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20. Juli 1944 »Wie ein Damoklesschwert«

aus DER SPIEGEL 29/1994

Nein, Heldinnen waren sie nicht, die Frauen der Männer des 20. Juli. Aber sie hoben sich ab von der Masse der Frauen, die ihre verzückten Gesichter dem Führer entgegenreckten zum metaphorischen Kuß für ein Unrechtssystem.

»Was sind das für schreckliche Augen«, grauste es Freya Gräfin von Moltke, als sie in einem dunklen Filmtheater nur diese Augen in einem Lichtkegel aufblitzen sah. Daß sie dem Mann gehörten, der alsbald die Macht in Deutschland ergreifen sollte, erkannte sie erst nach der Premiere.

Schon als junges Mädchen empfand Clarita von Trott zu Solz, daß »bei dessen Stimme sich bereits alles in mir zusammenzog«. Hitler, so erkannte Emmi Bonhoeffer, »wirkte wie eine Wasserscheide. An ihm trennten sich diejenigen, die sich den Instinkt nicht verschütten ließen für Gut und Böse«.

Um die »private oder persönliche Art von Widerstand« zu dokumentieren, interviewte die Rundfunkreporterin Dorothee von Meding, wen sie noch vorfand und wer noch reden konnte von den Witwen des 20. Juli: elf Greisinnen, von denen drei gestorben waren, als ihr Buch unter dem Titel »Mit dem Mut des Herzens« 1992 herauskam*. Zum 50. Jahrestag des 20. Juli erschien es als Taschenbuch. Die Erinnerungen fügen sich zu einem Stück weiblicher Sozialgeschichte in einer schwarzen Zeit, in der ein Aufstand des Gewissens aufleuchtete.

Diese Frauen entsprachen ihren gesellschaftlich wohl eingebetteten Männern in _(* Dorothee von Meding: »Mit dem Mut des ) _(Herzens - Die Frauen des 20. Juli«. ) _(Siedler Verlag, Berlin; 298 Seiten; ) _(39,80 Mark. ) der Grundgesinnung, und das mag schon das Geheimnis gewesen sein der Wahl ihrer Partner, die sie rückhaltlos bewunderten. Sie hatten durchweg aus dem Bürgertum in den Adel eingeheiratet, aber sie waren Geschöpfe jener tragenden Elite, die als weiblichen Edelmut die absolute Gefolgstreue dem Gatten gegenüber kultivierte. Ob sie ihre als gut oder gar glücklich beschriebenen Ehen opfern wollten, sie wurden nicht gefragt, sie wuchsen gleichsam hinein in den männlichen Widerstand, der Teil ihrer Beziehungen wurde.

Man muß sich den Alltag dieser Ehen so vorstellen: Der Legationsrat Adam von Trott zu Solz, Oppositioneller im Auswärtigen Amt, sitzt zu Hause an seinem Schreibtisch, aber er mag nicht, daß seine Frau Clarita derweil liest, sie soll jeden Augenblick ansprechbar sein, wie es schon seine Mutter für den Vater war.

Der Generalstabsoffizier Claus Graf Schenk von Stauffenberg arbeitet in der ihm eigenen absoluten Konzentration, während die Kinder Eisenbahn zwischen seinen Beinen fahren; oder er liest Zeitung, während seine Frau Nina die Tagesereignisse »so vor mich hin plätschert«. Wenn was kommt, das er wissen sollte, sagt sie: »Claus.« Er hört nicht. Sie lauter: »Claus!« Er hört immer noch nicht. Daraufhin sie: »Stauffenberg!« - »Ja, bitte?«

Für Nina von Stauffenberg bestand die Rolle im Widerstand »praktisch darin, meinem Mann den Rückhalt zu bieten, nicht als Klotz an seinem Bein zu hängen, sondern meine Aufgabe zu erfüllen, nicht im Wege zu stehen und ihn nicht zu belasten«.

Barbara von Haeften, deren Mann Hans-Bernd zu den ranghöchsten Oppositionellen im Auswärtigen Amt zählte, war »nur eine Stärkung für ihn«, aber er muß sie gebraucht haben, denn er suchte von Anfang an »mein ganz naives Mitdenken«.

