Hier erzählen Menschen, warum sie andere einfach geghostet haben

Von Lena Seiferlin

Dieser Beitrag wurde am 14.02.2018 auf bento.de veröffentlicht.

Das Gefühl, dass zwischen Julia und ihrem Freund etwas nicht mehr stimmte, hatte sich langsam aufgebaut. Es war in Julia gewachsen, hin zu dem Gedanken, dass ihr ihre Zeit zu schade war für diese Freundschaft, dass sie sich verändert hatte. 

Sie reagierte nicht mehr auf seine Fragen, Nachrichten, Anrufe – ohne sich zu erklären verschwand sie, brach den Kontakt ab, von einem auf den anderen Tag. Sie wurde zum Geist.

Dieses Phänomen, diese Art des Verlassens, wird "Ghosting", genannt. Liebende oder Freunde ziehen sich dabei ohne Vorwarnung völlig zurück.

"Wie wir uns untereinander verhalten, ist heute anders als noch vor 30 Jahren. Wir kommunizieren über WhatsApp, Facebook oder Tinder", sagt Bastian Roet, Sprecher des deutschen Soziologenverbandes. "Im Internet gehen wir miteinander um, wie es im realen Leben nicht tragbar wäre."

Wir brechen Unterhaltungen auf Tinder einfach ab, wenn uns der andere plötzlich doch nicht mehr passt. Manche antworten auf Facebook nicht mehr, wenn sie sich auseinandergelebt haben, ihnen nichts mehr einfällt.

Dabei klingt es so hart: sich aus dem Leben des anderen schleichen. Stimmt, sagt Roet. Im Moment des Ghostings seien Ghosts wenig empathisch. Dann, wenn "der eine hinterfragt und Antworten will, der andere aber scheinbar grundlos nicht mehr reagiert".

Was aber muss in einer Beziehung passiert sein, damit einer einfach geht? Und haben die Ghosts kein schlechtes Gewissen? 

Das haben wir drei Menschen gefragt, die jemanden geghostet haben. Sie sind zwischen 25 und 35 und wollen für diese Geschichte unerkannt bleiben.

JULIA – "Ich wohne in einer Großstadt im Westen Deutschlands, komme aber aus einem kleineren Ort nahe des Ruhrgebiets. Damals, als ich noch dort wohnte, hatte ich einen besten Freund. Michi war mein Vertrauter, ich war seine Vertraute, über Jahre hinweg. Bis ich ihn verlassen habe.

Lass uns Freunde werden!

Michi und ich hatten viel miteinander geteilt. Auch, als wir beide aus der Kleinstadt weg zogen, hielten wir die Freundschaft aufrecht. Wir telefonierten ab und zu und besuchten uns, vor allem zu Geburtstagen.

Dann lernte ich Marc kennen, meinen jetzigen Mann. Mit ihm ging ich, noch zu Beginn unserer Beziehung, auf eine Party in der Heimat. Michi war auch da. Er verhielt sich Marc gegenüber, als sei er etwas Besseres, total von oben herab. Das konnte ich überhaupt nicht haben. Natürlich muss nicht jeder meinen Mann mögen, aber Michis Art war ätzend. 

Ich merkte immer mehr, dass mir Michis Ansichten zu vielen Themen nicht mehr passten. Er hatte sich verändert. Ständig hinterfragte er meine Gedanken und mein Leben, mit meinem Freund konnte er auch später nichts anfangen.

Als der mir einen Antrag machte, freute Michi sich nicht mit mir, vielmehr zweifelte er, ob es richtig war, dass ich "Ja" gesagt hatte. Aber nie konnte er näher erklären, worum es ihm eigentlich ging.

Er hatte sich verändert

Julia

Ich fing an, mich abzuwenden. Auf Nachrichten antwortete ich nicht. Er schrieb, ich ignorierte ihn. Eine Auseinandersetzung scheute ich. Ich legte einfach keinen Wert mehr darauf, mit ihm zu sprechen, ihm zu sagen, was ich denke. Ich hatte das Gefühl, es mache eh keinen Sinn mehr. Und ich hatte auch kein schlechtes Gewissen – war er es doch, der offenbar mit mir nicht mehr klarkam. 

Michi hatte mich ein Stück begleitet, jetzt eben nicht mehr. Ich finde, wenn man wirklich merkt, dass ein Gespräch nichts mehr bringt, weil man sich einfach zu sehr voneinander entfernt hat, dann ist es okay, jemanden zu ghosten." 

