DROGEN »Werde riesig!«
Der Eintritt in die bunte Warenwelt der Muskel-Drogen kostete nur ein paar Mausklicks. Mit dem Zeiger zunächst auf das Stichwort »Anabolika« gefahren, dann auf »Steroide« gedrückt, schließlich auf »Store« gerollt, und schon konnte jedermann alles bestellen, was den Menschen dermaßen verändert, so versprach es die Werbung, »dass du ein größeres T-Shirt brauchst«.
Direkt in den USA können Sportfreunde übers Internet etwa das Aufbaupräparat »Androstenedione 300« für einen Sonderpreis von 24,89 Dollar bestellen. Attraktiv ist auch der »Prohormone Combo Pack«, ein Mix aus drei Starkmachern für den sensationellen Preis von 59,95 Dollar. Schöner noch: das Dopingmittel »Real Deca Durabolin« für »dramatischen Muskelwuchs« und »Sex Drive«.
Den schnellen Kontakt zum Dealer in Amerika hat ausgerechnet der Bundesinnenminister geebnet. Als Finanzier des deutschen Spitzensports fördert Otto Schily am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig den Aufbau einer »virtuellen sportwissenschaftlichen Bibliothek« - Fachleute sind voll des Lobes über »Sponet«, die »ultimative Findmaschine für Sportwissenschaftler, Trainer und Sportler« (Eigenwerbung).
Das elektronische Archiv verweist nicht nur auf einige tausend Literaturstellen aus dem Bereich der Leibesübung, es führt auch zu praktischen Hilfen für Athleten und deren Betreuer. Aber: Mit Links zu großen US-Dealern erleichtert das IAT nicht nur die Verbreitung von Dopingmitteln in Europa. Wenn Deutsche die Präparate beziehen, können sie belangt werden.
Für die Bundesregierung ist die Dopinghilfe aus Leipzig doppelt peinlich. Denn Schily gibt sich gern den Anschein des erfolgreichen Anti-Drogen-Kämpfers: Deutschland sei »in der Dopingbekämpfung und in der Dopingforschung weltweit führend«, rühmte er im Sommer. Zudem ist es nicht das erste Mal, dass die Schröder-Regierung Pech mit den von ihr geförderten Internet-Seiten hat: Im Frühjahr musste Christine Bergmann einen Link auf der Homepage ihres Familienministeriums sperren lassen. Besucher der Web-Seite waren mit wenigen Klicks bei Callboys und Angeboten für Sex-Spielzeug gelandet.
Ebenso leicht ist es für Sportler, über die IAT-Seiten an die Kraft spendenden Mittel des US-Schwarzmarkts heranzukommen. Sponet führte bis Donnerstag vergangener Woche unter dem Schlagwort »Doping« 98 Aufsätze. Ein Klick auf die Nummer 21 ("Link-Seite Ausdauer und mehr") lenkte direkt in die USA, wo Präparate zur chemischen Unterstützung der Kondition bestellt werden können. Und die Nummer 25 ("Steroide") leitete den Surfer zu »bigsport«, einem profunden Kenner des Muskelwachstums bei Kraftsportlern.
Wer sich einmal an dieser Stelle des World Wide Web befindet, tummelt sich in der Giftküche des Leistungssports. Trainer und Athleten erhalten hier unter viel versprechenden Namen wie »Anabolika-Bibel« oder »Neue-Hoffnung-Medizin« Erfahrungsberichte übers Dopen, Dosierungstipps, Hinweise auf neue Mittel. Händler preisen Aufputschmittel wie Koffein und Ephedrin an, massenhaft auch Starkmacher wie Androstenedion. Das unter Athleten so beliebte Nandrolon und klassische Anabolika werden unter dem Slogan angeboten: »Werde riesig!« Der Versand sei ganz einfach, heißt es weiter, die bestellten Waren würden noch am gleichen Tag verschickt. Für die US-Dealer ist Sponet somit ein wichtiger Türöffner für den europäischen Markt.
Um sein Ziel zu erreichen, den »Informations- und Wissenstransfer unter Nutzung moderner Medien« voranzutreiben, hatte das IAT in den vergangenen Monaten in einschlägigen Kreisen stark für die virtuelle Bibliothek geworben - und damit auch potenzielle Abnehmer von Dopingmitteln erreicht.
Unter Dopern hat das IAT ohnedies einen guten Namen. Im ehemaligen Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig arbeiteten bis zur Wende rund 600 Wissenschaftler zumeist im Geheimen an der Medaillenproduktion für die DDR. Mediziner und Pharmakologen forschten nach neuen Dopingmitteln.