Während der Jurist Helmuth James Graf von Moltke bei der Abwehr in Berlin dienstverpflichtet war, bewirtschaftete seine Frau Freya das schlesische Gut Kreisau, wo sich die Konspiration auf drei Tagungen seit Pfingsten 1942 verdichtete und als »Kreisauer Kreis« zu einem historischen Begriff wurde: »Wenn die Männer geplant haben, haben wir zugehört.«

Wie in Kreisau war es in der Berliner Hortensienstraße am Botanischen Garten, wo Peter Graf Yorck von Wartenburg und seine Frau Marion ein offenes Haus führten. Moltke empfand es als »winzig«, aber »sehr nett eingerichtet«. Dort befand sich das eigentliche Zentrum der Kreisauer mit den tiefverbundenen Freunden Peter als »Herz« und Helmuth als »Motor«, wie sie Marion Yorck sah.

Wie in dem Freundeskreis das »höchst Persönliche« mit dem Sachlichen verbunden wurde, wie die »sehr klugen Männer« debattierten und stritten, die »verschiedenen Charaktere« aber doch in ihrem »Miteinander und Gegeneinander« nach einem übergeordneten Nenner suchten, empfand sie als das »Aufregendste« und »Schönste« in der schwierigen Zeit: »Angst haben wir nie verspürt«, weil »man gar keine Zeit hatte, über den nächsten Schritt nachzudenken«.

In der Hortensienstraße pflegte auch Marion Gräfin Dönhoff zu übernachten, wenn sie von ihrem ostpreußischen Gut Quittainen nach Berlin kam. Wie sie in ihrem Buch »Um der Ehre willen"* schildert, wurde sie gefragt, wer in Ostpreußen »unser bester Mann« sei, nannte Heinrich Graf Dohna und warb ihn dann auftragsgemäß an, »aber ohne ihn zum Geheimnisträger zu machen«. Daß er trotzdem hingerichtet wurde - für die spätere Chefredakteurin und Herausgeberin der Zeit war das »ein mich lange quälender Vorwurf«.

Obwohl Marion Yorck und Freya von Moltke promovierte Juristinnen waren, beschränkten sich beide Frauen im Gegensatz zu Marion Dönhoff auf ihre »aktive ** Helmuth James Graf von Moltke: »Briefe an _(Freya«. C. H. Beck Verlag, München; 662 ) _(Seiten; 68 Mark. * Marion Gräfin ) _(Dönhoff: »Um der Ehre willen - ) _(Erinnerungen an die Freunde vom 20. ) _(Juli«. Siedler Verlag, Berlin; 192 ) _(Seiten; 32 Mark. ) Mithörerrolle«, stellten bisweilen Fragen, aber fühlten sich für die politische Planung nicht kompetent. »Heute, wo die Frauen auf Selbstverwirklichung solchen Wert legen, ist das kaum noch zu verstehen«, sagt Marion Yorck, 90, die in der Bundesrepublik als erste Frau eine Jugendstrafkammer übernahm und Landgerichtsdirektorin wurde.

Nach ihrer Emanzipation als Psychoanalytikerin kam Clarita von Trott, 87, zu der Erkenntnis, »daß bedeutsame Leistungen für die Allgemeinheit auch von der Qualität der jeweiligen Ehe abhängig sind. Beide Partner können sich wohl nicht gleichzeitig gleich stark in ihren Vorhaben verausgaben, ohne daß entweder die Ehe oder das Vorhaben Schaden leidet. Es fehlt dann ,der ruhende Pol''«.

Der klassische Gegensatz der Geschlechter - im letzten Brief vor seiner Hinrichtung beschrieb ihn Moltke seiner Frau so: _____« Aber ohne Dich, mein Herz, hätte ich »der Liebe » _____« nicht«. Ich sage gar nicht, daß ich Dich liebe; das ist » _____« gar nicht richtig. Du bist vielmehr jener Teil von mir, » _____« der mir allein eben fehlen würde. Es ist gut, daß mir das » _____« fehlt; hätte ich das, so wie Du es hast, diese größte » _____« aller Gaben, mein liebes Herz, so hätte ich vieles nicht » _____« tun können, so wäre mir so manche Konsequenz unmöglich » _____« gewesen . . . Nur wir zusammen sind ein Mensch. Wir sind, » _____« was ich vor einigen Tagen symbolisch schrieb, ein » _____« Schöpfungsgedanke. »

