Verdächtiger Facebook-Eintrag "In Kürze wird die 'Concordia' sehr, sehr nah an uns vorbeifahren"

Die "Costa Concordia" fuhr viel zu nah an die Küste. Die Reederei macht den Kapitän allein dafür verantwortlich - und ein Facebook-Eintrag der Schwester des Oberkellners legt nahe: Der Kapitän lenkte das Schiff absichtlich dorthin, damit Antonello T. seine Familie grüßen konnte.
Facebook-Profil der Schwester von Antonelle T.: "Einen Riesengruß an meinen Bruder"

Facebook-Profil der Schwester von Antonelle T.: "Einen Riesengruß an meinen Bruder"

Hamburg - Am Freitag um 21.06 Uhr postet Facebook-Mitglied Patrizia T.: "In Kürze wird die "Concordia" der Costa Crociere sehr, sehr nah an uns vorbeifahren. Einen Riesengruß an meinen Bruder, der in Savona endlich von Bord gehen wird, um ein bisschen Urlaub zu machen."

Wann denn genau das Schiff zu sehen sein werde, fragt ein User.

"Um 21.30 Uhr, wie immer", antwortet ein anderer.

Mit dem Bruder der 46-Jährigen ist aller Wahrscheinlichkeit nach Antonello T. gemeint, seines Zeichens Maître auf dem Kreuzfahrtschiff "Costa Concordia". Der "Corriere della sera" hatte am Montagmorgen berichtet, dass der umstrittene Kapitän des Schiffs den Oberkellner am Unglücksabend zu sich auf die Brücke bestellt habe, um ihm die Küste aus der Nähe zu zeigen. "Antonello, guck mal, wir liegen direkt vor deiner Insel", soll jemand zu dem Angestellten gesagt haben, der auf Giglio geboren ist. "Achtung, wir sind ja total nah an der Küste", soll er geantwortet haben. Doch da war es schon zu spät.

Fotostrecke

"Costa Concordia": Suche nach Vermissten

Foto: Massimo Percossi/ dpa

Nur knapp eine halbe Stunde nach dem Facebook-Eintrag lief die "Costa Concordia" etwa 150 Meter vor der Küste der Insel Giglio auf einen Felsen auf, schlug Leck und legte sich innerhalb kürzester Zeit auf die Seite. Mindestens sechs Menschen starben, noch immer gelten laut italienischer Küstenwache 29 als vermisst.

Eine sogenannte Verneigung zu Ehren der Freunde auf Giglio: Viele Beobachter vermuten, dass der 52-jährige Kapitän Francesco Schettino seinen 112.000 Tonnen schweren Luxusliner planvoll bis auf 150 Meter an die Küste steuerte - nur um die Familie T. zu grüßen. Der Staatsanwalt wird T. dazu in Kürze vernehmen.

Der Zeitung "Il Tirreno" zufolge soll T. noch am Freitagnachmittag seine Eltern angerufen und sie darüber informiert haben, dass er an diesem Tag an ihrem Haus im Westen der Insel vorbeifahren werde. "Wir kommen gegen 9.30 Uhr, schaut aus dem Fenster", zitiert der "Corriere". Das alles angeblich auf Anregung des Kapitäns: "Ruf deine Familie an. Sag ihnen, dass wir in Kürze bei ihnen vorbeifahren!"

Reederei: "Unerklärliche Fehlentscheidung"

Antonello T. ist 46 Jahre alt, lebt bei Livorno und arbeitet seit fünf Jahren auf den Booten des Kreuzfahrtunternehmers Costa Crociere. Nach Bekanntwerden der Katastrophe erkundigten sich seine Facebook-Freunde besorgt nach seinem Wohlergehen. Am Tag danach kam die besorgte Nachfrage. Seine Nichte schrieb nur Minuten später: "Ich antworte für Mama: Ja, mein Onkel ist in Sicherheit."

Die Reederei hat dem Kapitän eine "unerklärliche Fehlentscheidung" vorgeworfen. Der Bordkommandant habe auf eigene Faust ein nicht genehmigtes Manöver vollführt, erklärte das Unternehmen an diesem Montag. Er distanziere sich vom Handeln seines Kapitäns, sagte der Chef der Kreuzfahrtgesellschaft Costa Crociere, Pier Luigi Foschi, auf einer Pressekonferenz in Genua. Schettino habe seinen Kurs aus eigenem Willen und entgegen der schriftlich fixierten Regeln der Kreuzfahrtgesellschaft gewählt. Dabei handele es sich um ein von Costa weder gebilligtes noch vorgesehenes Manöver.

Am Sonntag hatte bereits die Staatsanwaltschaft massive Vorwürfe gegen den Kapitän erhoben. Dieser habe den Luxusliner "extrem ungeschickt" zu nahe an die Insel herangeführt, sagte ein Staatsanwalt.

Fotostrecke

"Costa Condordia": Unterwasserfotos zeigen Zerstörung

Foto: DPA/ Guardia di Finanza
ala
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren