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Büros Willkommen im Klub

Italienische Designer haben das Büro der Zukunft entworfen - Arbeitsplätze für High-Tech-Nomaden.
aus DER SPIEGEL 46/1993

Die Zukunft hat schon begonnen: Ettore Sottsass, Andrea Branzi und Michele De Lucchi, drei italienische Stardesigner, haben eine neue Generation von Arbeitsplätzen entwickelt - verspielte, futuristische Prototypen für Büronomaden, die nicht die Dienststunden stumpfsinnig an verkratzten Nußbaumschreibtischen absitzen, sondern menschliche Energie und modernste Kommunikationsmittel effektiv einsetzen wollen.

Arbeits- und Privatleben werden immer stärker miteinander verquickt, die starre Trennung ist überholt. Nach amerikanischem Vorbild, wo bereits Millionen Angestellte im Grünen oder daheim am PC arbeiten und nur noch sporadisch in der Firma erscheinen, lösen sich allmählich die überkommenen Organisationsformen von Büroarbeit auf.

In der Bundesrepublik hat der Computerkonzern IBM als Schrittmacher bereits 350 Jobs flexibilisiert; die Zentralen sind über drahtlose Computer, Mobiltelefone oder On-line-Verbindungen mit ihren Angestellten verbunden. Und die arbeiten zufriedener und produktiver als zuvor, wie eine Begleitstudie des Psychologischen Instituts Tübingen ergab. Langfristig verspricht sich die Firma von dem Modell sowohl Werbung für ihre Bürotechnik als auch die Einsparung von Büromieten.

Solche Pilotprojekte verleiten den Designer Branzi zu waghalsigen Prognosen: »Gestern hieß es noch, man könne auch zu Hause arbeiten, heute lautet die These, man könne in Zukunft auch im Büro leben.«

Home und Office verschmelzen unter einem Dach zum »Hoffice«, wie das amerikanische Kürzel heißt. Die gesamte Büroszene werde, so Branzi, »ambivalent, hybrid und ungewiß": Raumgröße und repräsentatives Mobiliar werden an Bedeutung verlieren, statt dessen komme es auf Funktionalität und ein harmonisches Ambiente an, das die Kreativität beflügelt.

Ein jederzeit verfügbares Wohnbüro mit Bett und Kochnische als Mittelpunkt des Lebens? Die Aufhebung der bislang scharf konturierten Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit? Ein Maximum an Mobilität des Arbeitnehmers, ein Maximum an Emanzipation von lähmender Routine?

Daß die gute alte Schreibstube mit ihren Gummibäumen und monoton zischelnden Klimaanlagen ausgedient hat, wollen die drei Formphilosophen in der Ausstellung »Citizen Office« beweisen, die am 20. November in Hamburg eröffnet wird (im »Hanseatic Trade Center« auf Kehrwieder) und danach auf Welttournee geht.

Büroplaner Engelbert Kayenburg, der die Ausstellung initiiert hat, sieht in den Konzepten der italienischen Querdenker nicht so sehr konkrete Einrichtungshilfen, sondern vielmehr eine symbolische Attacke auf »eingefahrene Denkschablonen": »Das Büro in seiner alten Struktur ist nicht mehr existent.«

Es mutiert zum Kommunikationszentrum, zum Transit mit Klub-Atmosphäre. Der High-Tech-Mitarbeiter schaut allenfalls kurz herein, pflegt Kontakte, notiert einen Gedanken und widmet sich anschließend kreativer Entspannung.

Soviel Zukunftsmusik ist jedoch nicht einmal den drei unkonventionellen Italienern ganz geheuer. Daß die Machtelite von heute auf morgen spurlos aus ihren Chefzimmern verschwindet, glaubt selbst Designer Sottsass nicht - und deshalb hat er für solch autoritäre Charaktere augenzwinkernd einen über dem Schreibtisch schwebenden bunten Baldachin entworfen. Y

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