Freya von Moltke versteckte die Briefe ihres Mannes ("mein größter Schatz") in ihren Bienenstöcken, rettete sie als erstes auf ihrer Flucht aus Schlesien und gab sie später als Buch heraus**. Inzwischen 83 Jahre alt, mißt sie ihren Beitrag, ihre Opfer mit souveräner Größe an den Frauen der Roten Kapelle: »Ich bin doch zu sehr eine normale Frau, als daß ich nicht wegen meiner Söhne am Leben bleiben wollte.«

Während sie intellektuell opponierte ("Wir selbst haben das Wort Widerstand überhaupt nicht benutzt"), prangerten Männer und ebenso aktiv Frauen der Roten Kapelle die Untaten des nationalsozialistischen Regimes in Flugschriften an. »Das waren Frauen, die etwas tun wollten, die nicht ertragen konnten, nichts zu tun«, so hebt die Gräfin deren Taten hervor. »Daß ich selbst nicht so weit gegangen bin«, sieht sie inzwischen »als eine Schwäche von mir. So war ich eben. Ich bedaure das, aber vielleicht wäre ich dann nicht mehr am Leben«.

Als Emmi Bonhoeffer im Sommer 1942 im Gemüseladen agitierte und lauthals von der Judenvergasung berichtete, reagierte ihr Mann Klaus, der tief verstrickt war in den vielfach verschwägerten Opponentenkreis um den Abwehrmann Hans von Dohnanyi, aufgebracht: »Bist du vollkommen wahnsinnig? Verstehe bitte, eine Diktatur ist eine Schlange, wenn du sie auf den Schwanz trittst, wie du das machst, dann beißt sie dich. Du mußt den Kopf treffen. Das kannst du nicht, und das kann ich nicht, das kann nur das Militär.«

Die nur den Schwanz traten, wurden umgebracht wie die Frauen von der Roten Kapelle. Ihre todesmutigen Aktionen waren winzig und konnten die Geschichte nicht bewegen, ihre Namen gingen unter, ohne ins kollektive Bewußtsein einzudringen: *___Liane Berkowitz, Studentin, 1943 hingerichtet im Alter ____von 20 Jahren; *___Cato Bontjes van Beek, Keramikerin, hingerichtet im ____Alter von 23 Jahren; *___Eva-Maria Buch, Buchhändlerin, hingerichtet im Alter ____von 22 Jahren.

Es waren auch noch andere, die sich aus der klassischen Frauenrolle der Passivität herauswagten und dem Widerstand ein weibliches Element hinzufügten. Das Schicksal der Sophie Scholl, wegen Verteilung von Flugblättern hingerichtet im Alter von 22 Jahren wie auch ihr Bruder Hans und vier Freunde, bewegte noch während des Krieges die Briten. Der Emigrant Thomas Mann würdigte die Weiße Rose in der BBC.

Die erste Frau, die bereits 1938 allen politisch kämpfenden Frauen vorangehen mußte zur Exekution, war Liselotte Herrmann, 28. Es war ein aufrechter Gang: Die Kommunistin hatte keinen der illegalen Genossen verraten, obwohl ihr die Gestapo durch eine Kinderstimme vorspiegelte, ihr vierjähriger Sohn riefe nach seiner Mutter.

Sechs Jahre später mußte es keine kommunistische Untergrundtätigkeit sein, es genügte ein regimefeindliches Gespräch, um den Solf-Kreis zu liquidieren, der auch Juden half. Die Botschafterwitwe Johanna Solf führte eine Art Salon zur moralischen und geistigen Aufrichtung gegen die Perversion des Nazi-Regimes. Dort wurde Gesinnung gemacht, nicht aber ein Staatsstreich oder gar ein Attentat vorbereitet.

Als solch eine »Teegesellschaft« des offenen Wortes bei Elisabeth von Thadden tagte, war ein Spitzel der Gestapo unter den Gästen. Daß Moltke vor ihm warnte, nützte nichts mehr, trug ihm aber die eigene Verhaftung ein.

Johanna Solf überlebte das Kriegsende, weil ihr Prozeß mehrfach verschoben wurde. Die Pädagogin von Thadden, Gründerin eines evangelischen Landschulheimes, wurde zum Tode verurteilt - 20 Tage vor dem »Tag X«.

So hieß in manchem Haus der Verschwörer der Tag, an dem es nach ihrem Wunsch und Willen Hitler nicht mehr geben sollte. Allein die Mitwisserschaft war eine Lebensgefahr, und so ließ der Oberst Wessel Baron Freytag von Loringhoven, der den Sprengstoff und den Zünder für die Bombe beschaffte, seine Frau Elisabeth absolut ahnungslos. Die Baronin war mit ihren vier kleinen Söhnen ohnehin ausgelastet und grüßte auf Anweisung ihres Mannes korrekt mit »Heil Hitler«.

