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Rudolf Augstein 0,8

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 45/1967

Der Glaube an die Wirksamkeit von Strafmaßregeln ist in Deutschland unausrottbar. Bund und Länder wollen künftig jeden ins Gefängnis stecken, der sich mit einem Alkoholspiegel von 0,8 Promille an das Steuer eines Autos setzt. Hier wird die staatliche Strafgewalt sich selbst zum Hohn.

Daß es Leute gibt, deren Fahrqualitäten durch drei Schnäpse beeinträchtigt werden können, ist erwiesen. Aber ebenso gibt es Leute, die mit 1,2 im Blut noch voll fahrtüchtig sind; wenn Bundesjustizminister Heinemann das nicht glaubt, kann er seinen Staatssekretär Ehmke fragen.

Also ist es, will man keine einseitigen Sanktionsbegriffe anwenden, ein Unrecht, Leuten die Entwürdigung der Haft anzutun, die keinen anderen Menschen gefährdet haben; nur weil es Fahrer gibt, die weniger vertragen; nur, weil etwas geschehen muß, sei es auch etwas Unsinniges.

Daß die Bestraferei der Milletrinker zwischen 0,8 und 1,3 einen nennenswerten, einen abschreckenden Nutzen stiftet, glauben die Gesetzesmacher selbst nicht. Daß sie mit Gerechtigkeit nichts zu tun hat, wissen sie.

Platz in den Gefängnissen haben sie nicht, in den meisten sind die Verhältnisse schlechthin unwürdig. Im Jahre 1965 wurden 16 500 Autofahrer zu Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, obwohl sie keinen Unfall verursacht hatten, 13 500 saßen bis zu vier Wochen, 2600 zwischen ein und drei Monaten. Will man diese Ziffer erhöhen, und mit welchen psychologischen Erkenntnissen will man die Abschreckung rechtfertigen?

Dies ist eine Bettnässer-Gerechtigkeit. Der Rekrut, der früher das Wasser nicht halten konnte, wurde auf Geheiß des Unteroffiziers verprügelt. Das war höchst gerecht, jedenfalls gerechter, als Leute ins Gefängnis zu schicken, die nicht über ihr Fahrvermögen getrunken haben.

Daß jede Bestrafung eines Alkoholfahrers rechtlich problematisch ist, sollte man niemandem mehr sagen müssen: Solange der Täter noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, hat er die kritische Grenze in der Regel nicht überschritten. Steigt aber der Alkoholspiegel, so nimmt das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit unaufhaltsam ab. Manchmal funktioniert die Bettnässer-Abschreckung, manchmal nicht, meistens eher nicht.

Außerdem wächst ja die Gefährdung nicht unbedingt mit der Menge des genossenen Alkohols. Eine leichte Beschwingtheit von 0,6 Promille kann den Fahrer zu mehr Leichtsinn verführen als eine durchzechte Nacht mit vielleicht 2,4 Promille.

Wenn nun das Abstrafen der Alkoholsünder eh problematisch ist, warum die Prozedur nicht vereinfachen? Hier ein Vorschlag:

Wer in einen Unfall verwickelt war, erst recht, wer einen anderen verletzt oder getötet hat, muß ins Gefängnis, wenn er über 1 Promille im Blut gehabt hat, und zwar ohne Bewährung, schematisch nach Blutprobe. Wer aber keinen Unfall verursacht hat, bei dem genügen in jedem Fall fühlbare Geldstrafen plus Entziehung des Führerscheins. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Menschen reagiert auf empfindliche Geldstrafen und auf die Entziehung der Fahrerlaubnis so, als sei Gefängnis verhängt, das sie absitzen müssen.

Ob 0,8 als Grenzwert nicht in jedem Fall zu niedrig angesetzt ist, darüber streiten sich die sachverständigsten Sachverständigen. Darum bleibt es problematisch, schon bei 0,8 zu bestrafen. Die Lizenz zum Führen eines Motorfahrzeugs hingegen kann durchaus an die -- im Einzelfall vielleicht unbegründete -- Auflage geknüpft werden, mit über 0,8 im Blut nicht zu fahren. Wird die Auflage verletzt, kann die Lizenz entzogen werden, zeitweise oder, im Wiederholungsfall, auch dauernd. Wer bei entzogenem Führerschein fährt, kommt auch bisher schon ins Gefängnis, und das kann so bleiben.

Einheitliche Alkoholwerte müßten für alle Bundesländer festgesetzt werden, und eine einheitliche Straftaxe, durchaus nach Schema, wenn kein Unfall war. Die Geldstrafe müßte sich nach dem Einkommen des Täters richten, das Hin und Her mit Bewährung oder Nicht-Bewährung, mit Begnadigung oder Nicht-Begnadigung könnte bei Tätern, die keinen Unfall verursacht haben, entfallen.

Derart wäre bewirkt, daß nicht Menschen eingesperrt werden, die objektiv niemanden gefährdet haben. Die Gefängnisse wären entlastet, das Verfahren zur Ahndung der Alkoholfahrten vereinfacht.

Freilich, der Sucht, mit Gefängnisstrafen gegen die menschliche Natur anzugehen, hätte man nicht nachgegeben. Darum wird nicht die Vernunft, sondern die Strafjustiz siegen. Bundesjustizminister Heinemann will die Alkoholtäter sogar ausdrücklich von der allgemeinen Bewährungsfrist ausgenommen wissen, die sonst jedem anderen Täter zugute kommen soll, wenn er erstmals zu Gefängnis nicht über drei oder nicht über sechs Monaten verurteilt worden ist.

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