Von "Armleuchter" bis "Zuhälter" Kleines Schimpfwörterbuch des Bundestages

Am Donnerstag sitzen die Abgeordneten des Bundestages zum letzten Mal in Bonn zusammen, um sich gegenseitig zu beschimpfen. Das hat Tradition: Seit Eröffnung des Parlaments werfen sich Politiker Kraftwörter an den Kopf. Der frühere SPD-Fraktionschef Herbert Wehner führt die Liste der Volksvertreter an, die wegen sprachlicher Ausrutscher zur Ordnung gerufen werden mußten.

Bonn - Den ersten Ordnungsruf verzeichnet das Protokoll am 20. September 1949. "Hetzer", schleuderte der KPD-Vertreter Karl Renner vom Plenum aus Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) entgegen. Peter Ramsauer kommt wohl die zweifelhafte Ehre zu, die muntere Kollegenbeschimpfung im Bonner Bundestag nach 50 Jahren abgeschlossen zu haben. Für die Beleidigung "freches Luder" an die Adresse der Grünen-Abgeordneten Kristin Heyne handelte sich der CSU-Mann ebenfalls eine präsidiale Rüge ein.

Die lange Latte der Ordnungsmaßnahmen für Parlamentarier, die sich im Ton vergriffen, hat seit 1949 die Tausender-Marke überschritten. Es gibt kaum ein Schimpfwort, mit dem in den vergangenen 50 Jahren nicht meist der politische Gegner im Bundestag traktiert wurde. Auf das Tierleben - Ratte, Schlange, Stinktier, feiger Hund, Karnickel - griffen die Volksvertreter ebenso zurück wie auf eine deftige Fäkalsprache. Festgehalten sind auch Begriffe wie Berufsrandalierer, Gangster, Galgenkandidat, Harzer Roller, Lackschuhpanter, Möchtegern- Schimanski, Nadelstreifen-Rocker, Petersilien-Guru, Putzlumpen, Massenmörder, Pistolero, Pogromhetzer oder Giftspritze. Obwohl das Reservoir ziemlich ausgeschöpft war, fiel Findigen aber immer noch eine Neuschöpfung ein, um ins Protokoll zu kommen. Zu den Novitäten aus den letzten Jahren gehörten etwa der "kläffende Goldhamster", der "Betonbolschewist", die "Beamtenkuh" oder die "Weihnachtsgans".

Als einsamer Spitzenreiter auf der nun endgültigen Bonner Parlaments-Schimpfliste hat sich Herbert Wehner verewigt, der es auf 58 Ordnungsrufe in Bonn gebracht hat. Zählt man seine verbalen Verstöße in seiner turbulenten Zeit im sächsischen Landtag während der Weimarer Republik hinzu, sind es etwa 100. Unerreicht blieben die sprachschöpferischen Einwürfe des verstorbenen SPD-Fraktionschefs: So etwa, als er den CDU-Abgeordneten Jürgen Wohlrabe beim Namen packte und als "Übelkrähe" titulierte oder den Abgeordneten Schneider zum "Ehrabschneider" umfunktionierte. Gerätselt wird in Bonn immer noch, was Wehner 1980 mit dem Vorwurf "Sie Düffel-Doffel" an die Adresse der Union zum Ausdruck bringen wollte. Meisterhaft beherrschte Wehner auch die Kunst, mit Vorliebe Unionsredner aus dem Konzept zu bringen. "Waschen Sie sich erst einmal. Sie sehen so ungewaschen aus", rief er dem MdB Möller zu. Und dessen Fraktionskollege Engelsberger empfahl er: "Sie sollten einmal zum Arzt gehen, Sie platzen ja."

In die Fußstapfen Wehners zu treten bemühte sich lange Zeit Joschka Fischer. Als Grünen-Fraktionschef sammelte er innerhalb von zwei Jahren gleich ein Dutzend Ordnungswidrigkeiten. Heiner Geißler titulierte er als "Eckensteher", den CDU-Abgeordneten Althammer als "christliche Dreckschleuder", Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann war für ihn ein "bleifreier Hanswurst" und US-Präsident Ronald Reagan ein "schießwütiger Zelluloid-Cowboy". Seitdem Fischer im stets feinen Tuch auf der Regierungsbank Platz genommen hat, kommen ihm solche Töne nicht mehr über die Lippen.

Mit 39 Rügen hat Ottmar Schreiner in punkto Kollegenbeschimpfungen Platz zwei nach Wehner in Bonn souverän verteidigt. Doch der inzwischen zum Bundesgeschäftsführer der Partei aufgestiegene Sozialdemokrat muß sich in Berlin noch gewaltig anstrengen, um sein persönliches Ziel, Wehner zu überfügeln, noch zu erreichen.

Eine eigene Spezies in der Bonner Schimpfsammlung waren jahrelang auch "Chauvi-Sprüche". "Sie sehen besser aus, als Sie reden", rief Michael Glos von der CSU der SPD-Kollegin Anke Martiny zu. Auch Helmut Kohl reihte sich mit einem Ausrutscher ein. "Wenn ich Sie betrachte, verstehe ich, daß Sie für die Gleichberechtigung der Männer eintreten", ließ er Herta Däubler-Gmelin von der SPD von oben herab wissen. Der Kanzler entschuldigte sich später dafür.

Recht beliebt waren auch Anspielungen auf Trinkgewohnheiten im Parlament: "Der ist besoffen" (Seuffert, SPD, über Blank, CDU/CSU). "Der hat schon am frühen Morgen gesoffen." (Kliesing, CDU/CSU über Schöfberger, SPD).

Gelegentlich wurden nicht nur verbale Ausrutscher, sondern auch andere parlamentsfremde Praktiken gerügt. So bekam die Grünen- Abgeordnete Gertrud Schilling in den wilden Tagen ihrer Partei 1989 einen Ordnungsruf, weil sie eine Frisbee-Scheibe durch den Plenarsaal schweben ließ, um gegen Tiefflüge zu demonstrieren. Und ihrem gelegentlich heute noch widerborstigen Fraktionskollegen Christian Ströbele wurde das Wort entzogen, weil er sich am Rednerpult aus Protest gegen das Vermummungsverbot bei Demonstrationen Sonnenbrille und Mütze aufsetzte.

Trotz vieler schlechter Umgangsformen und sprachlicher Ungehörigkeiten im Plenarsaal hielten es die Parlamentarier mit einem vielzitierten Wort von Hans Dichgans. "Ich möchte hierleidenschaftlich für das Recht der Abgeordneten eintreten, Unsinn zu reden. Es ist eines der Grundrechte des Parlaments", hatte der erfahrene CDU-Parlamentarier 1967 geworben.

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