Auf dem mecklenburgischen Gut Trebbow wurde der 35. Geburtstag der Charlotte Gräfin von der Schulenburg am 20. Juli um zwei Tage vorverlegt, und sie wußte sehr wohl, warum. Sie kannte die vorbereitete Rundfunkrede, die mit dem Satz anfing: »Der Führer Adolf Hitler ist tot.« Ihr war »sonnenklar«, daß ihr Mann, ein enger Freund Stauffenbergs, das Attentat forcierte, »coute que coute, koste, was es wolle«.

Als der Graf, genannt Fritzi, überraschend aus Berlin erschien, wurden die sechs Kinder aus den Betten geholt, der Geburtstagstisch aufgebaut und »wegen der Stromsperre« Kerzen angesteckt. »Die Kinder sprangen in ihren Nachthemden fröhlich umher, es war ja immer ein Freudenfest, wenn er da war.« Am anderen Morgen, als sie ihren Mann im Pferdewagen zur Bahnstation brachte, sagte er ihr: »Du weißt, es steht fifty-fifty.« Sie aber »dachte nur an die guten fifty: Vielleicht war das für meinen Mann ganz wichtig«. Lange winkte sie ihm noch nach: »Und dann habe ich eben nie wieder was von ihm gehört.«

In der Berliner Hortensienstraße, wo das ausgebombte Ehepaar Gerstenmaier untergekommen war, kündigte ein Brief von Yorck den »Tag X« für den nächsten Morgen an. Die Yorcks befanden sich am Vorabend bei einem Polterabend in Weimar. Auf einem nächtlichen Spaziergang, vorbei an Goethes Gartenhaus, besprach Yorck mit seiner Frau die wesentlichen Dinge, bevor sie zurückgingen ins Hotel »Elephant«. Im Nachthemd verabschiedete sie ihn zur Reise ohne Wiederkehr.

Barbara von Haeften, Mitte Dreißig, hatte sich kaum von der Geburt ihres fünften Kindes erholt, als ihr Schwager Werner telefonisch das Codewort durchgab, »eine Wohnung für die Mutter« sei gefunden worden, und er erwarte seinen Bruder am nächsten Tag in Berlin. Ursprünglich zählte der Diplomat Hans-Bernd von Haeften wie Moltke zu den Gegnern eines Attentats und bezog auch seine Frau mit ein in die moralischen Qualen: »Wir können nicht mit Gangstermethoden arbeiten.«

Als sein Bruder Werner von Haeften im Januar 1944, als er gerade Stauffenbergs Adjutant geworden war, eine Pistole von ihm holen wollte, weil er am nächsten Tag Zugang zu Hitler hatte, hielt er ihn ab: »Hast du die Sicherheit, daß das deine Aufgabe vor Gott und vor unseren Vätern ist?«

Gleichwohl träumte seine Schwägerin, wie Werner mit blutigem Schwert, das soeben Hitler getötet hatte, eine Freitreppe herabkam, über die auch Napoleon geritten sein soll. Als nach Moltke auch noch zwei weitere Kreisauer, der charismatische Sozialdemokrat Julius Leber und der Reformpädagoge Adolf Reichwein verraten und verhaftet waren, machte sich der ältere Haeften Vorwürfe, den Jüngeren von seinem Vorhaben abgebracht zu haben, und konnte, wie er mit seiner Frau besprach, »auch nicht mehr nein sagen«.

Aus dem Schloß der 70 Kilometer von Berlin entfernten Standesherrschaft Neuhardenberg, wo viele Gespräche zur Vorbereitung des Staatsstreiches stattgefunden hatten, trat eine Maid von 21 Jahren und brachte ihrem im Garten weilenden Vater Carl-Hans Graf von Hardenberg die Nachricht vom morgigen »Tag X«. Reinhild, genannte Wonte, war als Sekretärin ihres Vaters in viele Details des geplanten Umsturzes eingeweiht.

