
Erdbeben in Japan: Der Tag nach dem Tsunami
Tsunami-Katastrophe in Japan Flutwelle löscht Küstenstadt aus
Tokio - Das gewaltige Erdbeben vor der Küste Japans hat in dem Land unfassbare Verwüstungen angerichtet. Der Tsunami, den das Beben auslöste, traf die Küste Nordjapans mit voller Wucht. Bis zu sieben Meter hohe Wellen begruben Häuser, Bäume und Autos unter sich, schleuderten gewaltige Mengen plötzlich zu Treibgut gewordener Gebäude und Fahrzeuge bis zu zehn Kilometer ins Landesinnere. Das Ausmaß der Verwüstungen und die tatsächliche Zahl der Opfer lassen sich derzeit noch kaum überblicken ( Liveticker hier).
Wie viele Menschen die Katastrophe tatsächlich getötet hat, ist derzeit völlig unklar. Japanische Behörden hatten zuletzt von Schätzungen in der Größenordnung von 1400 Opfern gesprochen. Am Samstagnachmittag deutscher Zeit wurde jedoch bekannt, dass allein in einer Hafenstadt im Nordosten Japans noch 10.000 Menschen vermisst werden. Wie der öffentlich-rechtliche Sender NHK berichtete, geht es um den Ort Minamisanriku in der Präfektur Miyagi. Auch die Zeitung "Yomiuri" berichtete, es würden dort 10.000 Menschen vermisst. Die Hafenstadt an der Shitsugawa-Bucht hatte vor der Katastrophe 17.300 Einwohner. Etwa 7500 davon sollen sich in Schulen und anderen Schutzräumen aufhalten. Etwa 10.000 werden vermisst.
In der nordjapanischen Präfektur Fukushima sind zwei Atomkraftwerke durch den Tsunami so schwer beschädigt worden, dass eine nukleare Katastrophe droht. In einem Reaktor des Kraftwerks Fukushima 1 droht eine Kernschmelze - oder sie hat sich sogar bereits ereignet. Die Angaben dazu sind derzeit widersprüchlich ( mehr zu der Reaktorkatastrophe hier).
Im Umkreis von 20 Kilometern um die betroffenen Kraftwerke wurde eine Evakuierung eingeleitet. 51.000 Menschen waren bereits zuvor in Sicherheit gebracht worden. Etwa 24 Prozent aller in Japan verbrauchten Elektrizität werden von den 17 Nuklearkraftwerken des Landes bereitgestellt.
Kein Strom, kein Wasser, Massen von Schlamm und Schutt
Mehr als 215.000 Menschen sind in Japan derzeit in einer von 1350 Notunterkünften untergebracht. Eine Million Haushalte hat kein Wasser, vier Millionen Gebäude keinen Strom. Alle Straßen, die von Tokio aus in Richtung der Katastrophengebiete führen, sind derzeit für den regulären Verkehr gesperrt, nur Rettungskräfte dürfen sie befahren.
Besonders hart traf der Tsunami auch die nordjapanische Stadt Sendai, etwa 130 Kilometer südlich der Stadt Minamisanriku. Der Ort, der etwa eine Million Einwohner hat, liegt etwa 130 Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt. Straßen und Gebäude sind in den Fluten versunken, durch das Beben sind außerdem Feuer ausgebrochen, so wie in vielen anderen Städten Japans auch. Eisenbahngesellschaften vermissen nach wie vor komplette Züge mitsamt allen Passagieren. An den Stränden Sendais wurden Hunderte von Leichen angeschwemmt.
Koichi Takairin, ein 34-jähriger Lastwagenfahrer, erlebte den Tsunami im Führerhaus seines LKWs in Sendai. Die Flutwelle sei "unglaublich schnell" gewesen, berichtete er: "Kleinere Autos wurden an mir vorbeigespült", so Takairin, "ich konnte nichts anderes tun, als in meinem Lastwagen sitzen zu bleiben" ( weitere Augenzeugenberichte hier)
Auch das Beben selbst ist längst nicht ausgestanden. Überall an Japans Ostküste bringen Nachbeben die Erde immer wieder zum Zittern. Ausgerechnet vor der Küste von Fukushima, der Region, in der Kernkraftwerke durch die Katastrophe beschädigt wurden, ereignete sich am Samstagmittag deutscher Zeit ein Nachbeben von einer geschätzten Stärke von 6 auf der Richterskala. Seit dem verheerenden Erdbeben der Stärke 8,9 am Freitag registrierte die US-Wissenschaftsbehörde United States Geological Survey (USGC) allein 25 Beben ab der Stärke 6. Hinzu kamen über 150 schwächere Nachbeben.
