VERBRECHEN 1000 Euro für den Killer
An dem Morgen, an dem er tötete, schwitzte Raphael B. stark. Die Luft war drückend an diesem 6. Juni des vergangenen Jahres, und der 21-Jährige war sehr aufgeregt.
Kaum erwacht, öffnete Regina H. die Glastür zu ihrer Wohnung einen Spalt, nachdem Raphael B. gegen Viertel vor acht geklingelt hatte. Der junge Mann rammte der ihm völlig fremden Frau sofort ein Küchenmesser in die Brust, den Hals. Zwölfmal stach er zu. Die Frau klammerte sich noch ans Treppengeländer, dann brach sie auf dem Steinboden im Hausflur zusammen.
Ihr Vermieter, ein älterer Herr, der im Erdgeschoss wohnt und im Bett gerade Radionachrichten hörte, schreckte durch ihre Hilfeschreie hoch. Er stürzte ins Treppenhaus. B. schleuderte das Messer in seine Richtung und floh. Er rannte durch Guxhagen, warf dabei sein blutiges Hemd weg, seine Mütze und auch das zerrissene Tuch, mit dem er sich den Schweiß abgewischt hatte. Als er um die Ecke der Knüllstraße bog, verstummten Regina H.s Schreie für immer.
Nachbarn hegten sofort einen Verdacht: Zwar passe die Täterbeschreibung überhaupt nicht auf den getrennt lebenden Ehemann Uwe H., aber der könne ja jemanden beauftragt haben - einen Profikiller.
Inzwischen ist die Kasseler Staatsanwaltschaft überzeugt, dass die Nachbarn Recht hatten: Über einen nun ebenfalls angeklagten Vermittler, den Letten Ints Z., soll der Ehemann Uwe H. den Killer angeheuert haben - und der soll Regina H. laut eigenem Geständnis für nur 1000 Euro Lohn getötet haben.
Diesen Montag beginnt vor dem Kasseler Landgericht der Prozess gegen Raphael B. und die beiden anderen Angeklagten - wäre nicht ein Mensch gestorben, so wäre die Anklage eine Groteske.
Fast 25 Jahre lang hatten Regina und Uwe H. nach außen hin eine Musterehe geführt. Der Gatte, ein Kaufmann, saß im Elferrat des Karnevalsvereins von Guxhagen, einem 5000-Einwohner-Ort bei Kassel. Dort ist er als lustiger Kerl in Erinnerung und als geschäftstüchtig. Ehefrau Regina besorgte den Haushalt, ansonsten zog sie die beiden älteren Töchter auf, heute 28 und 24, und vor allem das Nesthäkchen, die nun neunjährige Nathalie.
Weniger geordnet sah es zu Hause bei Raphael B. im nordrhein-westfälischen Dormagen aus. Dessen Eltern waren geschieden, den stets etwas zerzaust aussehenden Jungen plagt bis heute eine Behinderung, die ihn dauernd zucken lässt.
Der Vater schämte sich für seinen behinderten Sohn und zertrümmerte vor Wut schon mal eine Dachlatte auf dessen Rücken. Erst im zweiten Anlauf schaffte der Sohn den Hauptschulabschluss, auf weitere Arbeit hatte er bald »keine Lust« mehr: Raphael B. lebte in den Monaten vor der Tat von Sozialhilfe in einer nach Urin stinkenden Ein-Zimmer-Wohnung zwischen Müll, Zigarettenkippen und Klamottenbergen. Seine Tage verbrachte er an der Play-Station und vor dem Fernseher, die Stunden ließ er kiffend an sich vorbeiziehen. Auch Kokain und Ecstasy nahm er bisweilen.
Raphael B. leidet, so eine Gutachterin, unter dem, was Psychologen eine Ich-Schwäche nennen. All diese unschönen Wörter, die mit »un« beginnen, attestiert sie ihm: Er sei unbeholfen, unselbständig, unfähig, Nein zu sagen. Genau das habe sich der Anstifter zu Nutze gemacht, argumentiert deshalb Raphael B.s Anwalt, der Düsseldorfer Strafverteidiger Wolfgang Zick, während Z.s Anwalt Werner Momberg das für eine Schutzbehauptung hält.
B. sei weder schwachsinnig noch sonst »seelisch abartig«, schränkt die Gutachterin ein. Er habe erkennen müssen, was die Tat bedeute. Doch B. behauptet, er habe eben nur daran gedacht, einem Freund einen Gefallen zu erweisen.
Der mitangeklagte Freund Ints Z. wird das Bindeglied zwischen der Familie in Hessen und dem mutmaßlichen Täter in Nordrhein-Westfalen. Raphael und Ints gehen gemeinsam zum Fußball oder an den Rhein grillen. Der Ältere sei für ihn Freund, Vaterersatz, großer Bruder, »all so was«, sagt B. Vor allem aber ist Ints Z., was er nie sein wird: gewinnend, unternehmungslustig, zupackend.
Der heute 28-jährige Lette, 1995 nach Deutschland eingereist, wie B. arbeitslos und wegen einer Kleinigkeit vorbestraft, prahlte immer gern mit seiner Zeit bei einer lettischen Spezialeinheit, von ruhmreichen Tagen beim Militär - die es freilich nie gab. Raphael spürte, dass Ints ihn anlog. Aber er verzieh; er hatte nicht viele Freunde.