Außerdem war sie, wie sie in einem Buch über ihren Vater berichtet*, »bis über beide Ohren verliebt« in Werner von Haeften, der sich mit ihr verlobt fühlte, ohne es ihr zu sagen, weil er sie nicht in das Attentat hineinziehen wollte. So segelten sie zusammen, doch über seine Beteiligung bei dem Anschlag »haben wir nie ein Wort verloren. Wir stimmten in diesen Dingen überein. Es mußte nicht geredet werden«, so Reinhild von Hardenberg. Die Nachricht, daß endlich »gehandelt würde nach dieser langen Zeit des Abwartens und Zögerns«, war »eine gewisse Erleichterung für uns alle«.

Über Nina von Stauffenberg, die Anfang Dreißig war, hing das geplante Attentat »immer wie ein Damoklesschwert«. Nachdem ihr Mann 1943 in Afrika ein Auge, die rechte Hand und zwei Finger seiner linken Hand verloren hatte, sagte er ihr auf dem Krankenlager: »Es wird Zeit, daß ich das Deutsche Reich rette.« Sie tat diesen Satz, der »wohl der Moment« seines Entschlusses war, noch als Witz ab: »Dazu bist du jetzt in deinem Zustand gerade der Richtige.«

Dann versuchte sie, ihn abzuhalten, aktiv einzugreifen. Als sie aber erkannte, »daß es ihm wesentlich ist, habe ich zugestimmt: Was er machen mußte, das mußte er machen«.

Sie wußte von der Bombe, sie hatte Angst vor den »fifty-fifty": »Da war ja alles drin.« Was sie aber nicht wußte, war, »daß er es selber machen würde«. So wurde der 20. Juli für die mit ihrem fünften Kind schwangere Frau des Attentäters Stauffenberg ein ganz normaler Ferientag in der Sommerfrische, bis ein Mädchen aus dem Haus gerannt kam und die Radionachricht von dem Attentat überbrachte.

Stauffenberg, sein Adjutant Haeften sowie die Mitverschworenen General Friedrich Olbricht und Oberst Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim wurden noch am selben Abend im Hof des Bendlerblocks, dem Sitz des Oberkommandos des Heeres, erschossen. Auf Anweisung von Himmler wurden die Leichen mit Ritterkreuz wieder ausgegraben und verbrannt, die Asche in die Felder gestreut. Der Familie Stauffenberg schwor er Rache »bis ins letzte Glied«.

Da die Häscher sie in der Sommerfrische erst am dritten Tag nach dem »ungeheuren Einschnitt« fanden, hatte Nina von Stauffenberg zwei Tage als »Geschenk des Himmels«, um »mit mir ins reine zu kommen« und im Sinne ihres Mannes zu handeln: »Er hatte mir verboten, loyal zu ihm zu stehen.«

Um ihre Kinder zu schützen, ihre ältesten Jungen Berthold und Heimeran waren zehn und acht Jahre alt, sagte sie ihnen, ihr Vater habe sich geirrt: »Die _(* Günter Agde (Hrsg.): »Carl-Hans Graf ) _(von Hardenberg - Ein deutsches Schicksal ) _(im Widerstand«. Aufbau Taschenbuch ) _(Verlag, Berlin; 292 Seiten; 14,90 Mark. ) Vorsehung schützte unseren lieben Führer.« Die Gestapo verhaftete den gesamten Clan der Stauffenbergs einschließlich der Schwiegermutter.

Auf Schloß Neuhardenberg tröstete der Graf seine Tochter Wonte während langer Spaziergänge, bereitete sie auf die Methoden der Gestapo vor und auf seinen eigenen Selbstmord. »Schmerz und Trauer« um Haeftens Tod durfte sie sich in der dörflichen Öffentlichkeit, wo sie anläßlich einer Schmährede auf die Verschwörer auftreten mußte, nicht anmerken lassen: »Wir waren ja bekanntlich schon so erzogen worden, eiserne Disziplin zu haben.«

Als nach »unbeschreiblicher Nervenanspannung« die Gestapo erschien, schoß sich Hardenberg aus Rücksicht auf Frau und Kinder nicht in den Kopf, sondern zweimal in die Brust und konnte nicht fassen, daß er noch lebte. Im Lazarett des KZ Sachsenhausen überlebte er die Anklageerhebung durch das Kriegsende.

