
Infusionsskandal an Mainzer Uniklinik: Tod aus dem Tropf
Tote Säuglinge in Mainz Eine Frage der Hygiene
Hamburg - In einem Krankenhaus sucht man Hilfe und Genesung. Wie kann man sich ausgerechnet hier tödlich infizieren?
Nach dem Tod von drei Frühchen in der Mainzer Uniklinik ist die Empörung groß - und die ganze Republik stellt sich diese eine Frage. Dass es um Hygiene in Krankenhäusern oft nicht zum Besten steht, ist bekannt. Dass dieses Problem aber sogar zum Tod kleinster Kinder auf der Intensivstation führen kann, stellt das Krankenhaus unter besondere Beobachtung: Werden die Ursachen wirklich gründlich und umfassend aufgeklärt?
Fest steht: Die in Mainz behandelten Frühchen hatten ein besonders leicht angreifbares Immunsystem. Anfällig für Infektionen aller Art. Sie haben über den Tropf eine Nährlösung erhalten, die aus verschiedenen Komponenten gemischt war - und bei allen dreien mit Darmbakterien verseucht war. Auch acht weitere Kinder in drei unterschiedlichen Gebäudetrakten der Klinik bekamen verseuchte Lösungen. Am Samstagmorgen, als die mikrobiologische Abteilung die Bakterien in einer Referenzprobe nachwies, wurden die Infusionen gestoppt. Alle elf Kinder erhielten Antibiotika. Für die drei Frühchen zu spät. Die Situation der anderen Kinder sei inzwischen stabil, sagte der Medizinische Leiter der Klinik, Norbert Pfeiffer, zu SPIEGEL ONLINE.
Wie aber konnten die Infusionen mit Darmbakterien verseucht werden? Die Beutel wurden in der Nacht zu Sonntag in der Mikrobiologie untersucht. Laboranten konnten Keime in allen Beuteln nachweisen, und auch zwei der untersuchten Blutproben der Kinder wiesen eine "gleichartige Verkeimung" auf, sagt Pfeiffer. Weil die Kinder in unterschiedlichen Abteilungen behandelt wurden, heißt das für den Medizinischen Leiter: "Die Möglichkeit, dass die Proben auf der Station kontaminiert wurden, halte ich für völlig abwegig."
Ist also die Apotheke des Klinikums verantwortlich, wo die Infusionen gemischt wurden? Dort wären die Prozesse klar abgrenzbar, der Fehler wäre wohl das Versagen eines Einzelnen - fatal, aber nicht zu ändern. Ein Versagen auf einer Station hätte für die Klinik dagegen schlimmere Folgen in der Außenwirkung. Dann würden schärfere Fragen nach der allgemeinen Hygiene laut, womöglich wären weitere Patienten betroffen, die Eingrenzung der Ursache würde schwieriger.
Weniger wahrscheinlich als die Verseuchung in der eigenen Apotheke, aber nicht ausgeschlossen ist eine Verunreinigung schon beim Hersteller der Komponenten. Dann allerdings wären wohl Tausende Einheiten eines Mittels verseucht ausgeliefert worden - und dafür gibt es keine Anzeichen.
"Schwachsinniges Ablenkungsmanöver"
Die Mainzer Klinik versucht, sich von der politischen Debatte über Krankenhaushygiene zu distanzieren. Ja, es gehe um Hygiene, ist die Argumentationslinie - aber eben nicht um Krankenhaushygiene an sich. "Wir haben es mit einem anderen Sujet zu tun", sagt Pfeiffer. "Wir müssen zwei Dinge trennen: Hospitalinfektionen und andere Fragen der Hygiene." Erstere seien ein Problem, "mit dem wir es hier nicht zu tun haben". Es handele sich nicht um ein Krankenhausproblem, sondern um ein Herstellungsproblem. Die "aktuelle Debatte über Hygiene in Krankenhäusern" sei zwar "ganz wichtig", aber man habe es hier "eben nicht mit dem Verschleppen von einem zum anderen Patienten" zu tun. "Patienten haben Keime bekommen, aber eben nicht von Patienten."
Hintergrund
Klaus-Dieter Zastrow von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) will diese Argumentation nicht gelten lassen. Zwischen einer Verunreinigung durch Mitarbeiter und durch andere Patienten zu unterschieden, sei letztlich "Quatsch", sagt er SPIEGEL ONLINE. Er sieht in der gesamten Argumentation "ein Ablenkmanöver, und dazu noch ein unhaltbares". Für ihn zählt: "Einen Darmkeim hat ein Mensch nicht einfach so an der Hand, dazu muss er schon in Exkremente fassen." Soll heißen: Die Verunreinigung musste massiv sein, um überhaupt nachgewiesen werden zu können. "Wenn es in einem Reinraum Enterobacteriaceae (Darmkeime, d.Red.) gibt, ist das ein schwerwiegender Fehler."
Schon dass in den Infusionslösungen zwei verschiedene Arten von Darmbakterien gefunden wurden - Enterobacter cloacae und Escherichia hermannii -, wird von beiden Seiten verschieden interpretiert. Pfeiffer sagt, bei einer Verunreinigung komme es immer zu einer sogenannten Mischflora. Hygieniker Zastrow hingegen schließt auf eine besonders schwere Verunreinigung und somit eine besonders schwerwiegende Schlamperei.
"Nur noch Schaden begrenzen"
Für die Klinik geht es in diesen Tagen auch darum, von ihrem Ruf zu retten, was zu retten ist. "Vor allem die Geburtsmedizin ist stark emotional aufgeladen", sagt Christian Scherg, Geschäftsführer der "Revolvermänner", die sich als eine von wenigen Firmen in Deutschland mit Reputationsmanagement im Gesundheitswesen befasst. Er verweist darauf, dass werdende Eltern sich vorab über Krankenhäuser informieren, die Versorgungsangebote, das Profil - zunehmend auch im Internet und in Foren. "Durch so einen Vorfall kann es zu einem enormen Reputationsverlust kommen." Jetzt gehe es auch darum, "in der öffentlichen Kommunikation die eigene Kontrolle zu demonstrieren. Es ist immer wichtig zu zeigen: Wir wissen, wo der Fehler liegt. Wenn Sie nur noch reagieren können, dann ist es zu spät, dann können Sie nur noch den Schaden begrenzen".
Die politische Debatte über die Hygiene in Krankenhäusern lässt sich allerdings ohnehin nicht aufhalten. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) fordert strengere Regeln - "die Vorfälle in Mainz werden vom Bundesgesundheitsministerium sehr ernst genommen", sagte sein Sprecher SPIEGEL ONLINE.