Wintersturm Orkan in Nordeuropa fordert mindestens 13 Menschenleben

In Schweden und Dänemark sind gestern im Sturm zehn Menschen ums Leben gekommen, drei weitere Tote wurden im englischen Carlisle entdeckt. Für zwei vermisste Kajakfahrer in Schleswig-Holstein gibt es kaum noch Hoffnung. In Norddeutschland richtete der Orkan schwere Schäden an. Fähren blieben in den Häfen, Züge mussten stoppen.

Hamburg - Wie der schwedische Rundfunk am Sonntagmorgen berichtete, wurden sechs Schweden durch herabstürzende Bäume oder andere schwere Gegenstände erschlagen. In Dänemark starben nach Polizeiangaben vier Menschen, in der nach schweren Regenfällen überschwemmten Stadt Carlisle in Nordwestengland wurden drei Tote gefunden. Ein weiterer Mann galt als vermisst, nachdem er nahe Bradford von einem Fluss davongerissen worden war. Carlisle war am Samstag überflutet worden, als der River Eden nach heftigen Regenfällen über seine Ufer trat. Mehrere tausend Einwohner mussten ihre Häuser verlassen, andere flüchteten sich in die oberen Stockwerke. Zwölf Menschen wurden von Militärhubschraubern von ihren Hausdächern gerettet.

In Schleswig-Holstein sehen Polizei und Feuerwehr keine Überlebenschance mehr für die zwei Paddlern, die am Samstag auf dem Brahmsee nahe Langwedel unterwegs waren und seitdem vermisst werden. Die beiden 19 Jahre alten Schüler aus Bremen hatten sich trotz der Orkanböen hinausgewagt und waren in der Seemitte mit ihrem Kajak gekentert, das leer ans Ufer getrieben wurde. Zwei weitere 19-Jährige, die mit den Verunglückten in einem Ferienhaus am See Urlaub machten, versuchten noch vergeblich, mit einem Ruderboot zur Hilfe zu kommen. Sie wurden völlig entkräftet und unter Schock stehend am anderen Ufer angetrieben und kamen in ein Krankenhaus.

Die Suche nach den Kajakfahrern, an der zahlreiche Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst beteiligt waren, wurde Sonntag mit Tauchern wieder aufgenommen und am Nachmittag wegen der Wetterlage und der Strömung abgebrochen - ergebnislos.

Der Orkan hat in Norddeutschland den Verkehr am Samstag stark behindert und beträchtliche Schäden angerichtet. Der komplette Bahnverkehr im nördlichen Schleswig-Holstein musste wegen entwurzelter Bäumen und heruntergefallenen Äste vorübergehend eingestellt worden, wie ein Sprecher des Bundesgrenzschutzes in Flensburg sagte. An zahlreichen Häusern wurden Dächer abgedeckt oder erheblich beschädigt.

Auf der Bahnstrecke Hamburg-Flensburg riss der Sturm die Oberleitung auf einer Länge von 500 Metern herunter. Auf der Bahnverbindung Kiel-Flensburg verhinderten vor allem umgestürzte Bäume den Zugverkehr. Auf der Strecke Hamburg-Flensburg konnte der Lokführer eines Güterzuges am frühen Nachmittag einen auf die elektrische Oberleitung gestürzten Baum noch rechtzeitig erkennen und den Zug stoppen. Verletzt wurde niemand. Die Strecke musste vorübergehend gesperrt werden.

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Wintersturm: Tote und Verletzte beim Orkan im Norden Europas

Foto: DPA

Im Kreis Nordfriesland wurden zwei Verkehrsunfälle durch umgekippte Pkw-Anhänger verursacht. In Struckum setzte der Sturm die Windräder einer historischen Mühle in Gang. Erst nach Stunden konnten sie zum Stillstand gebracht werden.

Windgeschwindigkeiten über 150 Stundenkilometer

Im ostholsteinischen Lensahn musste die Feuerwehr ausrücken, um die Dachplatten einer Fahrzeughalle der Försterei vor dem Orkan zu sicher. Im schleswig-holsteinischen Oldenburg lockerte der Sturm die Dachverkleidung einer Tankstelle. Sicherheitshalber montierten Einsatzkräfte die Dachverkleidung ab.

