-Wiedenbrück jedoch seien vor dem Corona-Ausbruch Mitte Juni mit Hunderten Infizierten die durchschnittlichen Produktionsmengen der Vorjahre nicht überschritten worden. Ein Zusammenhang mit dem Infektionsgeschehen lässt sich laut Tönnies "nicht belegen". 

In dem Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück haben sich mehr als 1400 Beschäftigte mit dem Coronavirus infiziert, seit über zwei Wochen ist das Werk geschlossen. Für den Kreis Gütersloh hat die nordrhein-westfälische Landesregierung noch bis zum 7. Juli einen Lockdown verfügt. Der Corona-Ausbruch hat eine Debatte über die Zustände und die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie ausgelöst. 

Laut den Aussagen des Fleischkontrolleurs arbeiten rund hundert sogenannte amtliche Fachassistenten im Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück. Sie sind beim Kreis Gütersloh angestellt, bei der Abteilung Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung. Die Kontrolleure untersuchen die Schweine im Schlachthof auf Verunreinigungen oder Ekzeme, die entfernt werden müssen. 

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Dabei sei der Zeitdruck ähnlich groß wie bei der Arbeit im Zerlegebereich, sagt der Kontrolleur. "Wir begutachten im Schnitt 1200 Schweine pro Stunde. Einer schaut Herzen an, ein anderer Lungen, wieder ein anderer die Schweinekörper. Wir haben dabei nur 2,3 Sekunden, die uns pro Tier zur Verfügung stehen. Die Geschwindigkeit und die kurze Untersuchungszeit sind zermürbend, und es ist nicht ausgeschlossen, dass man unter diesen Umständen etwas übersieht." 

Der Kreis Gütersloh bestätigt auf Anfrage, dass "jedem Untersucher pro Tier drei Sekunden zur Untersuchung zur Verfügung" stünden, die Aufgaben würden daher "im Rahmen eines Teams" wahrgenommen. Bezüglich des Arbeitsdrucks für die Kontrolleure teilt ein Sprecher des Kreises mit, dass man "Maßnahmen ergriffen" habe, "um die Belastung so gering wie möglich" zu halten. Welche das sind, lässt der Sprecher offen. Es lägen keine Anzeichen vor, sagt er, wonach die Fleischuntersuchung nicht korrekt durchgeführt würde.

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