Tsunami 2004 in Khao Lak Franky Gun kam zurück

Er hatte alles verloren und den Kopf voller grauenhafter Bilder. Trotzdem schaffte Franky Gun nach dem Tsunami im thailändischen Ferienort Khao Lak einen Neuanfang. "Der Tsunami hat mich gelassener gemacht", sagt er.
Franky Gun fing nach dem Tsunami in Khao Lak von vorne an. Zehn Jahre danach sei er ein zufriedenerer Mensch, sagt er.

Franky Gun fing nach dem Tsunami in Khao Lak von vorne an. Zehn Jahre danach sei er ein zufriedenerer Mensch, sagt er.

Foto: Marcel Klovert

Seit ihn der Tsunami aus dem Küchenfenster spülte, ihn in den Bungalow eines Nachbarn saugte und ihn fast ertränkte, ist Franky Gun ein zufriedenerer Mensch. "Ich weiß besser, was wichtig ist", sagt er.

Am 26. Dezember 2004 rollten meterhohe Wellen auf die Küsten von Sumatra, Sri Lanka, Indien und Thailand. Sie überfluteten auch die Strände von Khao Lak, wo der damals 39-jährige Goldschmied aus dem Ruhrpott ein Häuschen hatte. Seine Eltern waren über Weihnachten zu Besuch.

"Woher kommt das Wasser?", fragte seine Mutter. Es war ein gemütlicher Sonntagmorgen, Franky Gun hatte einen Film im Bett geschaut und Kuchen gegessen. Die Erde hatte leicht gewackelt, "ein Beben in Thailand, wie abgefahren", dachte er. Er überlegte kurz, ob er das mal googeln sollte. Er rief seine Frau in Phuket an. Sie hatte nichts gemerkt. "Damit war das für mich erledigt", sagt Gun. Rund zwei Stunden später sickerte Wasser in die Küche. Das Meer war 150 Meter entfernt. Vielleicht war beim Nachbarn ein Tank umgefallen?

Das neue Leben - weggeschwemmt

Der Tsunami forderte mindestens 230.000 Opfer. Im thailändischen Distrikt Takuapa, in der die Touristenregion Khao Lak liegt, kamen mehr als 4000 Menschen um, darunter Hunderte deutsche Urlauber. So viele starben nirgends sonst in Thailand.

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Als der Tsunami kam, lebte Franky Gun schon seit 13 Jahren in Thailand. Er hatte Thai gelernt, sich als Tauchlehrer, Reiseführer und Webdesigner verdingt, und neuerdings als Villenbauer. Er war mit einer Thailänderin verheiratet, sie erwarteten ein Kind.

Das Wasser stieg schnell. Seine Katze schwamm an ihm vorbei, er setzte sie auf den Küchentisch. "Franky, was sollen wir machen?", fragte seine Mutter. Er wusste es nicht. Ihm blieb auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Die nächste Welle riss ihn aus dem Haus. Er sah seine Eltern nie wieder.

Franky Gun - breites Kreuz, kahler Kopf, sanfte Augen - hat seine Eltern geliebt. "Sie waren unzertrennlich." Es sei fast so etwas wie ein Geschenk gewesen, dass seine Eltern gemeinsam gehen durften, ohne langes Leid. Sein Vater, 75, hatte Krebs. "Ich habe jeden Tag daran gedacht, wie das wird, wenn meine Mama allein zurückbleibt."

Es war laut unter Wasser. Er hörte Fenster bersten, Menschen schreien, Bäume brechen, und das Wasser, schwarz wie Altöl, gluckste und blubberte in seinen Ohren. Er bekam Panik, als ihm die Luft ausging. "Jetzt stirbst du!", dachte er. Er fühlte, dass da eine böse Macht im Wasser sein musste, die ihn anschrie, endlich loszulassen. Er schrie zurück, wehrte sich. Plötzlich war es still, er schwebte wie im All, führte Zwiegespräche mit gottgleichen Gestalten. Irgendwie fand er aus dem Bungalow hinaus. Seine silberne Buddha-Kette hing noch um seinen Hals. Seine Unterhose hing ihm am Fuß. "Ich bin heute gläubiger als vor dem Tsunami", sagt Franky Gun. "Das Leben wäre sinnlos, wenn es nichts Höheres gäbe."