In Kogel in Mecklenburg-Vorpommern wurde ein 41-jähriger Mann unter einer umgestürzten Buche eingeklemmt und am Kopf schwer verletzt. In Valluhm im gleichen Bundesland riss eine Sturmböe einen Müllcontainer um, hinter dem ein Mann Schutz gesucht hatte. Der 59-Jährige wurde schwer verletzt mit einem Rettungshubschrauber in eine Hamburger Unfallklinik geflogen. In der Landeshauptstadt Schwerin begrub ein umgestürzter Baum zwei Autos und einen Motorroller unter sich.

In Aachen in Nordrhein-Westfalen rückte die Feuerwehr in Stadt und Kreis bis zum frühen Samstagabend zu 17 Einsätzen aus. In den meisten Fällen waren Bäume oder Äste sowie Verkehrsschilder abgeknickt. In Kohlscheid beschädigte ein umgestützter Baum drei parkende Pkw, Menschen wurden dabei nicht verletzt. In Gronau deckte der Wind einen Teil des Daches einer Lagerhalle ab.

Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach fegte der Orkan in Böen mit Windstärke 12 über Teile Norddeutschlands. Bei Flensburg wurden Windgeschwindigkeiten von bis zu 156 Kilometer pro Stunde registriert, auf dem Brocken im Harz betrug die Spitzengeschwindigkeit 165 Kilometer pro Stunde.

Sturm und starker Regen trafen auch den Nordwesten Englands mit Wucht. Dort wurden am Samstag die schwersten Überschwemmungen seit 40 Jahren registriert. Die Stadt Carlisle wurde durch das Hochwasser von der Außenwelt abgeschnitten; alle Zufahrtsstraßen waren überflutet. Autos schwammen durch die Straßen. Die über 100.000 Einwohner mussten die Nacht ohne Strom verbringen.

Militärhubschrauber holten mindestens 15 Einwohner von den Dächern ihrer Häuser, darunter eine Familie mit Baby und einen 90- jährigen Mann. Andere Menschen brachten sich mit Booten in Sicherheit.

Das Orkantief zieht nach Osten weiter

Vor der Küste Westschottlands lief im Sturm eine Fähre auf Grund. Die 43 Passagiere und 57 Crewmitglieder müssten auch über Nacht an Bord bleiben, kündigte eine Sprecherin der Reederei P&O an. Das schlechte Wetter erlaube es vorerst nicht, die aus Nordirland kommende Fähre mit Schleppern frei zu ziehen. Erst am Sonntag könne ein solcher Versuch unternommen werden, es sei aber niemand in Gefahr. Auf einer nordenglischen Autobahn warfen Sturmböen mit einer Geschwindigkeit von 140 Kilometern in der Stunde 25 Lastwagen um. Eine Reihe von Autobahnen und Brücken wurde gesperrt.

In Schweden und Dänemark waren nach dem Abklingen des Sturms am Sonntagmorgen fast eine halbe Million Haushalte noch ohne Strom. Der fast vollständig lahm gelegte Verkehr mit Fähren, Zügen, Bussen sowie Autos lief aber wieder weitgehend normal.

Auch in Schleswig-Holstein wurde der Zugverkehr am Sonntagmorgen wieder fahrplanmäßig aufgenommen. Nur auf der Strecke Kiel-Flensburg müssten sich die Fahrgäste noch bis zum Mittag gedulden, teilte eine Bahn-Sprecherin mit. Dort dauerten die Aufräumarbeiten noch an.

Das Orkantief ist nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes mittlerweile nach Nordosteuropa abgezogen. Allerdings werde weiter vor orkanartigen Böen bis zur Windstärke elf auf der Insel Rügen und für Teile Sachsen-Anhalts und für Sachsen gewarnt. Erst am Nachmittag werde der Sturm auch dort nachlassen.

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