
Kopenhagener Zoo: "Wir haben hier keine Haustiere"
Kopenhagener Zoo "Wir haben hier keine Haustiere"
Zwei namenlose Löwinnen sitzen auf einem Baumstamm und ignorieren den Sound des Zoos. Das laute Klappern und Schnattern der Flamingos ist zu hören, das Klatschen auf Wasser, wenn der Eisbär von Gegenüber seine Runde dreht. Sie bewegen sich nicht einen Zentimeter. "Faule Löwen", steht auf einer kleinen gelben Tafel am Rande des Geheges im Zoo Kopenhagen. "Sie jagen zwei bis drei Stunden am Tag, dann ruhen sie."
Am Montag noch waren sie zu sechst gewesen. Doch zwei alte Zuchtlöwen und zwei Jungtiere ruhen jetzt für immer, sie wurden eingeschläfert. Aus wissenschaftlichen Gründen, wie es heißt. Ein neuer, junger Zuchtlöwe wurde gefunden, er soll nun für Nachwuchs sorgen.
Erst Giraffe Marius, jetzt die Löwen - Tierliebhaber auf der ganzen Welt zürnen. "Sagt dem Kopenhagener Zoo, dass er keine gesunden Tiere töten soll!" lautet ihre Petition .
Steffen Stræde steht vor dem Löwengehege und nickt. Ein schmaler Mann, Ende 40, mit eisblauen Augen, Dreitagebart und olivgrünem Allwetter-Parker. Er ist im Zoo der Verwaltungsdirektor. Klar, er kann gerne erzählen, warum der Zoo sich entschlossen hat, die vier Tiere zu töten.
Der Bilderbuchzoo
Der Löwe sei sehr alt gewesen, sagt er. 16 Jahre alt. Er habe sich zunehmend für seine Töchter interessiert, die beiden namenlosen Grazien, die nun in der dänischen Märzsonne liegen. Und auch weiterhin für die Löwin, die mit ihren 14 Jahren jedoch viel zu alt war, um noch einmal eine Schwangerschaft zu überstehen. Als der alte Löwe vor ein paar Tagen gegenüber seinen drei Mitbewohnerinnen zudringlich wurde, wussten die Kopenhagener: Es ist Zeit.
Eine kleine Tür zum Gehege geht auf, eine junge blonde Frau in Tierpflegeruniform kommt gut gelaunt heraus. Ein paar schnelle Worte auf Dänisch. "Phantastisch", sagt der Zoo-Chef und nickt wieder. Das neue Männchen, noch getrennt von den anderen Tieren, entwickelt sich gut, es ist ruhig. Bald beginnt im Zoo die Ära der neuen Generation. Für die beiden Jungtiere wäre dort kein Platz gewesen, sagt Stræde. Sie wären vom neuen Familienoberhaupt getötet worden.
Eine neue Welle Besucher schwappt am Gehege vorbei, zur nächsten Station im Kopenhagener Bilderbuchzoo. Im ältesten Zoo Dänemarks gibt es Kamele, Kängurus und Nilpferde, dazu viel Grün, viel Holz und einen Abenteuerspielplatz, der über das Gehege der Braunbären bis zum Elefantenhaus führt. Und dies soll der Zoo der Todgeweihten sein? Gab es hier wirklich nirgendwo ein Plätzchen für die Problemlöwen?
Nein, sagt Stræde, ein wenig amüsiert ob so viel Empathie. Natürlich hätten sie gesucht, hätten andere Tierparks gefragt. Ohne Erfolg. Kann man nicht besser planen? Nein, sagt Stræde wieder. "Nicht, wenn man natürlich züchtet." Man wisse vorher nie, wann es klappt und wie viel Nachwuchs es gebe.
All das interessiert Tierfreunde derzeit herzlich wenig - die Löwentötung hat eine Welle wütenden Protests ausgelöst. Im Fall Marius hatte es sogar Morddrohungen gegen den zoologischen Direktor Bengt Holst gegeben.
Können Sie den Unmut denn gar nicht verstehen, Herr Stræde?
"Wir haben hier keine Haustiere", sagt er. "Wir haben hier Vertreter verschiedener Tiergruppen."
Deshalb haben im Zoo Kopenhagen nur wenige Tiere einen Namen. Eines der Dromedare heißt zum Beispiel Gobi, zu Trainingszwecken. Marius hieß nicht offiziell so, nur Pfleger verwendeten den Namen, bis der Wirbel losging und die Giraffe weltweit Schlagzeilen machte. Aber auch der Eisbär gegenüber ist ungetauft. Seit der Ära Knut in Deutschland undenkbar. "Die Leute machen die Tiere zu kleinen Menschen", sagt Stræde.
"Wir sagen nicht, dass das jeder so machen muss"
Im Internet tobt der Proteststurm - einige fordern bereits zum Boykott des Eurovision Song Contest auf, der dieses Jahr in Kopenhagen stattfindet. Im Zoo tritt eine Grundschulklasse aufgeregt ans Eisbärengehege, Fütterungszeit. Mit glücklichen Gesichtern beobachten die Kinder, wie der große weiße Bär auf einem Knochen kaut. Neben ihm auf einem Felsen liegt etwas, das aussieht wie ein faustgroßes, rotglänzendes Stück Fleisch. Vielleicht ein Tierherz.
Sind die Menschen außerhalb von Dänemark zu zimperlich?
"In Skandinavien haben wir ein engeres Verhältnis zur Natur behalten", sagt Stræde.
Nicht nur im Kopenhagener Zoo gibt es öffentliche Zerlegungen. Regelmäßig seziert auch das Naturhistorische Museum in Århus Tiere, zuletzt war ein Wolf dran. Mit den Löwen wird es das zwar nicht geben, aber die nächste Autopsie kommt. Nicht einmal er habe erlebt, dass Kinder das nicht gut gefunden hätten, sagt Stræde. Im Gegenteil: Die Kinder wollten alles wissen, verstehen. Erst neulich habe sein Sohn im Unterricht ein Schwein seziert. "Er hat sogar", sagt Stræde und führt die Finger zum Hals, "in die Luftröhre geblasen, um nachzuvollziehen, wie dann die Lunge aufgeht."
An diesem Märztag ist vor dem Kopenhagener Zoo kein Protestcamp in Sicht, wieso auch? Kaum jemand habe in Dänemark den Tod der Löwen hinterfragt, sagt Stræde. Die Leute haben aus dem Fall der Giraffe Marius gelernt, verstanden. "Wir sagen nicht, dass das jeder so machen muss, wir erklären nur, was wir tun und warum wir denken, dass das der richtige Ansatz ist."
Die zwei Löwinnen sitzen derweil unbewegt auf ihrem Wachplatz. Vielleicht genießen sie die Ruhe vor dem Sturm. In ein paar Tagen wird der Neuankömmling zu ihnen gelassen. Dann wird es neues Leben im Gehege geben.