100 SIND ZU VIEL!
Arno Schmidt, 50, Romancier ("Kaff, auch, Mare Crisium"), Übersetzer von Stanislaus Joyce und Edgar Altan Poe und Literaturdetektiv aus Leidenschaft (Karl-May-Studie »Sitara"), ist der Einzelgänger abseits vom deutschen Schriftsteller-Markt der Eitelkeiten. 1
Lesen habe ich nicht in der Schule gelernt, sondern am Robinson und an COOPER's »Lederstrumpf«.
(GERHART HAUPTMANN)
Und da soll MARK TWAIN's 'COOPERs literarisches Sündenregister noch so wunderkerzig kitzeln und funkeln: es steht höchstens Aussage gegen Aussage. Ja, imgrunde nicht einmal das; denn der große Witzbold & Artist hat erst, unter sorgfältigen Verrenkungen, den Standpunkt eingenommen, von dem aus das Oeuvre am schiefsten wirken muß; und schildert uns dann, den Kopf zwischen den Beinen & 1 Auge zugekniffen, wie schief es sei - meist hat er Unrecht, doch nie scheint es so. Eben schickt, sich in Groß=Amerika die Forschung an, in von J. BEARD vorbildlich kommentierten Urkundenbänden ihr zunächst letztes Wort über ein seinerzeit voreilig aus der Beobachtung entlassenes, bedeutendes Objekt zu sagen; und synchron hierzu ist in Klein=Deutschland eine zage COOPER = Renaissance im Gange.
Die hat - bei der Mentalität unsrer Großen Verleger nicht weiter überraschend - originellerweise mit dem 'Leatherstocking' begonnen; und man kann sich zur Zeit aus den Taschenbüchern der Offizinen Rowohlt=Goldmann=Fischer eine komplette Ausgabe der Pentalogie zusammenstoppeln. (Immerhin diene dem Leser zur Nachricht, daß es sich dabei um rechte Imperfektheiten handelt; wovon sogleich ein Näheres.) Den schwierigeren Weg wagte Goverts mit einem ebenso schön=biegsamen wie teuren 'Conanchet' (:'Wishton=Wish'; obwohl ich kein gut Wort für mich Kommentator einlege, wirkt der Worthintergrund des Untertitels doch ungemein käuzchenmäßig, find' ich). Heyne traute sich gar an die 'Littlepage'=Trilogie; leider ist sein Paperback eine Enttäuschung, da um 50% gekürzt, und der Rest hoffnungslos 'bearbeitet'. Für den, der mehr wissen will, bleiben nur die ältlichen Gesamt=Reihen, wie die Kenner sie sich schweigend durch die Jahrzehnte weiterreichen.
Uns Deutschen täte zur Orientierung in der Welt dringend eine bessere Kenntnis der Entstehung von UDSSR und USA not. Nun war zwar unsre Fähigkeit, die Russen nicht zu verstehen, schon immer hoch entwickelt; aber unsre Nachbarn in Abend, die Yankees, leidlich zu begreifen, müßte durchaus möglich sein: gibt es doch JAMES FENIMORE COOPER! Denn der Wert seiner Bücher liegt eben im unvergleichlichen Material, nicht in dessen Verarbeitung; wenn er schon kein moderner Wortlüstling genannt werden kann, so wird man doch solche Summen historischen & kulturgeschichtlichen Details über das Mittelalter der USA schwerlich sonstwo beisammen antreffen.
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In der Nähe dieses Ortes ((Cooperstown)) wohnte früher ein Mann, der als Verfasser einer Reihe von Romanen bekannt ist, in denen er die Absicht hatte, Geschichte, Sitten, Gebräuche und Gegenden seines Vaterlandes getreu zu schildern.
