Flugschreiber verschollener Boeing Piepsen aus 4500 Metern Tiefe
Perth - Seit dem Wochenende ist Bewegung in die Suche nach der verschollenen Boeing gekommen: Über einen Unterwasser-Sensor registrierte das australische Schiff "Ocean Shield" Signale, die zu jenen eines Flugschreibers passen. Von einer "höchst aussichtsreichen Spur, wahrscheinlich sogar der besten Information seit Suchbeginn" sprach der Koordinator der Aktion, Angus Houston.
Noch optimistischer gab sich Malaysias Verteidigungsminister Hishamuddin Hussein. Er hoffe auf positive Entwicklungen innerhalb der nächsten Tage, "wenn nicht Stunden", sagte er auf einer Pressekonferenz. Dabei gibt es noch immer keine Bestätigung dafür, dass es sich tatsächlich um Signale einer Blackbox handelt.
Aber ist eine andere Quelle in dieser entlegenen Meeresregion überhaupt denkbar? Und wie funktioniert die Ortung einer Blackbox unter Wasser genau? Diese und andere Fragen beantwortet George Blau, der Leiter des Flugschreiberlabors bei der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig.
SPIEGEL ONLINE: Herr Blau, ein australisches Spezialschiff hat im Indischen Ozean Signale geortet, die womöglich von einem Flugschreiber stammen. Was genau sendet denn eine Blackbox?

Blau: Das sind Ultraschallsignale mit der Frequenz 37,5 Kilohertz. Es handelt sich also um Schallwellen, nur außerhalb des menschlichen Hörvermögens. Dieser Ton wird jeweils für zehn Millisekunden gesendet und pro Sekunde einmal wiederholt. Damit soll das Signal vom sonst üblichen Frequenzspektrum im Meer unterscheidbar sein - also dem allgemeinen Lärm unter Wasser, der durch Tiere, Schiffe oder Wellenbewegungen verursacht wird.
SPIEGEL ONLINE: Gerade das scheint momentan ein kritischer Punkt zu sein: Es ist nicht sicher, ob das Signal tatsächlich vom Flugschreiber der verschollenen Maschine stammt. Halten Sie eine andere Quelle für denkbar?
Blau: Ein anderer Sender natürlichen Ursprungs fällt mir jedenfalls nicht ein. Ob solche Frequenzen zum Beispiel durch Erdbewegungen entstehen, kann ich nicht beurteilen.
SPIEGEL ONLINE: Wie muss man sich so einen Sender vorstellen? Ist der in die Blackbox eingebaut?
Blau: Nein, der sitzt außen. Dadurch hat man natürlich ein etwas größeres Zerstörungsrisiko, weil der Sender bei einem Unfall nicht gesondert geschützt ist. Aber diesen Kompromiss geht man ein, damit der Schall gut abstrahlen kann. Es handelt sich um ein röhrenförmiges Gerät, etwa zehn Zentimeter lang, vielleicht drei Zentimeter Durchmesser. Aktiviert wird der Sender erst, wenn er mit Salzwasser in Kontakt kommt.
SPIEGEL ONLINE: Und bei einem Absturz über Land, oder über einem Süßwassersee?
Blau: Gibt es kein Signal zur Ortung von der Blackbox. Dann funktioniert die Suche nach dem Wrack nur optisch, über die Trümmerteile.
SPIEGEL ONLINE: Bislang hieß es immer, die Batterie der Blackbox halte etwa 30 Tage lang - vermisst wird Flug MH 370 seit dem 8. März. Wie exakt ist diese Angabe zur Laufzeit?
Blau: Es handelt sich da um eine Mindestdauer. Auf den Tag genau festlegen kann man das natürlich nicht: Es gab schon Fälle, bei denen der Sender 40 bis 50 Tage lief. Das hängt stark vom Zustand der Batterie ab.
SPIEGEL ONLINE: Wie laut ist denn überhaupt dieser Ultraschallton? Und über welche Distanzen ist er messbar?
Blau: Das ist der kritische Punkt. Die Schalldruckstärke liegt am Sender bei 160 Dezibel. Das wird über die Distanz natürlich weniger. Unseren Erkenntnissen nach hat man bei dieser Frequenz eine Reichweite von etwa zwei Kilometern - wenn das Gerät ungehindert abstrahlen kann. Nach etwa einer nautischen Meile ist die Energie des Signals durch die Dämpfung im Wasser so weit abgebaut, dass man es nicht mehr empfangen kann. Der Störpegel ist dann so groß, dass der Ton im Rauschen verschwindet.

Karte: Hier wurden die möglichen Blackbox-Signale geortet.
Foto: SPIEGEL ONLINESPIEGEL ONLINE: Ist die Suche im Indischen Ozean dann nicht aussichtslos? Die Wassertiefe in der Region, über der Flug MH 370 abgestürzt sein soll, liegt bei etwa 4500 Metern.
Blau: Nein, denn Sie halten ja nicht einfach ein Mikrofon ins Wasser - das wäre in der Tat aussichtslos. Ähnlich wie bei der Suche nach der abgestürzten Air-France-Maschine im Atlantik 2009 verwendet man dazu eine Schleppsonde. Diesen sogenannten Towed Pinger Locator zieht ein Schiff hinter sich her. Man lässt ihn herunter auf etwa zwei Kilometer oberhalb des Meeresbodens, um überhaupt in die Reichweite eines möglichen Senders zu kommen.
SPIEGEL ONLINE: Sollte sich bestätigen, dass das Signal von einem Flugschreiber stammt - wie würde die genaue Ortung funktionieren?
Blau: Man würde normalerweise versuchen, über die Schallstärke möglichst nah an die Quelle des Signals heranzukommen. Dann ließe sich über eine Messung von drei Seiten aus - die sogenannte Triangulation - der genaue Ort bestimmen. Ansonsten muss man mit einem Spezial-U-Boot nach Schallpegelstärke näher an die Signalquelle heranfahren, bis man sie irgendwann gefunden hat.
SPIEGEL ONLINE: Was wäre, wenn tatsächlich eine Blackbox geborgen wird? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Flugdatenschreiber und Stimmenrecorder intakt sind?
Blau: Eigentlich sollte der Flugschreiber diese Kräfte aushalten, dafür ist er gebaut. Im Fall der Air-France-Maschine war es zum Beispiel so, dass ein Auslesen nach relativ geringem Reparaturaufwand möglich war. Aber in diesem konkreten Fall wissen wir es natürlich nicht genau.
SPIEGEL ONLINE: Die Behörde, für die Sie tätig sind, untersucht Flugunfälle in Deutschland. Haben Sie selbst bereits Fälle erlebt, bei denen Flugschreiber aus dem Meer geborgen werden mussten?
Blau: Schon, aber nicht in diesen Wassertiefen. Unsere Hoheitsgewässer sind ja Nord- und Ostsee. Die sind beide etwas flacher.
George Blau ist Diplom-Ingenieur für Luft- und Raumfahrt. Bei der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig leitet der 55-Jährige das Flugschreiberlabor. Vier Experten befassen sich dort mit der Avionik-Auswertung; darunter fallen auch Stimmenrecorder und Flugdatenschreiber.