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Narzissten und Corona "Solche Krisen sind wie eine Lupe"

Der Corona-Lockdown verschärft Konflikte in der Partnerschaft - erst recht bei narzisstischen Beziehungen. Was können Betroffene jetzt tun? Eine Psychotherapeutin gibt Rat.
Ein Interview von Almut Siegert

Rund um die Uhr gemeinsam in einer Wohnung, ohne Ablenkung, ohne Freunde: #WirBleibenZuhause ist für viele Paare und Familien wie Weihnachten – bloß ohne Geschenke. Konflikte verschärfen sich, gerade in Beziehungen, die schon vorher angespannt waren. Was kann man tun, damit die Situation nicht eskaliert? Wo findet man Hilfe? Und wie geht es nach der Zeit des Shutdowns weiter? Die Münchner Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki hat sich auf den Umgang mit schwierigen Zeitgenossen spezialisiert.

SPIEGEL: Die ständige Nähe, der fehlende Alltag, die Ungewissheit, wie es weitergeht - was macht das mit Beziehungen?

Wardetzki: Die Möglichkeit, einander auszuweichen und Raum für sich zu finden, ist derzeit für viele Menschen kaum gegeben. Das kann dazu führen, dass unterschwellige Konflikte nicht mehr verdrängt und unterdrückt werden können, sondern aufbrechen. Die seelische und häusliche Gewalt nimmt zu, davon müssen wir ausgehen. Das ist ein trauriger Effekt der Quarantäne. Darauf weisen Berichte aus China hin, laut denen direkt nach der Quarantäne überdurchschnittlich viele Scheidungsanträge gestellt worden sein sollen. Frauenrechtsorganisation berichten von dreimal so viele Beschwerden über häusliche Gewalt.

SPIEGEL: Mit welchen Fragen kommen die Leute zu Ihnen?

Wardetzki: Mit nichts anderem als sonst. Das hängt aber vermutlich damit zusammen, dass ich durch meine Publikationen Ansprechpartnerin für narzisstische Beziehungen bin. Bei den Anfragen, die ich in den vergangenen Wochen hatte, ging es um bereits lange bestehende Probleme, die in der jetzigen Situation aber womöglich noch einmal deutlicher hervortreten.

SPIEGEL: Eh schon belastete Beziehungen werden noch schwieriger.

Wardetzki: Die Quarantäne kann gerade für narzisstische Menschen ein großes Problem sein, weil alle Stützen des Selbstwertgefühls wegfallen. Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstruktur brauchen ja eine permanente Zufuhr von außen, Aufmerksamkeit, Bewunderung. Das hält sie am Laufen. Genau das wird jedoch in diesen Zeiten dramatisch weniger. Es gibt weniger Bestätigung über die Arbeit, über die Kollegen, über Freunde. Die gewohnten Quellen für die Stärkung des Selbstwertgefühls versiegen. Sie empfinden das als sehr große Bedrohung. Die Folge ist eine innere Kränkung. Es kommt zu einer narzisstischen Krise, die zum depressiven Rückzug führen oder in Aggression umschlagen kann. In dieser Zeit ist der Partner, die Partnerin unter Umständen die einzige Stütze, der Einzige, der noch da ist - und einmal mehr für alles herhalten muss. Als Blitzableiter, aber auch als jemand der ständig Bestätigung und Aufmerksamkeit liefern muss.

SPIEGEL: Eine schwierige Situation.

Wardetzki: Ja, deswegen muss man jetzt anfangen, für sich selbst zu sorgen. Nicht nur auf den anderen gucken, sondern auch auf sich. Was brauche ich? Brauche ich Rückzug, mal einen Spaziergang allein? Das kann natürlich einen riesigen Konflikt in so einer Beziehung verursachen. Aber es ist trotzdem wichtig, dass man das für sich in Anspruch nimmt. Denn wenn ich das nicht tue, dann werde ich untergehen.

SPIEGEL: Aber selbst der Anruf bei einer Freundin kann bereits als Provokation aufgefasst werden.

Wardetzki: Ja, es ist häufig so, dass ein narzisstischer Partner enorm eifersüchtig ist, auf jedes Telefonat, auf jede autonome Handlung. Der Freiraum des anderen wird immer mehr beschnitten. An diesem Punkt gilt es, Stopp zu sagen. Hier ist Schluss! Und wenn ich zu Hause nicht telefonieren kann, dann gehe ich raus und außerhalb. Es ist wichtig, alle Möglichkeiten zu nutzen, die man hat, um eigenständig zu bleiben, und sich dabei nicht einschüchtern zu lassen, sondern seine Bedürfnisse und Wünsche zu vertreten.