Solche Angebereien des Letten, glaubt man den Ermittlern, sollen auch Ehemann Uwe H. beeindruckt haben. Der Lette war mit H.s Nichte liiert. Seine Darstellung belastet den Familienvater schwer: Demnach suchte H. im Frühjahr plötzlich intensiveren Kontakt zu ihm. Der Kaufmann soll schon beim dritten Treffen gefragt haben, ob der Lette nicht jemanden kenne, der mit Mord »umgehen« könne. Die alten Spezialeinheitskontakte eben, die Russenmafia, wie auch immer. Er müsse nämlich seine Frau loswerden, denn die betreibe die Scheidung - und das würde teuer.
Kurz darauf habe H. ihm 500 Euro in Scheinen zu 20 Euro zugesteckt, sagt Ints Z., wohl um ihn zu verpflichten. Jedes Mal, wenn sie sich fortan sahen, habe H. gedrängelt, was nun sei: oder ob er mit seinen Kontakten zum Milieu vielleicht nur angegeben habe?
Z. entgegnete, es koste 10 000 Euro, einen Killer zu engagieren. Und nach eigenem Bekunden hoffte er, so in Ruhe gelassen zu werden. Aber der Ehemann ließ nach seiner Aussage nicht locker. Er brauche unbedingt einen Killer - und er könne nur 1000 Euro zahlen. Musste die Frau also sterben, weil der Einwanderer nicht als Hochstapler enttarnt werden wollte? Vieles spricht laut Anklage dafür. Ints Z. hatte in dieser Phase freilich ein Problem: Wo nur sollte er den vermeintlichen Profikiller auftreiben, zumal für 1000 Euro?
Beim Autowaschen sprach er Raphael B. laut dessen Aussage wie zufällig an. Er brauche Hilfe bei einer »großen Sache«. Und diese große Sache sei ein Mord. Der junge Mann will das zunächst für einen »blöden Scherz« gehalten haben, für eine der Aufschneidereien. Sein Freund soll dann aber immer wieder gefragt haben, ob ihm niemand für einen Mord einfalle, so B. Und dann bot B. mehrfach an zu helfen: Er selbst könne das erledigen.
Der Ehekrieg in Guxhagen näherte sich da dem Höhepunkt. Schon lange wusste Regina H., dass ihr Mann seit mehr als zehn Jahren eine Geliebte hatte. All die Streitereien, wie sie Außenstehenden so absurd erscheinen, aber die begründet liegen in der Wut über verlorene Jahre, füllten nun die Scheidungsakte. Es ging um angeblich gestohlene »kreisförmige Lampen«, um ruinierte Gardinen, um Handgreiflichkeiten. Und ganz besonders ging es um die jüngste Tochter, die das Amtsgericht Melsungen der Mutter zugesprochen hatte. Weil das Ehepaar drei Apartments an der Ostsee besitzt sowie ein Haus in Guxhagen, drohte die Trennung für den Mann zudem teuer zu werden. Freunde bekamen mit, dass er ständig bei ihr anrief und vor der Tür stand. »Der wollte sie zerstören«, erinnert sich ihre beste Freundin Vera Christ.
Die Scheidung stand im Sommer vorigen Jahres kurz bevor - und damit der Zahltag. Deshalb soll Uwe H., der bis Prozessbeginn zu den Vorwürfen nichts sagen wollte, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft den tödlichen Plan geschmiedet haben. Er habe sich in dem Glauben sicher gewähnt, ein Profikiller irgendwo aus Osteuropa werde sein Problem mit einem perfekten Mord lösen und dann spurlos in den Weiten des Ostens verschwinden. Von dem tapsigen Burschen aus Dormagen, der 1000 Euro brauchen konnte und ein wenig Anerkennung unter Kumpeln, ahnte er offenbar nichts.
Das von der Polizei sichergestellte verschwitzte Tuch, der nahe dem Tatort gefundene Zugplan über eine Fahrt von Düsseldorf nach Kassel, das zurückgelassene Messer und auch das Phantombild nach Angaben des Vermieters: Raphael B. hätte genauso gut seinen Personalausweis vor Regina H.s Wohnungstür legen können.
Am Morgen kurz nach der Tat lag Uwe H. seelenruhig neben seiner Geliebten und drehte sich im Bett noch mal um - mit einem nahezu perfekten Alibi. Der Lette Ints Z. angelte in der Eifel, wohin er mit seiner Freundin gefahren war. Auch er konnte sich sicher fühlen. Nur Raphael B., der 1000-Euro-Dussel, setzte sich in Guxhagen zurück in den Zug Richtung Dormagen.
Vera Christ, die Freundin der Getöteten, fuhr an diesem schwülen Donnerstag an dem Haus vorbei. Polizisten in Schutzanzügen standen in der Einfahrt, es sah aus wie im »Tatort«-Krimi. Als Christ hörte, dass ihre Freundin tot sei, rief sie weinend: »Das Schwein!« Der Rest war für die Fahnder ein Kinderspiel. DOMINIK CZIESCHE