Als Nummer 36344 wurde Wonte, geschockt auch noch durch den Annäherungsversuch eines Gestapo-Mannes, in das Frauengefängnis von Moabit eingeliefert und kauerte sich beim ersten Fliegeralarm mit einer Decke über dem Kopf in eine Ecke. Dort wurden die Frauen der meisten Widerständler versammelt, während ihre Kinder unter falschem Namen in ein Heim kamen. Wo waren sie, wie ging es ihnen, ob sie wohl für medizinische Zwecke mißbraucht würden? Die Marter der Fragen ohne Antwort lastete auf den Müttern.

Die kinderlose Marion Yorck sprang die ersten Tage »wie ein Tiger die Wände hoch: Rein motorisch war ich gar nicht in der Lage, etwas anderes zu tun, als im Kreis herumzulaufen«. In dieselbe Zelle wurde auch die Baronin Freytag von Loringhoven gesteckt, für die es ein »unerhörter Segen« war, daß die Gestapo ihren Mann »nicht anrühren« konnte: Er hatte sich in der Nähe der Wolfschanze umgebracht.

Während sich ihre Mitgefangene »am liebsten aufgelöst hätte«, bewunderte sie, wie »unglaublich standhaft« Marion Yorck durch den Gefängnispfarrer Harald Poelchau die Nachricht von der Hinrichtung ihres Mannes entgegennahm. Er wurde in Plötzensee, wie die meisten anderen Widerständler, auf Hitlers Wunsch »wie Schlachtvieh« an einem Fleischerhaken aufgehängt und dabei gefilmt, damit sich der Führer an seinem Todeskampf weiden konnte.

Charlotte von der Schulenburg, die in Trebbow unter Hausarrest stand, bekam das Todesurteil über ihren Mann zugestellt. Da aber kein Vollstreckungshinweis vorhanden war, fuhr sie mit Sondergenehmigung und einem Funken Hoffnung nach Berlin zum Volksgerichtshof.

»Verzeihen Sie, Frau Gräfin«, sagte ihr ein Oberstaatsanwalt. »Wird sofort erledigt. Nehmen Sie Platz.« 26 Anschläge: »Das Urteil ist vollstreckt.«

Völlig aufgelöst, laut schluchzend, begab sie sich nach Plötzensee und begehrte den Platz zu sehen, wo ihr Mann gestorben war. Sie wurde auch eingelassen, kam aber nur bis in einen Hof, wo alle Häftlinge sie ansahen, und erlebte eine »wichtige Episode in dieser ganzen riesigen Leere nach dem 20. Juli, die ich nie vergesse. Man hörte, der ist tot, der ist tot, und zwei Monate später war auch der tot«.

In dieser furchtbaren Zeit lief Brigitte Gerstenmaier von »Pontius zu Pilatus« und strengte sich selbst im Gestapo-Hauptquartier an, »schön zu lügen«. Eugen Gerstenmaier, der später Präsident des Deutschen Bundestages wurde, war am 20. Juli auf Anruf von Yorck mit einer Bibel in einer Tasche und einer Pistole in der anderen im Bendlerblock erschienen und dort noch am selben Tag verhaftet worden.

Als seine Frau eine Besuchsgenehmigung erlangte, schob sie dem Häftling ein Brötchen mit einem Kassiber unter der Wurst zu, damit er wußte, wer noch lebte. Vor allem aber spielten die Ehefrau und die Schwester Gerstenmaiers die erotische Karte in Gestalt von Liesel Sündermann, der Frau von Hitlers stellvertretendem Pressechef.

Sie lud den obersten Blutrichter Roland Freisler, der für sie schwärmte, am Abend vor der Urteilsverkündung gegen Moltke und Gerstenmaier zum Essen ein und stellte ihren Schützling als weltfremden Theoretiker dar. Am nächsten Tag erlebte Brigitte Gerstenmaier, als sie sich zitternd beim Gefängnispfarrer Poelchau nach dem Prozeßausgang erkundigen wollte, eine übermenschliche Geste der Freya von Moltke. Ihr Mann war zum Tode verurteilt, aber sie rief durch das ganze Treppenhaus: »Sieben Jahre, Brigittchen« - das Strafmaß für Gerstenmaier.

