Wie ist es, wenn der Partner eine Behinderung hat? Jo und Phil erzählen

"Wir finden andere Wege"
Von Julia Felicitas Allmann

Dieser Beitrag wurde am 01.07.2018 auf bento.de veröffentlicht.

Ich bin mit Jo und Phil bei Skype verabredet. Die beiden Briten leben eigentlich in Oxford, Jo ist gerade für ein Gründer-Austauschprogramm in Berlin, sie will sich im Herbst selbstständig machen. Phil ist zu Hause in der gemeinsamen Wohnung in England. 

Die beiden 32-Jährigen sind seit 14 Jahren zusammen. Sie lernten sich bei einem barrierefreien Segelurlaub kennen. Die zwei werden mir erzählen, wie eine Beziehung läuft, in der ein Partner eine Behinderung hat. Jo sitzt im Rollstuhl. Ich bin aufgeregt. Weil ich neugierig bin und sie ausfragen will – aber unsicher, wie weit ich gehen kann.

Die Beziehungsweisen

In dieser Reihe reden wir mit Partnern über ihre Beziehungsmodelle und alles, was dazu gehört: über Eifersucht und Sexpartys, über Geld und Liebe, über Konflikte und Geheimnisse.

Jo, welche Behinderung hast du? Und ist es okay, wenn ich das so formuliere?

Jo: Ja, ich bin behindert, das kannst du gerne so sagen. Im Alter von drei Jahren wurde bei mir Morbus Morquio diagnostiziert, eine Stoffwechselkrankheit. Sie zeigt sich unter anderem darin, dass ich sehr klein bin. Ich weiß gar nicht genau, wie klein. 

Phil: Ich meine, es sind etwa 93 Zentimeter. 

Jo: Jedenfalls sehr klein – und Phil ist 1,80 groß. Ich benutze einen Rollstuhl und trage Hörgeräte. Außerdem sind zum Beispiel meine Knochen extrem empfindlich. Wenn ich stürze oder mich jemand anstößt, kann es sehr gefährlich werden, meine Knochen brechen leicht. Das ist die Kurzfassung. 

Woher kommt das? 

Phil: Es ist genetisch bedingt. Beide Eltern trugen die Veranlagung in sich und haben sie an Jo weitergeben. Die Krankheit ist sehr selten, genau diese Ausprägung gibt es nur etwa 400 Mal auf der Welt. Jo und ich bemerken es in unserer Beziehung eigentlich nicht mehr – es sei denn, wir führen so ein Gespräch wie jetzt. 

Schon fühle ich mich wie ein Eindringling. Wie jemand, der mit dem Finger auf Sachen zeigt, die für Jo und Phil überhaupt nicht problematisch sind. 

Die Ausprägung der Krankheit gibt es nur 400 Mal auf der Welt.

Phil

Ich hoffe, es ist nicht zu unangenehm für euch, mit mir darüber zu sprechen.

Jo: Nein, gar nicht. Für uns ist die Behinderung natürlich auch immer da, aber sie ist im Hintergrund. Wir schenken ihr nicht wirklich Beachtung. 

Phil: Wir müssen über einige Dinge mehr nachdenken als andere Paare – zum Beispiel bei Urlauben. Jo benutzt normalerweise einen Elektro-Rollstuhl, der hochfahrbar ist, damit sie überall drankommt. Den nehmen wir aber nicht mit in ein Flugzeug, weil das Risiko zu groß ist, dass etwas kaputt geht. Irgendwohin fliegen geht also schon mal nicht. 

Und wie sehr schränkt euch die Krankheit im Alltag ein? 

Phil: Wenn Freunde mit uns essen gehen wollen, fragen wir erst: Wo geht ihr hin? Habt ihr darüber nachgedacht, dass wir von der nächsten Bushaltestelle ohne Stufen dort hinkommen müssen? Viele Leute denken einfach nicht daran – das war bei mir am Anfang auch so. Es hat Jahre gebraucht, bis ich mein Gehirn so weit hatte. Jetzt denke ich immer sofort: Warte, vor dem Laden sind vier Stufen. 

Was macht ihr in so einem Fall? 

Jo: Viele Leute sind der Meinung, ich müsste dagegen protestieren und für barrierefreie Zugänge kämpfen – aber das ist mir zu anstrengend. Ich gehe lieber in Läden, die es schon richtig machen und unterstütze sie mit meinem Einkauf oder Besuch. 

Gibt es dabei einen Unterschied zwischen Deutschland und Großbritannien? 

