Wölfe in Deutschland Wenn Schafe zu billig sind

Schäfer Klaus Seebürger mit Hündin Sina auf einer Weide in Preten
Foto: SPIEGEL ONLINEDer Scheibenwischer quietscht, während Klaus Seebürger durch das Fenster seines Autos auf eine Weide in Preten blickt, im Norden Niedersachsens. 350 Schafe stehen dort im Regen, eingezäunt von 1,06 Meter hohen Elektronetzen, bewacht von drei Hunden und drei Eseln. Eine Kamera auf dem Dach eines Anhängers sendet live Bilder von der Herde auf Seebürgers Handy.
Früher sei er Minimalist gewesen, sagt er. Früher brauchte er zum Schafehüten kein Smartphone.
Seit 40 Jahren ist Klaus Seebürger Schäfer. Zehn Herden gehören zu seinem Betrieb, jede zählt zwischen 300 und 1000 Tiere. Immer schon wurden Seebürgers Herden angegriffen. Zuerst von Füchsen und seit 2006 auch von Wölfen. Er schätzt, rund hundert Schafe und Lämmer über die Jahre an den Wolf verloren zu haben.
Die Wölfe sind zurück. Nachdem sie in Deutschland lange als ausgerottet galten, wurden im Jahr 2000 die ersten Wolfswelpen in Freiheit geboren. Seitdem nimmt ihre Population zu. EU-weite Regelungen und das Bundesnaturschutzgesetz schützen sie streng. Das Töten oder Fangen der Tiere ist verboten.
Im Video: Die Rückkehr der Wölfe - Ein Raubtier mit Imageproblem
Doch wie weit ist der Wolf in Deutschland verbreitet? Die Dokumentations- und Beratungsstelle zum Thema Wolf (DBBW) gibt Antworten. Sie fasst die in den Bundesländern erhobenen Daten zusammen. Sicher nachgewiesen sind demnach in Deutschland 73 Rudel, 30 Wolfspaare und drei Einzeltiere. Interessensgruppen wie der Jagdverband warnen dagegen, dass im kommenden Frühjahr mehr als tausend Wölfe durch Deutschland streifen könnten.
Die Rückkehr des Wolfes stellt Landwirte vor neue Herausforderungen: Ein vorschriftsmäßiger Elektrozaun ist für Schäfer ein Muss, sonst gibt es im Ernstfall keine Entschädigung. Auch Herdenschutzhunde, wie Kangals bei Seebürgers Herde, sollen Schafe als Beute für Wölfe wesentlich unattraktiver machen, schreibt der Naturschutzbund auf seiner Homepage. "Die sind allerdings sehr teuer", sagt Seebürger. Rund 1400 Euro koste ein Hund pro Jahr. Das hat das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) ausgerechnet.
Die DNA der Wölfe
Der Regen in Niedersachsen hat aufgehört, die tief stehende Sonne taucht die Wiese in warmes Licht. Erst vor Kurzem fand Klaus Seebürger zwei tote Bocklämmer auf dieser Weide. Er holt sein Handy aus der Tasche und wischt mit seinen Fingern über Fotos der toten Tiere. An ihren Kehlen klaffen blutige Wunden, der Angreifer hatte heftig zugebissen. Seebürger sieht diese Wunden nicht zum ersten Mal. "Dieses Rissbild ist typisch für den Wolf, der in dieser Gegend unterwegs ist", sagt Seebürger. Ob der Gutachter ihm zustimmt, erfährt er erst in einigen Wochen. Wenn die DNA-Spuren ausgewertet sind.

Klaus Seebürger streichelt eines seiner Schafe
Foto: SPIEGEL ONLINEDann kann er Ausgleichszahlungen beantragen. "In unserer Gegend haben wir ordentlich Übergriffe", sagt der 58-Jährige. Allein in diesem Jahr wurden seine Herden bislang fünf Mal attackiert. Für ein totes Schaf bekomme er 150 Euro, sagt Seebürger. Damit sei er zufrieden. Anders ist es, wenn ein hochtragendes Mutterschaf gerissen wird. Hier gebe es lediglich einen Aufschlag von 30 Euro. Das noch nicht geborene Lamm habe zu diesem Zeitpunkt aber bereits etwa 50 Euro zusätzliche Kosten verursacht, sagt der Schäfer. Seebürger lebt von den Tieren. Stirbt ein tragendes Tier, fehlen ihm Einnahmen, die vom Schadensersatz nicht gedeckt werden. Dann geht die Rechnung für ihn nicht mehr auf.
Er rüstet auf, seit Jahren schon. Herdenschutzhunde, Esel und ein vorschriftsmäßiger Elektrozaun, und trotzdem starben wieder zwei Schafe. Der Schäfer glaubt, dass die Wölfe gelernt haben, über die Zäune zu springen. "Der Wolf, der über die Elektronetze springt, muss weg", sagt Seebürger. Auch der Bundesverband der Berufsschäfer fordert, solche Wölfe konsequent zu töten.
"Nicht jeder Wolf muss geschossen werden"
Doch der Wolf ist ein hochemotionales Thema. Die einen fordern seinen konsequenten Schutz, die anderen wollen ihn ins Jagdrecht aufnehmen. Seebürger gibt sich diplomatisch. "Nicht jedes Tier muss unbedingt geschossen werden", sagt der 58-Jährige. "Aber wir brauchen klare Regelungen."
Das eigentliche Problem sieht der Schäfer nicht beim Wolf. "Ich will, dass die wieder mehr wert sind, dann werden sie auch anders behandelt", sagt Seebürger. Die - das sind seine Schafe, die friedlich auf der Weide grasen und ihren Hüter anstupsen. Niemand investiere Tausende Euro in deren Schutz, wenn Schafe wegen des Preisdrucks immer weniger wert seien, sagt der Schäfer. Seine Arbeit werde nicht fair bezahlt und nicht wertgeschätzt.
Die Diskussion um den Wolf, die Seebürger so dringend fordert, nimmt derweil an Fahrt auf. Im Oktober brachte das Land Niedersachsen eine Bundesratsinitiative auf den Weg, der sich Sachsen und Brandenburg anschlossen. Damit sind die drei Bundesländer mit den meisten Wölfen beteiligt. Ziel sind deutschlandweit klare Regeln.
Wenn der Zaun immer wieder überwunden werde oder schlicht nicht praktikabel sei, müsse es rechtssicher möglich sein, problematische Wölfe zu töten, sagt Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies. Bislang können die Umweltministerien einzelner Länder verhaltensauffällige Einzeltiere zum Abschuss freigeben. Ein bundesweit einheitliches Konzept aber fehlt, die Umweltminister wollen im Mai wieder darüber sprechen. Lösungsansätze aus anderen EU-Ländern sollen genutzt werden. In Frankreich definiert eine Quote eine jährliche Zahl von Wölfen, die getötet werden können.
In der kommenden Woche fährt Klaus Seebürger nach Schleswig-Holstein. Eine Kollegin, Schäferin Uta Wree macht sich Sorgen um ihre Tiere. Die Wölfe sind in ihrem Bundesland angekommen. Klaus Seebürger gibt ihr Tipps zum Herdenschutz und bringt ein Abwicklungsgerät mit, um einen Elektrozaun zu installieren. Man hilft sich. "Ich kann nicht tatenlos zugucken. Ich bleibe dran."