Die inhaftierten Ehefrauen wie auch Wonte konnten sich retten, indem sie die Ahnungslosen oder die politisch betrogenen Witwen spielten - gegen schwer nachvollziehbare Skrupel durch ihre Erziehung zur Wahrhaftigkeit. Vergeblich versuchte der Pfarrer Poelchau Barbara von Haeften klarzumachen, daß die Wahrheit im Verhör nichts bringt: »Das ist doch genauso unsinnig, als müßten Sie aus einem verkrauteten Kornfeld das Unkraut herausrupfen.« Sie: »Wenn ich nur einen halben Quadratmeter säubern kann, würde ich es tun.«

Erst die Nachricht von der Hinrichtung ihres Mannes rüttelte sie auf, »um mein eigenes Leben« zu kämpfen, »damit ich meinen Kindern erhalten bleibe«. Als die Gestapo sie mit ihrem Brief konfrontierte, in dem sie ihren Attentatstraum geschildert hatte, hörte sie sich wie automatisch sagen, was Poelchau ihr eingetrichtert hatte, sie aber zunächst nicht verwenden wollte: »Da muß ich eben das Zweite Gesicht gehabt haben.«

Die Frauen wurden von den Nazis wieder entlassen, nicht aber Nina von Stauffenberg und ihre Angehörigen. Sie gebar ihr fünftes Kind in Gewahrsam, ihre Mutter starb in einem SS-Straflager.

Nach dem Krieg mußte sie mit ihren Kindern »schauen, wie man sich durchwuselt und durchficht«. Stauffenberg war immer dabei. Noch im Alter von 81 Jahren fragt sie sich bei wichtigen Angelegenheiten: »Wie hätte er entschieden?«

Jeden Abend, wenn Marion Yorck einschläft, denkt sie »als letztes« an ihren Mann, »wie er alleine da war« vor der Hinrichtung. Um eine Yorck zu bleiben und stellvertretend »noch für den Peter« zu handeln, lehnte sie ab, ihren Lebensgefährten seit nun schon 48 Jahren, den jüdischen Emigranten Ulrich Biel, zu heiraten: »Ich galt immer als die Frau mit den zwei Männern.«

Emmi Bonhoeffer, die außer ihrem Mann fünf Verwandte durch den 20. Juli verlor, wohnte nach dem Krieg sieben Jahre mit drei Kindern in einer Mansarde von 16 Quadratmetern und hatte lange nur eine Schüssel, in der sie alles wusch, einschließlich der Heringe. Charlotte von der Schulenburg, die ihre sechs Kinder mit Verwandten-Almosen durchbrachte, mußte erleben, daß ihr eine Witwenpension verwehrt wurde, weil sich ein deutscher Beamter keines Kapitalverbrechens schuldig gemacht haben durfte. Als ihr die Pension sieben Jahre nach Kriegsende schließlich doch zuerkannt wurde, war das »ein Freudenfest für uns alle«.

Es war Eugen Gerstenmaier, der sich für eine Stiftung zugunsten der Opfer des 20. Juli stark machte. Angefeindet, weil er sich für eine entgangene Professur in der Nazi-Zeit 281 107 Mark gutschreiben ließ, trat er 1969 als Bundestagspräsident zurück. Aus dem Osten kam auch noch ein Pamphlet, »daß mein Mann, der sich - mit einem genagelten Stock auch noch - hatte prügeln lassen müssen, ohne auch nur das Geringste preiszugeben, ein Verräter gewesen sei«, so die Witwe Gerstenmaier, 83: »Das war die schlimmste Phase in unserem Leben, beinahe schlimmer als der Tod.«

In der Nachkriegszeit war Charlotte von der Schulenburg, die Lehrerin wurde, »geradezu abgestoßen von dem Desinteresse der meisten«, wenn nicht verbittert über »herablassende« Bemerkungen: »Wie konnte Ihr Mann denn so etwas tun?« Seinen letzten Brief, den eine Sekretärin heimlich abschrieb, bevor sie ihn weisungsgemäß vernichtete, erhielt sie zehn Jahre später und hatte ihn bis zu ihrem Tod im Alter von 82 Jahren immer bei sich. Zeit ihres Lebens trug sie das »starke Gefühl bei aller Trauer und Verzweiflung«, daß ihr Mann »versucht hatte, gegen das Unrecht anzugehen«. Das ab und an den Kindern zu sagen machte sie stolz.

Für die meisten Witwen war es nicht leicht, den richtigen Ton den Kindern gegenüber zu finden. Emmi Bonhoeffer, deren Tochter Cornelie nach dem Krieg als »armes Verräterkind« tituliert wurde, kultivierte mit einer rituellen Verlesung des Abschiedsbriefs zu jedem Silvester und einer fast lebensgroßen Fotografie, vor der sie oft Kerzen ansteckte, einen »erdrückenden Übervater«, wie sie später begriff.