Franky Gun heißt eigentlich Frank Wetzig. Doch den Namen kennt kaum noch jemand. Früher malte er Bilder mit Spritzpistolen, die auf Englisch "spray gun" heißen. Außerdem kommt seine Meinung manchmal wie aus einer Pistole aus ihm herausgeschossen. "Ist schon besser geworden", sagt er und grinst wie ein Junge.

Nach dem Desaster irrte er durch das zerstörte Paradies und suchte seine Eltern. Er sah den Tauchlehrer, der in der Not das Bein einer Frau amputierte. Er hörte den Franzosen, der pausenlos nach seiner Tochter rief. "Arienne, Arienne." Er sah die Leichen, die im Becken einer Garnelenfarm schwammen, und Leichen, die in Bäumen hingen.

Nach ein paar Tagen zog er mit seiner Frau zu einem Freund in Phuket. Sie hatten Angst, dass Seuchen ihr ungeborenes Kind bedrohten.

Ohne Hilfe, aber nicht ohne Hoffnung

Franky Gun hätte Grund gehabt, für immer aus Khao Lak wegzugehen. Doch er kam 2005 zurück, "spuckte in die Hände", wie er das nennt, und baute sein altes Leben wieder auf. Von Regierungen und NGOs bekam er keine Hilfe. Eine weltweite Welle der Spendenbereitschaft spülte mehrere Milliarden Euro für den Wiederaufbau vor allem nach Indonesien.

So hoch stand das Wasser, als 2004 der Tsunami kam.

So hoch stand das Wasser, als 2004 der Tsunami kam.

Foto: Marcel Klovert

Thailands damaliger Premier Thaksin Shinawatra lehnte finanzielle Hilfe ab, sein Land schaffe das auch allein. Die Regierung errichtete Zelte, wo Betroffene Hilfe beantragen konnten. "An diesen Zelten lachten sie uns nur aus", sagt Franky Gun. In Khao Lak hatten viele Westler wie er Bungalows gebaut, Restaurants eröffnet, Tauchschulen gegründet. "Ihr farang, ihr Weißen, ihr seid doch eh reich, hieß es."

Freunde, alte Nachbarn und Verwandte sammelten Geld, damit Franky Gun sein altes Haus renovieren konnte. Doch er blieb nicht lang dort. "Ich sah überall meine Eltern." Und das Meer rauschte so laut.

Er zog mit seiner Familie auf einen Hügel, wo er sich sicher fühlte. Er baute Villen, die er an Expats verkaufte, wie schon vor dem Tsunami. Gerade hat er seine Ferienhausanlage "Coconut Homes" eröffnet, unweit eines der schönsten Strände Khao Laks. Der Wasserturm ist so stabil, dass seine Gäste dort oben einen Tsunami überstehen könnten.

Khao Lak ist berühmter und beliebter als vor der Welle

Der Tourismus blüht wieder in Khao Lak: Im vergangenen Jahr besuchten rund 700.000 Ausländer die Provinz Phang Nga, in der die Ferienregion liegt. Das sind doppelt so viele wie vor der Katastrophe. Die Zahl der Hotelbetten ist um ein Drittel auf 9300 gestiegen. Es seien die Touristen gewesen, die viele Hotel- und Bungalowbetreiber dazu gebracht hätten weiterzumachen, sagt Franky. "Sie haben uns Mut gemacht, dass wir durchhalten und wieder aufbauen sollen, dass sie auf jeden Fall zurückkommen."

Khao Lak ist schicker geworden, die Hauptstraße ist jetzt vierspurig, der Name international bekannt. Doch das ist nicht die größte Veränderung, die die Wellen in Franky Guns Leben getragen haben. Er ist gelassener, selbstbewusster, furchtloser geworden. "Mich kann nicht mehr wirklich viel schocken." Er weiß die Zeit mit seiner Familie besser zu schätzen. Und wenn noch mal "ein größerer Mist" passiert, wie er sagt, dann kommt er da schnell wieder raus. Das weiß er jetzt.


Heike Klovert ist Redakteurin bei SPIEGEL ONLINE, zurzeit bereist sie Südostasien.

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