Macht Zucker wirklich süchtig?
Dieser Beitrag wurde am 03.02.2018 auf bento.de veröffentlicht.
Zucker ist nicht nur schlecht für die Figur und unseren Körper – Zucker macht auch noch süchtig. Das behaupten jedenfalls die vielen Healthfood-Bloggerinnen mit ihren #sugarfree-Postings bei Instagram gern. Aber ist die Sache wirklich so dramatisch? Werden wir von Cola, Keksen und Kuchen auf Dauer abhängig?
Und wenn ja: Wie kommen wir aus der Nummer wieder raus? Wir haben Prof. Dr. Susanne Klaus gefragt – sie leitet am Deutschen Institut für Ernährungsforschung die Abteilung "Physiologie des Energiestoffwechsels".
Warum wollen wir überhaupt so viel Zucker essen – und haben nicht stattdessen ein Verlangen nach Möhren, Brokkoli oder Vollkorntoast?
"Eine Vorliebe für Süßes und Fettiges ist angeboren", sagt Klaus. "Entwicklungsgeschichtlich macht das auch Sinn: Früher war es wichtig, besonders viele hochkalorische Lebensmittel aufzunehmen.
Aber heute bewegen wir uns zu wenig für die Kalorien, die wir aufnehmen." Unsere Vorfahren waren darauf angewiesen, möglichst viel Energie zu sich zu nehmen. Und die ist nun mal in sehr süßen und besonders fettigen Dingen enthalten. Nur, dass früher keine Cupcakes, Schokoriegel oder Cheeseburger auf dem Speiseplan standen – und niemand den ganzen Tag vorm Computer saß.
Klären wir das – ein für alle Mal
In dieser Rubrik beantworten wir kleine Fragen des Alltags. Wenn du auch gerne eine beantwortet hättest, schreib uns an fuehlen@bento.de .
Ist also die "evolutionsbedingten Zuckersucht" die perfekte Ausrede für die ganze Nascherei?
Nein, leider nicht. Ob uns Zucker wirklich abhängig macht, darüber diskutieren Wissenschaftler. "Es gab Experimente mit Ratten bei denen man eine Art Suchtverhalten festgestellt hat", erklärt Klaus (SPIEGEL ONLINE). "Bei Menschen ist es aber keine Sucht im Sinne von Drogenabhängigkeit – es ist eher ein Craving, das man nach zucker- und fettreichen Speisen hat."
Diese Lebensmittel aktivieren besonders das Belohnungssystem im Gehirn, das auch beim Suchtempfinden involviert ist. "Das bedeutet aber nicht, dass eine Vorliebe für Süßigkeiten mit einer Drogensucht gleichzusetzen ist", sagt die Expertin. "Wenn man etwas isst, was besonders schmackhaft ist, dann hat der Körper meistens Lust darauf, mehr davon zu essen." Und weil vielen von uns süße Dinge besonders gut schmecken, haben wir das Gefühl, nicht mehr damit aufhören zu können.
Auch wenn es keine echte Sucht ist: Welche Rolle spielt die Gewöhnung an zuckerhaltiges Essen?
"Die Geschmacksnerven gewöhnen sich an das Süße", sagt Prof. Klaus. "Wenn man es gewöhnt ist, zwei Löffel Zucker in den Kaffee zu rühren, dann schmeckt es natürlich nicht so gut, wenn man plötzlich einen Kaffee ohne Zucker trinkt. Aber das kann man den Nerven auch wieder abgewöhnen."
Erst einen Löffel Zucker, dann irgendwann gar keinen mehr – das funktioniert nach einiger Zeit tatsächlich. Wenn man den Zuckerkonsum erfolgreich heruntergefahren hat, können die Geschmacksnerven plötzlich nicht mehr viel mit dem gesüßten Kaffee oder einem Donut mit pinkem Zuckerguss anfangen – das behaupten neben Forschern auch Menschen, die Zucker schon jetzt erfolgreich reduziert haben.
