
Fotostrecke: Was wurde aus... den geretteten Mineros?
"Wunder von Chile" Alle schlugen Profit aus dem Unglück, nur die Minenarbeiter nicht
Osman Araya sitzt mal wieder hinter dem Steuer, als er den Anruf entgegennimmt. Araya hat ein kleines Fuhrunternehmen als Ich-AG aufgebaut, befördert Post und Pakete im Norden Chiles. "Ich bin zufrieden, kann meine Familie ernähren, bin mein eigener Herr", sagt er.
Mit seinem anderen Leben hat der 38-Jährige abgeschlossen. In diesem anderen Leben war Araya Bergarbeiter. Und wurde im Winter und Frühling 2010 für kurze Zeit weltberühmt.
So wie viele seiner 32 Kumpel, die damals in dem Bergwerk San José in der unwirtlichen Atacama-Wüste nahe der Stadt Copiapó verschüttet wurden, arbeitet auch Araya nicht mehr im Bergbau. Die einen wollten nicht mehr einfahren, andere ließ man nicht mehr. "Wir 33 galten bei vielen Minenbetreibern nach dem Unfall als nicht vermittelbar, als Männer mit psychologischen Problemen." Zudem fürchteten die Unternehmen, die Bergleute von San José könnten die Sicherheitsmängel im Bergbau öffentlich machen.
Acht Jahre später erinnern sich nur noch wenige Menschen in Chile an die 33. Immerhin: Jedes Jahr am 13. Oktober, dem Tag der Rettung, treffen sich die Kumpel draußen in den rostfarbenen Bergen, wo damals das Gold- und Kupferbergwerk lag, das die Männer verschluckte: Ein Stollen war damals eingestürzt. Dann lassen sie die Erinnerung aufleben.
Der Ruhm ist verblasst
Der Ruhm von damals ist verblasst, die meisten Männer fühlen sich von Politikern und Journalisten ausgenutzt, von Filmproduzenten über den Tisch gezogen: "Wir waren nur die kleinen dummen Mineros damals", ärgert sich Araya. "Das große Geschäft mit uns haben andere gemacht." Etwa Hollywood, das 2015 den Film "69 Tage Hoffnung" ("The 33" im Original) mit Antonio Banderas und Juliette Binoche in die Kinos brachte. Von den Einnahmen haben die Mineros so gut wie nichts gesehen.
Die 33 verstehen bis heute nicht, wie sie erst so rumgereicht und dann vergessen werden konnten: "Berühmt waren sie nie wirklich", urteilt der Psychologe Alberto Iturra im Gespräch. Er betreute die Männer während der langen Wochen des Wartens auf die Rettung. "Sie wurden wie im Zoo vorgeführt. Es war eine Art journalistisches Stalking," sagt Iturra.

Fotostrecke: Was wurde aus... den geretteten Mineros?
Tatsächlich war der Fall der 33 Mineros von San José ein globales Medienthema mit Liveschalten, langen Reportagen, Magazin- und Personalitystorys. 69 Tage lang wollten Menschen auf der ganzen Welt wissen, wie es mit den Bergmännern weitergeht, die in einem Stollen in 688 Meter Tiefe eingeschlossen waren.
An einem Sonntag, den 22. August 2010, lokalisierte eine Sonde die Eingeschlossenen. Zuvor hatte es 17 Tage lang von Osman Araya und seinen Kollegen kein Lebenszeichen gegeben. Aber dann gingen Bilder ihrer staubigen und erschöpften, aber auch glücklichen Gesichter um die Welt, wie sie in die Kamera der Sonde blickten. "Heute weint ganz Chile vor Freude", sagte damals Präsident Sebastián Piñera. Araya hielt damals einen kleinen, mit roter Tinte beschrieben Zettel in die Kameras, auf dem stand: "Uns geht es gut, alle 33 sind wir im Schutzraum".
Gut war relativ - bei 35 Grad, 98 Prozent Luftfeuchtigkeit und phasenweise totaler Dunkelheit. Am 13.Oktober dann, kurz nach Mitternacht, wurde der erste Minero mit der Fénix-2-Rettungskapsel zurück an die Oberfläche geholt. Das Fernsehen übertrug live. 22 Stunden später war auch der letzte Bergmann wieder an der Oberfläche. Und das Wunder der komplexesten Rettung in der Geschichte des Bergbaus war vollbracht.
"Heute sehr distanziert"
In der Gefangenschaft des Berges verschworen sich die Männer im Alter zwischen 19 und 63 zu einer Notgemeinschaft, die nur ein Ziel kannte: Überleben bis zum Tag der Befreiung. "Sie waren aber nie Freunde", sagt Psychologe Iturra. "Die 33 waren verschieden alt, kamen aus unterschiedlichen Regionen des Landes, hatten nicht die gleichen Hintergründe."
Und so seien die 33 auch "heute sehr distanziert", sagt Iturra, der damals jeden Tag mit den Männern sprach, sie mental unterstützte und heute noch zu einigen von ihnen Kontakt hält. "Alle eint die unendliche Dankbarkeit, dass sie überlebt haben."