MARKUS – "Ich saß im Auto, fuhr mit Freunden durch Bayern – und ging einfach nicht mehr ans Telefon. Ich antwortete nicht auf SMS, auf nichts mehr. So lange, bis das Handy endlich stillstand. Sie hatte aufgegeben. 

Ein Paar waren wir nie, auch wenn wir beide etwas füreinander empfanden. Doch weil wir so gute Freunde waren, hatten wir immer beide Angst, dass das kaputtgehen könnte – ohne, dass wir je darüber sprachen. Ich habe das im Gefühl. 

Dann ging es kaputt. 

Wir hatten eine tolle gemeinsame Zeit, viele wunderbare Abende. Ich hielt das irgendwann nicht mehr aus: Man kann nicht mit jemandem befreundet sein, von dem man über Jahre nicht weiß, ob er nicht eigentlich der perfekte Partner für eine feste Beziehung wäre. Andererseits kann man auch nicht mit jemandem befreundet sein, mit dem man über so etwas nicht sprechen kann. 

Ich musste da raus, wollte abschließen.

Ich hielt das irgendwann nicht mehr aus

Markus

Ich ahnte, dass ich ihr wehtun würde und hatte keine Ahnung, ob sie meinen Schritt nachvollziehen konnte. Trotzdem wähnte ich mich im Recht, schließlich hatte ich in all den Jahren – so glaubte ich – viel mehr unter der Beziehung gelitten. 

Heute fühle ich mich schlecht damit, einen harten Bruch herbeigeführt zu haben. Es war egoistisch von mir, wir hätten reden sollen. Ich würde nie wieder jemanden ghosten, die Situation nie wieder so kompliziert werden lassen." 

ANNA – "Ich war nicht nur einmal der Ghost, sondern gleich mehrfach. Es klingt fies, aber es ist die leichteste Methode, Menschen loszuwerden, die mir zu nahe gekommen sind oder die mir einfach nicht gut tun. Doch nicht immer ghostet man ohne Reue.

Die erste Person, von der ich mich wortlos entfernte, war eine Freundin aus der Uni. Ich war froh, schnell Anschluss gefunden zu haben, wir gingen oft zusammen feiern. Doch in manchen Momenten kam sie mir extrem arrogant vor. Neben ihr durfte ich keine eigene Meinung haben.

Es ist die leichteste Methode, Menschen loszuwerden

Anna

Ich war 20 und fühlte mich nicht stark genug, ihr zu widersprechen. Irgendwann sah ich keinen Ausweg mehr, als diese Beziehung kompromisslos zu beenden und mich nicht mehr bei ihr zu melden. Das war Selbstschutz; ich fühlte mich immer unwohler in ihrer Gegenwart und hatte Angst, dass ich mich – käme es zum Konflikt – verbal nicht hätte wehren können. 

Auch meine beste Freundin aus der Schulzeit ghostete ich. Sie war immer für mich da, auch ihre Familie hatte mich immer herzlich aufgenommen. Nach der Schule begann sie, im Norden Medizin zu studieren, ich ging ins Ruhrgebiet. Sie besuchte mich oft und war weiterhin die einzige Person in meinem Leben, die alles über mich wusste.

Doch unsere Leben entwickelten sich in unterschiedliche Richtungen. Es war schwierig für mich, dass ihres im Vergleich zu meinem immer das perfektere war. Mir fiel immer öfter auf, dass es in unseren Gesprächen nur um mich und meine Probleme ging – nie um ihre, denn sie hatte keine. 

Ich spürte auch, dass sie das belastete. Einmal, als es ihr schlecht ging, erzählte sie mir erst viel später davon. Als würde sie denken, ich würde so etwas nicht aushalten. 

Bald fragte ich mich, ob sie vielleicht nur noch aus Mitleid meine Freundin war. Ich brach den Kontakt in einem Moment ab, in dem ich sehr wütend war. Über ein Jahr lang hatten wir keinen Kontakt. 

Doch ich vermisste sie. Mein schlechtes Gewissen war riesig, ich schämte mich für mein Verhalten. Weil mein Mann sich um ihre Versicherungen kümmerte, wusste ich, dass sie manchmal nach mir fragte. Doch erst, als meine Hochzeit bevorstand, konnte ich über meinen Schatten springen: Ich lud sie ein, einfach so. Und sie kam.

Dieser Moment war unbeschreiblich: Es war, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen! Wir näherten uns wieder an, sprachen miteinander, tanzten. Sie hatte mir offenbar verziehen, was ich getan hatte – und ich dachte an diesem Abend nur eins: Ich habe meine beste Freundin zurück."

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