Fall Ohnesorg Birthler-Behörde war seit Wochen über Kurras-Aktenfund informiert

Im Fall des enttarnten Stasi-Agenten Karl-Heinz Kurras gerät die Birthler-Behörde zunehmend in Erklärungsnot. Nach SPIEGEL-Informationen war die Amtsspitze, die behauptete, erst vor wenigen Tagen davon erfahren zu haben, seit Wochen über den Fund der Akten informiert. Die Behörde selbst dementiert diese Darstellung.

Hamburg - Seit wann ist die Spitze der Birthler-Behörde in Berlin über den Fund der Kurras-Akten informiert? Diese Frage sorgt in der Behörde zunehmend für Erklärungsnot.

Nach Informationen des SPIEGEL hat der Historiker Helmut Müller-Enbergs seine Abteilungsleitung in der Behörde bereits am 4. Mai über den Fund der Kurras-Akte und dessen bevorstehende Publikation in der Fachzeitschrift "Deutschland Archiv" informiert und um eine entsprechende Imprimaturgenehmigung, also die Erlaubnis zur Drucklegung, gebeten.

Mindestens zwei leitende Beamte der Birthler-Behörde kannten somit den Text bereits seit längerem. Die Amtsspitze dagegen hat bislang behauptet, erst am vorvergangenen Donnerstag von Kurras' Stasi-Vergangenheit erfahren zu haben.

Die Stasi-Unterlagenbehörde hat die Darstellung des SPIEGEL mittlerweile dementiert.

"Der Sachverhalt stimmt so nicht", sagte Behördensprecher Steffen Mayer am Freitag in Berlin. Die Amtsleitung habe erst am 21. Mai von der Stasi-Vergangenheit des früheren West-Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras erfahren.

Mayer sagte, Müller-Enbergs habe seinen Artikel am 4. Mai einem "vertretenden Projektleiter" vorgelegt, nicht einem leitenden Beamten. Dieser Projektleiter habe "sehr wohl den Sachverhalt Kurras" erkannt.

Der Mitarbeiter habe jedoch mit Müller-Enbergs vereinbart, die Amtsspitze erst nach dem Erhalt der Vorabfassung für den Druck über den Artikel zu informieren.

Zur Begründung verwies Mayer auf die "hohe Arbeitsbelastung" der Behörde Anfang Mai. Mit dieser Regelung wäre die Behördenleitung laut Mayer noch "lange vor dem Erscheinen des Berichts" in der Fachzeitschrift informiert worden. Ursprünglich sollte der Artikel dem Sprecher zufolge Anfang Juni im "Deutschland Archiv" veröffentlicht werden.

In der Zwischenzeit sei der Artikel jedoch an die Presse gelangt, sagte Mayer. Auf welchen Wegen dies passierte, sei "bis jetzt nicht bekannt". Erst anschließend - am 21. Mai - habe die Behördenleitung von dem Fall erfahren.

Der West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras hatte am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg während einer Anti-Schah-Demonstration erschossen.Später wurde er aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen, womit der Fall abgeschlossen schien. 1987 schied Kurras als Kriminalbeamter aus dem West-Berliner Polizeidienst aus.

Durch einen Aktenfund wurde der inzwischen 81-Jährige als inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit enttarnt. Seit der Enthüllung wird heftig über die Aufarbeitung der Stasi-Machenschaften diskutiert.

Erkenntnissen der Birthler-Behörde zufolge war Kurras seit 1955 als IM für die Stasi tätig und wurde für seine Spionagetätigkeit auch entlohnt. In den Akten findet sich allerdings kein Hinweis darauf, dass Kurras von DDR-Seite beauftragt wurde, am 2. Juni 1967 zu schießen.

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