Einiges Wissen wurde in die neue Zeit hinübergerettet. Professor Rüdiger Häcker etwa, der letzte Ärztliche Direktor des FKS, ließ sich Androstenedion als Nasenspray patentieren, das heute weltweit Abnehmer und Nachahmer findet. Mit Hilfe von Sponet kommen nun also die alten FKS-Erfahrungen übers Internet nach Deutschland zurück. Andere Wissenschaftler wie Gudrun Fröhner und Manfred Reiß, die laut Dokumenten und Aussagen ehemaliger Kollegen zu kundigen Insidern des DDR-Sportwunders zählten, arbeiten weiter für das IAT. Insgesamt sind in Leipzig noch 80 Mitarbeiter beschäftigt. Um deutsche Athleten optimal auf Weltmeisterschaften und Olympia vorzubereiten, überweist Schily jährlich über acht Millionen Mark.
Dass das IAT nun aber übers Internet zum Dopinghandel beitragen könne, sei »absolut nicht in unserem Sinne« sagt der zuständige IAT-Abteilungsleiter Roland Regner. Als ihn der SPIEGEL mit den Links zu den Händlern konfrontierte, meinte Regner, das sei für ihn »völlig neu und überraschend«. Man sei mit dieser Art der Dokumentation »noch sehr unerfahren - jetzt müssen wir da noch mal reingucken«.
Das ist geschehen. Nachdem der SPIEGEL wegen der Links beim Bundesinnenministerium nachgefragt hatte, reagierte Leipzig umgehend und löschte den Dopingtext 25 ("Steroide"). Andere Links indes blieben weiter offen. »Natürlich haben wir sofort den Auftrag erteilt«, sagte eine BMI-Sprecherin, »entsprechende Daten herauszuwerfen.« Zweck von Schilys Projektförderung sei der Aufbau einer wissenschaftlichen Datenbank, Geld gebe es nur, wenn dieser Zweck erfüllt werde.
Inwieweit das IAT für die Seiten, auf die es verweist, verantwortlich gemacht werden kann, berührt eine grundsätzliche Frage des Internet-Rechts. Der ausdrückliche Hinweis von Sponet auf »Haftungsausschluss«, so der Düsseldorfer Rechtsanwalt Tobias Strömer, ein Fachmann für Internet-Recht, sei unerheblich und daher auch »völlig überflüssig«. Letztlich müsse ein Gericht im Einzelfall prüfen, ob ein Straftatbestand vorliegt, wenn etwa Links zu Dealern aufgezeigt würden.
Welche Haftungsmaßstäbe bei Links gelten, sei in der Rechtswissenschaft »sehr umstritten«, sagt der Hamburger Anwalt Wolfram Lohse aus der Kanzlei Wittich, der über Verantwortung im Internet promoviert hat. Eine gefestigte Rechtsprechung gebe es nicht, besonders nicht in Bezug auf Suchmaschinen. Zum Nachteil der Leipziger sei aber zu berücksichtigen, dass Sponet nach eigenen Angaben die aufgelisteten Quellen sogar mit Hilfe von Fachleuten ausgewählt und analysiert hat, sie also kennen müsste.
Dass deutsche Sportler bereits übers Internet versorgt werden, gilt als sicher. Im vergangenen Jahr war eine Dopingprobe des Fußballers Thomas Ziemer positiv. Der Profi des 1. FC Nürnberg hatte von einem Betreuer Tribulus terrestris erhalten. Der Extrakt sollte die Regenerationsfähigkeit erhöhen, er wird im Internet als Geheimtipp gehandelt. Das Mittel steht zwar nicht auf der Dopingliste, ist aber, wie Untersuchungen zeigten, häufig mit anabolen Inhaltsstoffen kontaminiert.
Ende Oktober wurde Manuel Cornelius, Fußballer bei Tennis Borussia Berlin, trotz positiven Nandrolon-Tests vom Deutschen Fußball-Bund freigesprochen. Nachuntersuchungen hatten ergeben, dass das von ihm eingenommene US-Produkt »Speed Kreatin« verseucht gewesen war. Auch der in Sydney positiv auf Nandrolon getestete Ringer-Olympiasieger Alexander Leipold aus Schifferstadt macht nun geltend, dass Nahrungsmittelzusätze verunreinigt gewesen sein müssten.
Für Zoll und Kriminalpolizei ist der Handel der Cyber-Kriminellen ein ernstes Problem geworden. Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden hat eine eigene Beobachtungsgruppe eingerichtet, nachdem sich in den letzten Jahren das Dealen übers Internet vervielfacht hat. Derzeit erwischen die Fahnder aber nur einen Bruchteil der illegalen Einfuhren. Bei jährlich 1,3 Milliarden ausgelieferten Päckchen und Paketen ist flächendeckende Kontrolle nahezu unmöglich. UDO LUDWIG