Strippenzieher des Vatikan-Skandals Verräter und Vertuscher
Im Herbst wird im Vatikan ein öffentlicher Prozess beginnen, auf der Anklagebank: "der Rabe", Paolo Gabriele, ehemaliger Kammerdiener des Papstes. Er wird wegen schweren Diebstahls angeklagt. Vor Ermittlern soll er zugegeben haben, hinter den Enthüllungen zu stecken, die den Vatikan seit Monaten erschüttern.
Nur: Auch nach der Festnahme von Paolo Gabriele Ende Mai wurden vertrauliche Dokumente aus dem Vatikan an die Öffentlichkeit gebracht - der Geheimnisverrat geht weiter. Offenbar hatte der Butler mächtige Hintermänner. Doch wer sind die wichtigsten Figuren hinter dem Skandal? Ein Überblick.

Papst Benedikt XVI.: Seit Monaten werden vertrauliche Dokumente öffentlich
Foto: AFPBenedikt XVI., 85, Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche und des Staates Vatikanstadt, bürgerlich Joseph Aloisius Ratzinger. Unter seinem Vorgänger Johannes Paul II. war er Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre und der wohl mächtigste Mann im Kardinalskollegium. Am 19. April 2005 wurde er, nach einem sehr schnellen Wahlverfahren von nur 26 Stunden - in der Vergangenheit hat das manchmal viele Wochen gedauert -, zum 264. Papst gekürt. Ratzinger gilt als extrem konservativ, ist gegen Abtreibung ebenso wie gegen Schwangerschaftsverhütung, befand das Urteil gegen Galileo Galilei aus dem Jahr 1633 als "rational und gerecht", betrieb die Annäherung der Kirche an die abtrünnige Priesterbruderschaft St. Pius, zu der auch der Holocaust-Leugner Bischof Richard Williamson gehört.
Benedikt XVI. gilt als exzellenter Wissenschaftler. Als Staatsoberhaupt geht ihm dagegen vieles daneben. Er habe die Vatikan-Bürokratie nicht im Griff, heißt es, lasse den landsmannschaftlichen und politischen Seilschaften viel Raum, so dass der Kirchenstaat von Konflikten und Machtkämpfen geschüttelt sei. Seit Monaten werden dazu Briefe und vertrauliche Dokumente aus dem Vatikan in die Öffentlichkeit gebracht. Wer damit wem schaden will, ist allerdings nicht genau auszumachen. In Anlehnung an die Internetplattform WikiLeaks spricht man von "Vatileaks".
Der Stellvertreter

Tarcisio Bertone im März in Havanna: Eher Vertuscher als Aufklärer
Foto: David Fernandez/ dpaTarcisio Bertone, 77, Kardinalstaatssekretär und Kardinalkämmerer, die "Nummer zwei" im Kirchenstaat. Macht seit Jahren eine eher unglückliche Figur. So zeigte er sich bei Bekanntwerden des Missbrauchsskandals nicht als Aufklärer, sondern als großer Vertuscher. Als er dazu behauptete, Pädophilie und Homosexualität stünden in enger Verbindung, erntete er weltweit Spott und Kritik.
Bertone ist für die Politik und die Verwaltung des Kleinstaates Vatikanstadt zuständig und damit - wie viele sagen - überfordert. Wichtige Entscheidungen sind oft nicht nachvollziehbar.
Da ist zum Beispiel der Fall von Erzbischof Carlo Maria Viganò: Der Vizeverwaltungschef des Vatikans entdeckte ein System von Korruption und Vetternwirtschaft im Kirchenreich. Bertone enthob ihn seines Amtes und schob ihn auf den belanglosen Posten eines Nuntius in Washington ab. Ein Brief Viganòs an den Papst ("Heiliger Vater, meine Versetzung würde viel Orientierungslosigkeit und Entmutigung für die bedeuten, die daran glauben, dass es möglich ist, so viele Fälle von Korruption und Machtmissbrauch in der Verwaltung vieler Abteilungen aufzuklären") vom 27. März 2011 blieb ohne Wirkung - gelangte aber an die Öffentlichkeit. Bertone habe viele Feinde rund um den Petersdom, sagen Insider, darunter die "graue Eminenz" im Vatikan, Kardinal Camillo Ruini.
Der Rabe

Kammerdiener Gabriele: Ihm drohen bis zu sechs Jahre Haft
Foto: ALESSANDRO BIANCHI/ REUTERSPaolo Gabriele, 46, Kammerdiener des Papstes, gehörte zum engsten Kreis des Kirchenführers. Er organisierte den Alltag seines Chefs, begleitete ihn auf Reisen, saß im Papamobil auf dem Beifahrersitz, hatte einen festen Platz am päpstlichen Esstisch.
"Paoletto", wie er von Freunden und Kollegen genannt wird, ist selbst kein Priester. Er lebt mit Frau und drei Kindern im Vatikan, nicht weit vom Palast des Papstes. Dort bleibt er bis zum Prozessbeginn unter Hausarrest. Ihm drohen bis zu sechs Jahre Haft.
Nachdem seit Jahresanfang immer wieder Briefe und geheime Dokumente aus dem direkten Umfeld des Papstes in die Medien gelangt waren, machte sich im April eine Kardinalskommission auf die Suche nach dem "Corvo", dem Raben. So nennt man in Italien Menschen, die in die Öffentlichkeit bringen, was dafür nicht gedacht ist. Ein Brief mit der streng geheimen päpstlichen Kontonummer war es wohl, der den Verdacht auf Gabriele lenkte. Das Schreiben hatte das päpstliche Vorzimmer nie verlassen, nur Sekretär Georg Gänswein und sein Kollege hatten Zugriff - sowie der Kammerdiener.
Ende Mai wurde Gabriele verhaftet. Bei der Hausdurchsuchung seien viele weitere Dokumente gefunden worden, so der Vatikan. Und nicht nur die: Die Ermittler fanden auch eine kostbare Übersetzung von Vergils Epos "Aeneis" aus dem Jahr 1581, einen Goldklumpen von einem großmütigen Spender aus Perus Hauptstadt Lima und einen Bankscheck über 100.000 Euro, ausgestellt am 26. März dieses Jahres auf "Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI.". Jetzt wurde der Rabe wegen schweren Diebstahls angeklagt.
Der Sekretär