SPIEGEL: Was kann ich tun, damit es in dieser Ausnahmesituation nicht komplett eskaliert?

Wardetzki: Wer einen narzisstischen Partner hat, kann versuchen, dessen Bedürfnis nach Beachtung und Anerkennung zu erfüllen - aber so, dass es nicht auf die eigenen Kosten geht. Im therapeutischen Kontext nennen wir das narzisstische Unterfütterung. Da, wo es einem nicht schwerfällt, kann man loben, eine gute Idee anerkennen - oder einfach mal das Lieblingsessen zubereiten. Aber das geht natürlich nur in einem gewissen Rahmen und für eine gewisse Zeit. Wenn ich keinen Bock habe, jemanden auch noch zu loben, der wirklich sehr unangenehm zu mir ist, dann sollte ich es auch nicht tun. Aber es gibt ja verschiedene Ausprägungen von narzisstischen Verhaltensweisen und inneren Befindlichkeiten, sodass es in manchen Fällen vielleicht ganz hilfreich für den Moment ist, dem anderen die Anerkennung zu geben, die er gerade so dringend braucht.

SPIEGEL: Wann ist der Zeitpunkt gekommen, die Notbremse zu ziehen?

Wardetzki: Ohne Frage: In der derzeitigen Lage ist es doppelt schwierig, sich zu lösen. Allein, weil das Weggehen gar nicht in Ruhe bedacht und geplant werden kann. Und wohin jetzt? Aber wenn der persönliche Leidensdruck zu groß ist, sollte man nach einer Lösung suchen. Oftmals sind es tatsächlich körperliche Erkrankungen, Schwindelanfälle oder Herzbeschwerden, die Menschen zum Umdenken bringen. Auch vermehrte Infekte oder ständige Unterleibsbeschwerden können ein Warnsignal sein, dass die Situation nicht mehr tragbar ist.

SPIEGEL: Eine Lockerung der Kontakteinschränkungen wird für viele Paare die Situation wieder etwas entschärfen.

Wardetzki: Eine Rückkehr zu mehr Alltag und Normalität nimmt ohne Frage Druck aus der schwierigen Lage. Die Erleichterung kann und sollte man wertschätzen. Wer in einer ausgeprägt dysfunktionalen Partnerschaft steckt, dem hilft es jedoch auf Dauer mehr weiter, die Erfahrungen im Lockdown nicht als Ausnahmesituation abzutun, sondern die Taten und Worte des Partners realistisch zu sehen. Solche Krisen sind wie eine Lupe, die bestehende Probleme noch deutlicher machen. Die Isolation ist für die allermeisten Menschen schwierig. Dafür sollte man Verständnis haben. Aber schädigendes, missbräuchliches Verhalten ist es zu keiner Zeit - das sollte man auch im Rückblick nicht bagatellisieren.

SPIEGEL: Und wie gelingt der klare Rückblick auf das Geschehene?

Wardetzki: Ich empfehle, sich ein paar Notizen zu machen über das, was vorgefallen und gesagt wurde. Hilfreich ist es auch, aufzuschreiben, wie man selbst in dieser Zeit gedacht und gefühlt hat. Diese Aufzeichnungen können später helfen, die Beziehungen nicht zu beschönigen, sondern selbstschützende Konsequenzen zu ziehen.

SPIEGEL: Derzeit diskutieren wir vor allem über die wirtschaftlichen Einbußen und medizinischen Anstrengungen, die die Pandemie uns abverlangt. Was ist mit den seelischen Auswirkungen?

Wardetzki: Ich würde das nicht gegeneinander aufrechnen. Aber tatsächlich sind die seelischen Folgen nicht so offensichtlich. Die schädliche Wirkung, die Einsamkeit, soziale Isolation und emotionale Gewalt auf die Psyche haben, zeigt sich zum Teil erst mittelfristig. Aber wir können sehr wahrscheinlich davon ausgehen: Aufgrund der Coronakrise wird der Versorgungsbedarf wegen behandlungsbedürftigen Depressionen und Angststörungen zunehmen. Wichtig ist, dass Betroffene sich jetzt so schnell wie möglich Hilfe holen.

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