(COOPER, 'Notions', 14. Brief)
Daß man im 5=bändigen, über 20
Jahre hindurch entstandenen 'Lederstrumpf' hat 'Brüche' rügen wollen, ist läppisch & boshaft; dergleichen weist schließlich Alles auf, was nicht das Diarrhöeproduktlein 1 Stunde ist, und der korrekte Ausdruck wäre 'Craquelée'. Freilich ist es für Angehörige der Lumbeck=Kultur nicht einfach, einen Vertreter des nullten Standes, wie diesen 'Natty Bumppo' ganz unausgepfiffen passieren zu lassen; scheint es doch selbst mir, der ich urkundlich belegbar besten Willens bin, wie wenn alle diese 'Archetypen' - Faust, Ahasver, Parzival, Nachsommer=Heinrich - hauptsächlich ein großes gemeinsames Band umschlösse, nämlich a general disinclination to work of any kind. Das däucht mir unrealistisch.
Ansonsten fühle ich - dito entwichen in Absolituden, wo sich andauernd=ähnlich Graue Neutra und die Gaspantomimen von Tiefdruckausläufern zusammenläppern - dem Falkenauge wirklich=täglich nach; (riefen doch auch mir die Kinder in Ahlden einst hinterher: »De schrieft Allns op!"). Ich begreife mindestens ebenso gut wie STIFTER (der COOPER im 'Hochwald' begeistert plagiiert hat) schlechthin Alles: die 'Grands Arbres' seiner Wälder; das 'Siebzehn sind zu viel!' (nämlich Nachbarn); vor allem aber die endlosen Halde=Weiten eben dieser just neugebackenen 'Prärie' - ah, Flachland & Nachschlagewerke; da kriegt man doch noch Luft! Meinem Urteil nach hat Fischer das beste Fünftel der Serie erkiest; als junger Mensch hätte ich vielleicht den 'Wildtöter' vorgezogen. Schlimm, wie immer, sind die Nebenfiguren! Je nach Leselaune machen sie entweder den Eindruck wahrhaft transzendentaler Albernheit ('Dr. Battius'!); in wohlwollenderer Stimmung den von SHAKESPEARE=Clowns im Ardennerforst. Die beiden Haupt=Helden - Typen, mit denen COOPER zeit seines Lebens nicht fertig geworden ist - sind einmal jener 'Waldgänger'; und dann aber gleich Ismael Busch, der prä=kommunistische 'Squatter'.
Das eindrucksvollste ist mir stets der (stilisierte) Rundumhorizont gewesen: eine planetengroße Ebene, mit Gräsern & wohlraschelnden Kräutern bestanden; und ein Summen geht um, vom Hufschlag schattenhafter Rohrfedergestalten SLEVOGT'scher Indianer, an ihrer Spitze jener 'Petelasharoo'=Hartherz, dem COOPER einst bis Washington hinterher reiste, um ihn noch exakter zu porträtieren, (auch sein Kismet war es anscheinend, Alles aufschreiben zu müssen). Fast immer ist relativ 'schlechtes Wetter': sehr sympathisch; ich bin nicht für riante Gegenden, (und mein Lieblingsstück im 'Struwwelpeter' war stets die Geschichte vorn 'Fliegenden Robert' - die Literatur wirkt doch beträchtlich auf unser Leben ein). Ein weiterer, dem Gourmand unverächtlicher Reiz besteht darin, die Wirkungen eines bei uns wie billig gänzlich ungekannten Buches zu verfolgen; nämlich der Reise von LEWIS & CLARKE quer durch Nordamerika zur Mündung des Columbia - mag man die Achseln noch so spöttlich zucken; es bleibt dennoch ein Buch wie HOMER! Ihm verdankt ein Großteil der 'Prärie'=Staffage ebenso ihr Dasein, wie die im 'Julius Rodman' POE's; und nichts kann interessanter sein, als diese 3 Stücke und ihr Zusammengepaschtes miteinander zu konfrontieren. Das Original also ein permanentes Gemisch aus Windespfeifen & Grasgewischel; das, wer es einmal vernommen hat, nicht mehr missen möchte.