Außerdem in dieser Serie erschienen: Nokia, Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust, Talkshowmoderatorin Arabella Kiesbauer, Ehec, Steinkohlebergbau, Radstar Jan Ullrich, Ägyptens Ex-Diktator Hosni Mubarak, Aids, Deutschlandstipendium, Transrapid, Dioxin, Prokon, Chatportal Knuddels, "Costa Concordia" und viele mehr.
Im Überblick: Alle Folgen der Serie "Was wurde aus...?
Doch nach nur einem Jahr, das sie mit Reisen nach Madrid, Manchester, Israel und Disneyworld verbracht hatten, schlief das Medieninteresse schon wieder ein. Dann ging jeder seinen Weg. "Manche kamen besser, andere schlechter durch den Alltag." Manch einer der Kumpels war mehr als ein Jahr krankgeschrieben. Viele machten Therapie. Fast alle versuchten das Geschehen zu vergessen oder zu verdrängen. Schließlich mussten sie wieder arbeiten, um ihre Familien zu ernähren.
Nur Gruppensprecher Mario Sepúlveda und Jorge Galleguillos versuchen bis heute, aus dem Unglück eine Lebensaufgabe zu machen. Sepúlveda, 48, arbeitet gelegentlich auf dem Bau, hält aber lieber Vorträge darüber, wie man in Extremsituationen überlebt . Interviews gibt er in der Regel nur gegen Geld. Im Juli äußerte er sich mehrfach in chilenischen und internationalen Medien zu den Jungen in Thailand, die in einer Höhle eingeschlossen waren.
Die Alpträume liegen hinter ihm
Jorge Galleguillos, damals 56 Jahre, hat am Unglücksort ein kleines Museum aufgebaut. Dort sind die 69 Tage chronologisch aufgearbeitet, ein Dokumentarfilm erzählt die Rettung nach. Galleguillos führt die Besucher an die entscheidenden Stellen, verkauft Schlüsselanhänger, Fotos und andere Andenken.
Sepúlveda und Galleguillos sind die Ausnahme. Die meisten der Geretteten haben sich wie Osman Araya einen anderen Job gesucht, als Mechaniker etwa oder als Fahrer, einer ist bei der Bergbaubehörde angestellt.
Claudio Yáñez ist einer derer, die heute wieder im Bergbau malochen. Der 42-Jährige war damals unter Tage als Hauer beschäftigt. "Aber nun arbeite ich über Tage und warte Maschinen". Die Alpträume haben aufgehört, sagt Yáñez. "Nur manchmal, wenn mich Kollegen nach damals fragen, dann kommt die Erinnerung an die traurigen Momente zurück. Und mit ihr auch die Tränen."

Claudio Yáñez
Geblieben ist auch der Frust darüber, dass sich nach Empfinden der 33 Mineros alle an dem Unglück bereichert haben, außer sie selbst. "Wir haben lauter Verträge unterschrieben, die meisten in Englisch, das wir nicht sprechen, aber bekommen haben wir nichts", sagt Yáñez. Dabei hatten viele Einflüsterer die Männer nach der Rettung davon träumen lassen, dass sie im Handumdrehen reich würden.
Streit mit dem chilenischen Staat
Dankbar sind sie dem chilenischen Milliardär und Philanthropen Leonardo Farkas. Er schenkte damals jedem Minero umgerechnet 10.000 Dollar. Yáñez hat zusätzlich noch ein neues Eigenheim vom Milliardär bekommen - als Hochzeitsgeschenk. Yáñez hatte wie viele der eingeschlossenen Kumpel seiner Freundin versprochen, sie zu heiraten, sollte er lebend wieder rauskommen. "Farkas ist der einzige, der für uns etwas getan hat", sagt er.
Mit dem chilenischen Staat liegen die Mineros bis heute über Kreuz. Kurz nach der Rettung verklagten 31 der 33 Bergleute den Staat wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Die Bergbaubehörde Sernageomin habe die Unglücksmine trotz Mängeln wie fehlender Leitern in den Fluchtkorridoren und fehlendem Notausgang nicht geschlossen. 2007 hatte man zwar der Kupfer- und Goldmine wegen mehrerer Arbeitsunfälle und genereller Sicherheitsmängel die Betriebserlaubnis entzogen, aber nur für ein Jahr. Die Regierung habe sich damals auf den guten Willen der Eigentümer verlassen - ein lebensgefährlicher Fehler.
2011 stellte eine Untersuchungskommission fest, dass die beiden Eigner der Mine, Alejandro Bohn und Marcelo Kemeny, die Hauptschuldigen an dem Unglück waren. Aber dies blieb bis heute ohne Konsequenzen.
Wenige Wochen vor dem achten Jahrestag des Unglücks entschied endlich ein Gericht über die Klage der Mineros und sprach jedem der Kläger umgerechnet 100.000 Euro wegen der erlittenen immateriellen Schäden zu. Doch nur wenige Tage später fochten die Anwälte des Staates das Urteil an: Die Mineros hätten genügend Reparationen und Entschädigungen bekommen, heißt es in der Berufung.