Benedikt XVI. mit seinem Vertrauten Gänswein: Seit Jahren an der Seite Ratzingers
Foto: Riccardo De Luca/ APGeorg Gänswein, 55, Priester und Privatsekretär des Papstes. Hat schon für Joseph Ratzinger als Sekretär gearbeitet, als der noch Chef der Kongregation für die Glaubenslehre war. Nebenbei lehrte Gänswein kanonisches Recht an der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz, einer Hochschule der extrem konservativen und mächtigen innerkirchlichen Gruppierung Opus Dei.
Gänswein ist der vermutlich engste und wichtigste Berater des Papstes und entsprechend einflussreich. Briefe, Telefonate, Gesprächswünsche von Kardinälen - alles, was an den Papst gerichtet ist, landet zunächst bei Gänswein. Der entscheidet, was sein Chef persönlich hören, sehen oder lesen soll. Auch Gänswein sitzt regelmäßig im Papamobil, gleich neben dem Papst. Er wird allseits als freundlich und umgänglich gepriesen, offenbare aber - so Vatikan-Insider - selten eine eigene Meinung. Deshalb ist nicht klar, welche Rolle er in den Intrigen um Macht und Einfluss spielt, die seit längerem zwischen landsmannschaftlichen Seilschaften, Reformern und Traditionalisten ausgetragen werden - oder auch zwischen Kardinälen, die sich in herzlicher Abneigung verbunden sind.
Gänswein sei, anders als bei kirchlichen Themen, in weltlichen, vor allem politischen Fragen sehr unerfahren, klagt ein altgedienter Vatikan-Veteran. Deshalb gebe dieser seinem Chef nicht immer die besten Ratschläge.
Die graue Eminenz

Kardinal Camillo Ruini: Er mischt hinter den Kulissen kräftig mit
Foto: Claudio Peri/ picture alliance / dpaCamillo Kardinal Ruini, 81, emeritierter Kardinalvikar der Diözese Rom, Ex-Professor für katholische Dogmatik, langjähriger Präsident der italienischen Bischofskonferenz. Seit 2008 ist Ruini eigentlich im Ruhestand, tatsächlich mischt er im Vatikan wie in der italienischen Politik hinter den Kulissen weiter kräftig mit. Er steht "Opus Dei" sehr nahe, einem 1928 gegründeten erzkonservativen Laienorden, der weltweit nur etwa 80.000 Mitglieder, aber sehr großen Einfluss hat.
Die Mitglieder leben auch im Alltag und im Beruf nach strengen kirchlichen Regeln und nehmen häufig Einfluss auf die Politik. Opus-Dei-Gründer Josemaría Escrivá de Balaguer, ein enger Freund des spanischen Diktators Franco, wurde vor ein paar Jahren heiliggesprochen. Daran habe Ruini erheblichen Anteil gehabt, heißt es. Auch die Beziehungen des Vatikan zu den christlichen Parteien Italiens und zum langjährigen Regierungschef Silvio Berlusconi liefen vor allem über Ruini. Er wurde nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. zunächst als Anwärter auf dessen Nachfolge gehandelt, blieb auch nach der Wahl Joseph Ratzingers einer der einflussreichsten Kirchenmänner.
Manche "Vatikanologen", die sich hauptberuflich mit den Vorgängen im Kirchenstaat befassen, behaupten, Ruini sei der wichtigste Gegenspieler von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und einer der Hauptstrippenzieher bei den kirchenstaatsinternen Auseinandersetzungen.
Der Enthüller

Journalist Gianluigi Nuzzi: Bestsellerautor erregt Aufsehen
Foto: Vittorio Zunino Celotto/ Getty ImagesGianluigi Nuzzi, 43, Journalist und Schriftsteller. Hat für verschiedene italienische Zeitungen gearbeitet, unter anderem für "Il Giornale" und "Panorama", die zum Medienimperium von Silvio Berlusconi gehören. Er schreibt für das Fernsehen und moderiert eine eigene Sendung.
Schon 2009 hat Nuzzi mit einem Enthüllungs-Bestseller über den Vatikan Aufsehen erregt. Am 26. Mai dieses Jahres erschien in Italien "Sua Santità - le carte segrete di Benedetto XVI" (übersetzt: "Seine Heiligkeit - die geheimen Dokumente von Benedikt XVI."). Kirchenmänner, so Nuzzi, hätten ihm die Briefe und Unterlagen bei konspirativen Treffen übergeben. Geld hätten sie dafür nicht bekommen.
Die Gruppe, die sich "Maria" nennt, wolle vielmehr für mehr Transparenz im Vatikan sorgen, für offene Debatten statt des dort vorherrschenden Hangs zum Verschweigen und Vertuschen. Nuzzis Buch ist der bisherige Höhepunkt der "Vatileaks"-Affäre. Der Vatikan hat das Buch als kriminell bezeichnet und rechtliche Schritte angedroht. Bisher wurden allerdings keine Ermittlungen aufgenommen.