Mehr Folgen aus der Reihe "Klären wir das – ein für alle Mal!" findest du hier:
Alle Folgen "Klären wir das - ein für alle Mal!"
Wenn wir gestresst sind, überkommt uns das Zucker-Verlangen besonders oft. Ist das nur ein Gefühl oder wissenschaftlich zu erklären?
Stress kann für den Körper auch positiv sein: Wenn er erfolgreich bewältigt wird, fühlen wir uns danach besser und brauchen keine Schokolade.
Aber: "Viele Menschen sind heutzutage in einem Dauerstress, der nicht aufgelöst wird. Studien zeigen, dass sich in dieser Situation im Gehirn Neurotransmitter verschieben und mehr Kortison ausgeschüttet wird. Das führt dazu, dass man mehr Lust auf zucker- und fetthaltige Speisen hat", sagt Klaus. Früher wäre es wieder darum gegangen, dem Körper besonders viel Energie für diese Notsituation zuzuführen – und zwar vor allem durch süße Dinge.
Lass uns Freunde werden!
"Studien zeigen, dass es auch Personen gibt, die bei Stress weniger essen, aber sie essen trotzdem mehr Süßes. Vermutlich sendet das Gehirn entsprechende Signale aus, dass mehr Energie benötigt wird." Ein komplexer Prozess, der noch erforscht wird – aber ein Zusammenhang zwischen Stress und der Lust auf Süßes besteht.
Natürlich spielen auch Belohnungsgefühle eine Rolle: Schon als Kinder bekommen wir Bonbons, wenn wir beim Arzt tapfer waren oder Trost-Schokolade, wenn wir vom Fahrrad fallen. "Das sind konditionierte Reflexe, die im Hirn verknüpft sind", sagt Klaus. "Süßes wird verbunden mit Trösten – und wenn wir erwachsen sind, trösten und belohnen wir uns selbst damit."
Und wie ist das mit Zucker-Ersatzprodukten? Stevia, Agavendicksaft oder klassischem Honig?
Zurück zu den Healthfood-Bloggern: Viele kippen Agavendicksaft in ihren Kurkuma Latte oder formen Energy Balls aus getrockneten Datteln – ist das die bessere Wahl? "Für den Körper ist Zucker im Grunde Zucker. Der weiß nicht, ob der Zucker gerade aus dem Honig kommt oder aus dem Würfelzucker", erklärt die Professorin.
Ob aus Ersatzprodukten, Obst oder Weißbrot: Der enthaltene Zucker wird vom Körper aufgespalten, bis er genauso aussieht wie der aufgenommene weiße Zucker – chemisch gesehen macht es dann keinen Unterschied mehr.
Aber: In natürlichen Süßungsmitteln sind immerhin noch wichtige Nährstoffe für den Körper enthalten, weißer Zucker ist einfach nur Zucker. Außerdem haben einige Ersatzstoffe viel weniger Kalorien als Zucker – wenn es ums Abnehmen geht, ist zum Beispiel mit Stevia eine gute Alternative. Dem Abhängigkeitsgefühl entkommen wir dadurch aber nicht: Denn der süße Geschmack bleibt gleich, unsere Geschmacksnerven können wir so nicht umerziehen.
Bekäme unser Körper durch kompletten Zuckerverzicht denn überhaupt noch die Energie, die er braucht?
"Rein biologisch gesehen müssen wir keinen Zucker zu uns nehmen", sagt Klaus. "Das Gehirn benötigt zwar Glukose, und Zucker ist ein wichtiger Energielieferant. Aber wir müssen ihn nicht mit der Nahrung aufnehmen, weil der Körper ihn selbst herstellen kann. Außerdem bestehen Kohlenhydrate wie Stärke aus Zuckermolekülen, die beim Verdauen im Darm freigesetzt werden."
Wenn wir also Brot, Kartoffeln oder Obst essen, bekommen wir genug Zucker, um alles am Laufen zu halten. Auf den weißen Industriezucker, der bergeweise in Cola, Schokoriegeln oder Fertigsoßen steckt, könnten wir gut verzichten – zumindest in der Theorie.