Jo: In Deutschland haben die Menschen ein besseres Verständnis. Bei Restaurants frage ich normalerweise vorher über Facebook, ob es barrierefrei ist. In Deutschland ist die Antwort: Wir haben eine Rampe, aber keine Behindertentoilette. Oder sie sagen, dass es nicht barrierefrei ist – und entschuldigen sich. In Großbritannien denkt kaum jemand überhaupt an die Toilette. Viele wollen, dass man als Kunde kommt, und sagen, es sei barrierefrei. Und plötzlich sind dort zwei Stufen.

Wir müssen über einige Dinge mehr nachdenken als andere Paare – zum Beispiel bei Urlauben.

Phil

Okay, das ist ätzend. Erlebt ihr darüber hinaus negative Begegnungen?

Jo: Wir waren letztes Jahr in Schottland in einem tollen Restaurant, da kam ein etwa siebenjähriger Junge zu mir und sagte: Du bist komisch. Da war ich wirklich erschüttert. Es war nur ein Kind – aber auch ein Kind sollte es besser wissen. 

Phil: Das war eine Situation, die ich seit Beginn unserer Beziehung erwartet hatte. Ich war immer in Verteidigungsbereitschaft. Die Mutter zog den Jungen weg und hat sich entschuldigt. Aber bei mir. 

Bei dir? 

Phil: Das ist meistens so. Wir nennen es das "Möchte sie Zucker?"-Phänomen. Briten bieten einem ja überall Tee an und dann werde fast immer ich gefragt, ob Jo Zucker möchte. Die Leute denken, dass ich ihr Ansprechpartner bin – das sind wirklich absurde Situationen. 

Was macht ihr dann? 

Phil: Oft nehme ich Augenkontakt mit der Person auf und gucke übertrieben betont auf Jo, um klarzumachen: Ich bin nicht Teil der Unterhaltung, ich stehe nur daneben. 

Jo: Wir können meistens darüber lachen, weil es für uns so idiotisch ist. Wir sind es gewohnt und ich weiß auch nicht, was man dagegen tun kann. Das geht vermutlich zurück auf den Siebenjährigen, der verstehen muss, dass Menschen mit Behinderungen zur Gesellschaft gehören. 

Die beiden haben natürlich völlig recht – aber ich vermute, dass diese Leute einfach überfordert sind. Auch wenn das keine Entschuldigung sein darf. 

In einem Restaurant kam ein etwa siebenjähriger Junge zu mir und sagte: Du bist komisch. Da war ich erschüttert.

Jo

In welchen Situationen brauchst du denn Hilfe – auch von Phil?

Jo: Das meiste kann ich selbst erledigen, und Phil weiß, dass ich ihn sonst frage. Zum Beispiel, wenn ich an eine Sache nicht herankomme oder eine Glühbirne kaputt ist. Aber da fragen vermutlich viele Frauen ihre Männer.

Phil: Genauso gibt es Dinge, bei denen Jo mir hilft. Aber es ist zum Beispiel so, und ich hoffe, das ist kein Fall von "too much information", dass ich Jo die Fußnägel schneide. Für sie ist es sehr schwierig, deshalb mache ich es. Und dann denke ich manchmal: Ach ja, das machen andere Paare vermutlich nicht so.

Jo grinst Phil liebevoll an, und ich finde es total schön, wie offen sie sind. Dann spreche ich etwas an, was ich mich die ganze Zeit frage – bei dem ich aber nicht weiß, ob ich ihnen zu nahetrete. 

Wenn ich fragen darf: Wollt ihr Kinder – und könntet ihr welche bekommen?

Jo: Mein Arzt hat mal gesagt, es sei biologisch möglich, aber körperlich keine gute Idee. Wir wollen beide keine Kinder, von daher ist es kein Thema.

Falls ich noch privater werden kann: Wie stark bemerkt ihr die Krankheit in eurem Liebesleben?

Sie lachen beide, schweigen kurz – und ich frage mich, ob ich zu weit gegangen bin.

Ich schneide Jo die Fußnägel, dann denke ich manchmal: Das machen andere Paare vermutlich nicht so.

Phil

Jo: Natürlich haben wir ein Größen-Problem. Das ist mal ein Fall von "Size matters". Aber wir lassen uns nicht davon abhalten. Da wir keine Kinder möchten, kommt es für uns nicht auf Penetration an. Wir finden andere Wege, das ist für uns kein Problem. 

Wenn ihr euch etwas wünschen könntet – was würde das Leben für euch einfacher machen? 

Jo: Wenn es ein weltweites Gesetz gegen Stufen geben könnte, wäre das großartig. 

Phil: Ich hoffe eher darauf, dass jemand einen Hoverchair entwickelt, mit dem man einfach über allem schweben kann. Es wird niemals passieren, dass plötzlich alle Gebäude flach oder komplett barrierefrei sind. Aber das wäre immerhin eine Möglichkeit.

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