"Kleinere Autos wurden an mir vorbeigespült"
Derweil begannen die Einsatzkräfte mit ersten Aufräumarbeiten. Wann die verwüsteten Gebiete wieder zur Normalität zurückkehren, ist unmöglich abzuschätzen. Regierungschef Naoto Kan, der die Katastrophenregion am Samstag per Helikopter besuchte, rief Japans Bürger auf, das beispiellose Desaster gemeinsam zu überwinden.
Rettungskräfte des japanischen Militärs haben begonnen, in Booten und Helikoptern in den Katastrophengebieten einzutreffen. Premierminister Kan versprach, 50.000 Soldaten würden an den Rettungsoperationen beteiligt. Dutzende Länder boten ihre Hilfe an. US-Präsident Barack Obama sagte, ein US-Flugzeugträger liege bereits vor Japans Küste, ein weiterer sei auf dem Weg. Die USA entsandten außerdem weitere Such- und Rettungsteams in das Land.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat angesichts der drohenden Atomkraftkatastrophe in Japan von einer "ungewöhnlichen, außergewöhnlich schwierigen Situation" gesprochen. Auf einer Wahlkampfveranstaltung der rheinland-pfälzischen CDU in Frankenthal kündigte sie am Samstag Hilfe für Japan an, über die sie noch am Abend mit mehreren Bundesministern beraten wolle. Auch das Bundesumweltministerium werde Experten nach Japan entsenden.
"Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass in einem Kernkraftwerk schwierige Ereignisse stattfinden, wahrscheinlich eine Kernschmelze", sagte die Kanzlerin. Merkel betonte, die Vorgänge würden Deutschland "nach menschlichem Ermessen nicht beeinflussen". Merkel sagte, sie stehe im Kontakt zur japanischen Regierung. Katastrophen-Spezialisten seien bereits auf dem Weg. "Wir denken an die Menschen und die Opfer in Japan", betonte die Kanzlerin. Zur Atomkraft in Deutschland äußerte die Kanzlerin sich zunächst nicht.
THW-Abflug verzögerte sich wegen Explosion im AKW
Die Bundesregierung rate von allen nicht erforderlichen Reisen nach Japan ab, sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) am Samstag vor Journalisten in Berlin. Er empfahl zudem allen Deutschen in der Region um die beschädigten Atomkraftwerke von Fukushima, aber auch im Großraum um die Großstädte Tokio und Yokohama eine Ausreise zu prüfen.
Die erste deutsche Hilfsmannschaft des Technischen Hilfswerks ist am Samstagmittag von Rheinland-Pfalz aus in Richtung des japanische Krisengebietes gestartet. Die Maschine mit 38 Helfern, drei Spürhunden und zwölf Tonnen Material an Bord hob gegen 13.30 Uhr vom Flughafen Hahn ab. Der Abflug hatte sich um fast eine Stunde verzögert, weil die Ladung wegen der Explosion im Kernkraftwerk Fukushima 1 zuvor noch sogenannte Dosimeter zur Messung radioaktiver Strahlung herbeigeschafft werden mussten.
Das Team soll in Japan vorrangig bei der Ortung und Rettung von verschütteten Menschen behilflich sein. Das konkrete Einsatzgebiet werde aber erst nach der Ankunft am Sonntagmorgen um 8 Uhr Ortszeit geklärt, hieß es.
THW-Präsident Albrecht Broemme sprach angesichts der dreifachen Gefahr durch Nachbeben, Tsunami und radioaktiver Strahlung von einer "auch für den Katastrophenschutz besonderen Situation". Es sei klar, dass die deutschen Hilfskräfte "selbstverständlich nicht" in radioaktiv verseuchte Gebiete geschickt werden. "Die Japaner würden nichts riskieren, um Ausländer zu gefährden", versicherte Broemme. Falls sich die Lage vor Ort verschärfe und das Team gefährdet sei, würde man es sofort zurückrufen.