Bis zu ihrem Tod im Alter von 86 Jahren stellte sie sich die Frage, »ob es eigentlich etwas bewirkt, für eine gerechte Sache einzustehen«, und manchmal drängte ihr die Nachkriegsgeschichte den Gedanken auf, »die sind vollkommen umsonst gestorben«.

Freya von Moltke, die nach dem Krieg neun Jahre als Fürsorgerin in Südafrika für Behinderte jeder Hautfarbe arbeitete, erwähnte die deutsche Vergangenheit ihren beiden Söhnen gegenüber nur selten und redete »zu wenig«, wie sie später meinte, von ihrem Mann, »obgleich er mich mein ganzes Leben nah begleitet hat«. Aber sie wollte die Kinder nicht belasten: »Es ist ja nicht leicht, so einen Vater zu haben.«

Elisabeth Freytag von Loringhoven, 83, sprach mit ihren vier Söhnen nie über den Tod des Vaters. Sie haben nie danach gefragt: »Ich warte eigentlich noch immer.«

In den Familien ihrer beiden Töchter wird das Andenken gepflegt, aber »politische Auswirkungen im Geiste der Männer des 20. Juli« kann die Psychoanalytikerin Trott zu Solz nicht entdecken. Die Sinnfrage lastet nach ihrer Einschätzung auf dem historischen Datum, so daß »fast alle um diesen Komplex herumgehen wie um den heißen Brei«.

Mit der rationalen Logik konnte sie das Opfer der Männer nicht verkraften, sie brauchte die irrationale Tröstung eines höheren Sinns: »Sie hatten keinen Erfolg. Aber sie setzten Maßstäbe.« Fragt sich - da zu ihrem Bedauern »dieser Freundesbund im Bewußtsein unseres Volkes keinen Platz gefunden hat« - für wen? Y _(* Mit ihren Kindern an ihrem Geburtstag ) _(am 20. Juli. )

Witwe Stauffenberg: »Er hatte mir verboten . . .

EMIL BAUER

. . . loyal zu ihm zu stehen": Stauffenberg-Hochzeit 1933

SÜDD. VERLAG

Hinrichtungsort Plötzensee: Erinnerung an den letzten Moment

Familie Trott zu Solz 1942, Witwe Trott zu Solz 1994: »Sie setzten Maßstäbe«

BPK

AKG

Juristin Moltke 1948, 1989: »Nur wir zusammen . . .

BPK

DPA

. . . sind ein Mensch": Moltke-Gut Kreisau

ULLSTEIN

Juristin Yorck 1994, 1940 »Aktive Mithörerrolle«

BPK

H.-P. STIEBING/ZENIT

Witwe Haeften Traum vom blutigen Schwert

Familie Haeften in den Schweizer Alpen 1942 »Kämpfen, damit ich meinen Kindern erhalten bleibe«

BPK

Gräfin von Hardenberg, Schloß Neuhardenberg Schmerz und Trauer mit eiserner Disziplin verborgen

DPA

SÜDD. VERLAG

Gräfin von der Schulenburg 1944*, 1986: »Wie konnte Ihr Mann so etwas tun?«

SÜDD. VERLAG

Witwe Bonhoeffer 1981, Verlobungsfoto 1930: »Die sind umsonst gestorben«

DPA

AKG

»Wir können nicht mit Gangstermethoden arbeiten«

»Was er machen mußte, das mußte er machen«

»Die riesige Leere nach dem 20. Juli werde ich nie vergessen«

»Ob es eigentlich etwas bewirkt, für eine gerechte Sache einzutreten?«

* Dorothee von Meding: »Mit dem Mut des Herzens - Die Frauen des 20.Juli«. Siedler Verlag, Berlin; 298 Seiten; 39,80 Mark.** Helmuth James Graf von Moltke: »Briefe an Freya«. C. H. BeckVerlag, München; 662 Seiten; 68 Mark. * Marion Gräfin Dönhoff: »Umder Ehre willen - Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli«. SiedlerVerlag, Berlin; 192 Seiten; 32 Mark.* Günter Agde (Hrsg.): »Carl-Hans Graf von Hardenberg - Eindeutsches Schicksal im Widerstand«. Aufbau Taschenbuch Verlag,Berlin; 292 Seiten; 14,90 Mark.* Mit ihren Kindern an ihrem Geburtstag am 20. Juli.

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