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sô wê dir, tiuschiu zungel (WALTHER v.d. Vogelweide)
COOPER's Stil ist bereits zu seiner Zeit als so nahe der unteren Grenze des noch Passablen empfunden worden, daß er fast platt gescholten wurde - er muß es werden, in dem Augenblick, wo der Übersetzer versagt! Das Original umfaßt 1 Million Buchstaben; ergo hat, infolge der 'Einsilbigkeit' des Englischen, der bekannte 'Schmidt'sche Vergrößerungsfaktor' (Achtung: Honorarberechnung!) zur Anwendung zu kommen, der bei bester literarischer Juwellerarbeit immer noch 1,10 beträgt. Es gibt kein sichereres Mittel, um Übersetzungen aus dem Englischen grob zu testen: wenn er darunter liegt, hat man gekürzt; ist er höher, verwässert. Da im vorliegenden Fall 1,1 Millionen Anschläge herauskommen, wird man die erste Garantie haben, daß nichts gestrichen sei, kein i=Pünktchen, kein u=Hütchen; bong. Wie aber steht es mit der Übersetzung selbst?
Da wird, gleich in der 2. Zeile der 1. Seite die kaptiose Frage gestellt, ob es »politisch weitsichtig sei, die weiten Striche« Louisianas zu erwerben: müssen wir es zweimal hören? Also da weiß ich sofort, was ich weiß. (Zumal da geschrieben stehet: 'concerning the policy of adding the vast regions'.) /S. 27 wird eine Steppenkulisse mit abendlichem Bodennebel aufgebaut; über ihr 'the pale, quivering & deceptive light from a new moon'; laut Fischer »das bleiche trügerische Licht des eben aufgegangenen Mondes«. Nun ist 'Der Mond' notorisch meine Domäne, und ich gedenke keinen Bönhasen damit Schindluder treiben zu lassen; also betone ich, daß sich im Original - einmal abgesehen davon, daß COOPER 3, Fischer nur 2 Adjektive hat - eine sinkende, jung=bleiche Mondsichel im Westen ergeht; während in der Übersetzung im Osten ein Vollmond pausbackt! Gesichert durch Seiten wie 39, 'the moon had fallen', wofür Fischer nur »verschwunden« setzt: neenee; das 'gesunken' ist damit unterschlagen! Wie in Vorahnung solcher Verdrehung erkundigt sich Busch denn auch entrüstet: 'or ist there no virtue in moonlight?' - angeblich (S. 66) »oder man könnte nichts bei Mondlicht sehen.«; was in Wirklichkeit ja heißt: 'oder ist auf den Mond kein Verlaß mehr?'. Ich habe nichts gegen Lügen; aber ich hasse Unakkuratesse! / 'Masses of herbage' sind nicht »Unkrautbüsche« (41). / 'Waste' durch »Wüste« (58) wiederzugeben ist flusig; da Deutschen prompt Saharamäßiges einkommen dürfte, während hier 'Einöde', allenfalls 'Wüstenei' gemeint ist.
Die Gesamtzahl dieser faulen 'Näherungen' wird meiner Schätzung nach rund 3000 betragen; wodurch das Ganze den lehmigen Klang einer, von einem professionellen Taschenbücherrevisor, nach einer defekten Vorlage 'in die Maschine angesagten' Parafrase bekommen hat. COOPER muß als undiskutabler Stümper wirken: was er nicht ist! Alle seine, doch recht präzisen Bilder, erscheinen hier unscharf, wie mit dünner Kalkmilch übertüncht; die Situationen sind alle irgendwie 'erhalten', sicher, aber eben nur trübe, wie durch ein Glasauge gesehen. Kurzum, um mit klaren Worten profund zu werden: man hat uns wieder einmal hereingelegt. Eine »wohlerwogene Auswahl«, die »ungekürzte, sorgfältig herausgegebene, bedeutende Texte vereinigt« ... dem Verleger wurde anscheinend selbst etwas unheimlich, da er dies schrieb (worauf er es sogleich in Steinschrift setzen ließ). 100 EXEMPLA CLASSICA? Kaum;
allenfalls 99.
Schmidt
Fischer
Bücherei
Frankfurt
448 Seiten
4,80 Mark