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Gesellschaft Witwen und Waisen

Ortstermin: Ein Gericht klärt den Streit zwischen einem Frank-Zappa-Fan und Zappas Witwe - und ermittelt den Wert von Nostalgie.
aus DER SPIEGEL 5/2009

Gerade seine Leute in L. A., sagt Thomas Dippel und klingt ein wenig stolz, rufen ja auch mal mitten in der Nacht an. Sei nun mal so, im Musikbusiness. Nehmen die ja keine Rücksicht.

Dippel hat es sich gemütlich gemacht, bei sich daheim in Neunkirchen-Seelscheid, Regierungsbezirk Köln, Bergisches Land. Auf dem Küchentisch aus heller Kiefer stehen ein paar Tassen Filterkaffee, Kekse und der Tabak für die Selbstgedrehten. An der Wand hängt ein Poster, auf dem steht, dass es von Salvador Dalí ist. Dippel trägt einen feinen Schnauzbart und einen Strickpullover in Orange. Er trägt überhaupt gern Strickpullover. Manchmal auch Motto-Sticker, wie man sie sich in den Achtzigern an den Schulranzen machte. Vor der Tür steht sein neuer blauer Polo. Fünftürer, Kombi. Der Praktische. Dippel nimmt sich einen Keks.

Seine Leute in L. A. Vermutlich passte selten ein Satz so wenig zu der Küche, in der er gesagt wurde.

Dippel hat sich etwas Ruhe verdient. In letzter Zeit war er einer ständigen Doppelbelastung ausgesetzt, er ist 51 Jahre alt und hat gleich zwei Jobs. Er ist Vollzeit im Verwaltungs- und Teilzeit im Musikbusiness tätig, tagsüber leitet er das Neunkirchener Ordnungsamt, und den Rest der Zeit organisiert er ein Musikfestival, die »Zappanale«. Kartenverkauf, Musikanlage, Bandauswahl. Manchmal bekommt er deshalb Anrufe aus L. A. Es ist der Teilzeitjob, der gerade Ärger macht.

Die Zappanale ist eine mehrtägige Veranstaltung in Bad Doberan, Mecklenburg-Vorpommern. Auf der Zappanale treten Bands auf, die irgendwie in Verbindung zum verstorbenen Kultmusiker Frank Zappa stehen, verwaiste Zappa-Jünger. Seit 1990 gibt es die Zappanale. Die Zuschauer, meist ältere Menschen, übernachten in Zelten, hören mehrere Tage ihre Musik und fühlen sich wieder ein bisschen jung.

Oben, unter dem Dach von Dippels Haus, ist das »Zappa-Zimmer«, ein winziger Raum, der bis zur Decke vollgestellt ist, mit Originalalben, Compilations, Tribute-Alben, dazu mehrere hundert Konzertmitschnitte. Auf manchen dieser CDs ist nur ein Lied drauf, gespielt von verschiedenen Bands. Dippel versucht, die Unterschiede herauszuhören, die Nuancen. Im Sommer war er auf einem Fan-Treffen. Er hörte sich den Vortrag des Mannes an, der die Zappa-Texte ins Japanische übersetzt hat. Vor einiger Zeit fertigte Dippel aus etwas Holz einen Toilettenpapierhalter, der Frank Zappa auf dem Klo zeigt. Thomas Dippel ist ein sehr gründlicher, sehr deutscher Zappa-Fan.

Seit drei Jahren ist er der Vorsitzende des Vereins, der das Festival in Bad Doberan organisiert. Kurz nach seiner Wahl bekam er einen Brief von Gail Zappa, sie ist Frank Zappas Witwe. Ihrem »Zappa Family Trust« gehören die Rechte an Zappas Musik. In dem Brief stand, dass Gail Zappa den Verein und Dippel verklagen werde. Es ging um Markenrechte, um Schadensersatz, um 250 000 Euro und irgendwie auch um Haare. Das Logo der Zappanale zeigt einen Bart. Den Zappa-Bart. Im Logo des Zappa Family Trust ist auch ein Bart. Der Zappa Family Trust fand, das sei ein Problem. Das Düsseldorfer Landgericht nahm sich der Sache an.

»Mir erklärte der Anwalt, dass ich persönlich hafte in so einem Fall. 250 000 Euro, das war ein Schock.«

Als er damals den Brief in der Hand hielt, verstand Dippel zunächst gar nicht, was Gail Zappa wollte. Er liebte Zappas Musik, er organisierte ein Festival für Leute, die Zappa-Musik liebten, und er hatte nie einen einzigen Cent damit verdient. Wo war das Problem?

»Sie glaubte es nicht, sie dachte, hier sei Geld zu machen. Das war das Problem. So ist das Business.«

Dippel und das Business kamen miteinander aus, solange Dippel seine Rolle nicht verließ. Jede Platte, jedes Buch, jedes T-Shirt - Dippel kaufte, die anderen verdienten. Er war der perfekte Fan.

Jetzt ist es schwerer geworden für ihn, in einer Welt, die von ökonomischen Regeln gelenkt wird und darunter gerade zu wanken beginnt. In ihr ist der Fan kein Diener, in ihr ist er Kunde, und für den Kunden gibt es Vorschriften; der Kunde sollte besser immer auch das Kleingedruckte lesen. Die Regeln macht die Industrie, sie unterscheidet zwischen Rechteinhabern und Rechteverwertern. Musik ist schon lange kein Spiel mehr.

Es sind Leute wie Dippel, die das Musikbusiness reich gemacht haben. Seit Zappas Tod, er starb 1993 an Prostatakrebs, sind mehr als 20 Zappa-Alben erschienen. Das letzte im vergangenen Sommer. Das letzte Beatles-Album kam im November 2006 heraus, 36 Jahre nach der Trennung der Band. Es enthält Aufnahmen, die in den Sechzigern eingespielt wurden.

Dippels Fehler war, dass er seine Rolle nicht einhielt, er wollte sein Fan-Sein teilen. Er machte ein Festival, um sein Idol zu ehren. Er machte das gut. Die Leute mochten es. Zu der ersten Veranstaltung kamen 50 Zuschauer. Im vorigen Jahr waren es 6800. Fans wie Dippel, mit einem Sinn für Nostalgie. Dippel dachte nicht daran, dass für Nostalgie, so wie er sie versteht, die falsche Zeit ist. Er übersah, dass man mit Nostalgie richtig viel Geld machen kann.

Vergangene Woche hat das Düsseldorfer Landgericht die Klage von Gail Zappa abgewiesen. Dippel ist froh darüber, er darf die Zappanale auch dieses Jahr veranstalten. Er weiß nicht, was sich der Zappa Family Trust noch einfallen lässt, um die Zappanale zu verhindern. Dippel will aber keinen Streit mehr. In einer Vergleichsverhandlung hatten die Anwälte von Gail Zappa gefordert, dass das Festival den Zusatz »Zappa Music and More« bekommt. Am Ende scheiterten die Gespräche zwar, dennoch will Dippel dem Wunsch nachkommen. Er wird den Namenszusatz einfügen. Er habe das Ganze nie gewollt, sagt er. Es gehe ihm doch nur um die Musik.

Vermutlich ist genau das sein Problem.

JUAN MORENO

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