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100445301111- das Schlimmste von King Kong?

Eine Nummer für jeden Bundesbürger -- das sieht ein neues Meldegesetz vor, das am 29. November im Bonner Parlament beraten werden soll. Abgeordnete furchten, daß das zwölfstellige Einwohner-Kennzeichen als Nachschlüssel zur Privatsphäre der Bürger mißbraucht wird: Die Nummer erleichtert den Zugang zu persönlichen Informationen in den Computern von Staat und Wirtschaft -auf Knopfdruck könnten Angaben über Intelligenz und Gesinnung, Einkünfte und Sexualverhalten aller Bürger abgerufen werden. Droht eine Dossier-Diktatur?
aus DER SPIEGEL 48/1973

Computer-Hersteller künden vom Paradies auf Erden, mit »blauem Himmel, reinem Wasser und grünen Städten«. Eitel Glück winkt laut Univac dem, der Univac-Anlagen nutzt -- »damit viele besser leben können«.

Rettung aus Umweltschmutz und Unwissenheit. Erlösung von Armut und Angst verheißt IBM seiner Kundschaft. Der Elektronik-Gigant verspricht »das Leben lebenswerter und die Umwelt menschlicher« zu machen -- »Computer helfen denen, die helfen«.

Als schier allmächtig preist Deutschlands Denkmaschinist Siemens seine Produkte. Die Weltfirma kann schon »morgen Ihre Aufgabe lösen -- so alltäglich oder außergewöhnlich diese Aufgabe auch sein mag«.

Schritt für Schritt, bit für bit ginge demnach auch die Bundesrepublik einer goldenen Zukunft entgegen. Heute schon summen in Westdeutschland rund 15 000 der elektronischen Heilsbringer -- nirgendwo in der Welt, außer in den USA, gibt es mehr; allein in Bayern stehen mehr Computer als in ganz Afrika.

* Beim Verfassungsschutz in Köln.

Dennoch, die Verheißungen der Elektronik-Industrie wecken nicht mehr allein Zuversicht. Mit dem Vormarsch der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) mehren sich vielmehr die Stimmen von Fachleuten, die der frohen Botschaft der Computer-Konzerne düstere Zukunftsvisionen entgegenhalten.

Volker Hauff, 33, ehemals EDV-System-Ingenieur bei IBM und heute Parlamentarischer Staatssekretär im Bonner Technologie-Ministerium, sieht ein Zeitalter heraufziehen, wie es Aldous Huxley in seiner »Schönen neuen Welt« und George Orwell in »1984« beschrieben haben. »1984 ist«, fürchtet Hauff, »keine ferne Utopie.«

Für »mindestens so wichtig wie die Gefahren der. Kernenergie« hält der renommierte Frankfurter Rechtsprofessor Spiros Simitis, 39, die Bedrohung durch den Computer. »Elementare Rechte des einzelnen«, warnt Simitis in der »Neuen Juristischen Wochenschrift«, »stehen ebenso auf dem Spiel wie Fundamentalbedingungen einer demokratischen Gesellschaft«

Was den Politiker wie den Professor und etliche ihrer Kollegen schreckt, ist der Alptraum von einer entseelten, bis zum Terror rationalisierten Computergesellschaft, in der die Herrschenden in mächtigen Elektronengehirnen speichern lassen können, was über einen jeden ihrer Staatsbürger bekannt ist -- ein System, das die britischen Fachautoren Malcolm Warner und Michael Stone schon vor Jahren als eine »Mischung vom Schlimmsten aus Frankenstein und King Kong« beschrieben.

Welche dieser Visionen für die Bundesrepublik Wirklichkeit wird, wieviel Heil und wieviel Hölle -- oder ob nur eins von beiden -- der Computer über die Bundesbürger bringt. ob die unbestrittenen Vorzüge überwiegen werden oder die unübersehbaren Gefahren: Darüber steht jetzt in Bonn eine wichtige Vorentscheidung an.

Am 29. November berät das Parlament in erster Lesung zwei Gesetzentwürfe, die wenig beachtet worden sind, aber wie kaum ein anderes Paragraphen-Werk die elektronische Zukunft der Republik bestimmen werden:

* ein »Bundesmeldegesetz«, das die computergerechte »Nummerung« aller Bürger mit Hilfe eines zwölfstelligen Personenkennzeichens (PK) vorsieht -- das PK (Beispiel: 100445301111) soll laut Bundesinnenministerium dem Staat und der Wirtschaft »auf einfache Weise die Sortierung von großen Datenbeständen ermöglichen":

* ein »Bundes-Datenschutzgesetz«, das -- laut Paragraph l

die Aufgabe haben soll, »personenbezogene Daten vor Mißbrauch bei der Datenverarbeitung zu schützen und dadurch der Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange der Betroffenen entgegenzuwirken«.

Ob das Gesetzespaket eher Chancen denn Risiken birgt, ist in der Fachwelt strittig. Zwei ungleiche Gruppen ringen um Einflußnahme auf die geplanten Regelungen: auf der einen Seite die breite Front der Computer-Interessenten, von den Vertretern der Elektronik-Industrie bis hin zu den EDV-Experten der staatlichen Bürokratien. weitgehend unterstützt von Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, dessen Beamte die Gesetzentwürfe fertigten; auf der anderen Seite einzelne Verbrauchervertreter und Gewerkschaftsfunktionäre. Wissenschaftler und Parlamentarier.

Die einen räumen ein, daß -- so Freidemokrat Genscher -- -- mit steigender Elektronisierung theoretisch auch »die Gefahr einer Entartung unseres Sozialstaates zu einem Termitenstaat« wachse. Das vorgesehene Datenschutzgesetz jedoch, versichern sie, werde schon dafür sorgen, »daß schwerwiegende Schäden gar nicht erst eintreten« (Genscher).

Die anderen hingegen fürchten, daß die vorgesehene Regelung Entwicklungen einleite, deren Gefährlichkeit »den Großen Bruder noch in den Schatten« stellt -- so der Erlanger EDV-Jurist Dr. Ruprecht Kamlah. Im Bonner Datenschutz-Entwurf sehen die Skeptiker nichts als ein »Feigenblatt-Gesetz« -- so Wolfgang Burhenne, Geschäftsführer- der überparteilichen »Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft« (IPA), in deren »Kommission für Fragen der EDV« sich Abgeordnete aus Bund und Ländern mit Fragen des Computer-Rechts befassen.

Ursache solchen Unbehagens ist die wachsende Tendenz zum Datenaustausch und zur Datenanhäufung, die nach Ansicht der Kritiker die EDV zu einer Gefahr werden läßt, die »mit der Umweltverschmutzung vergleichbar« (IPA-Burhenne) ist. »Der Endpunkt«, sagt West-Berlins Innensenator Kurt Neubauer, »wird eine zentrale Datenbank sein, in der die Bürger und alle ihre Daten erfaßt sind.« Diese Entwicklung wird zweifellos beschleunigt, wenn Bonn -- wahrscheinlich 1976 -- das Personenkennzeichen einführt: Individual-Daten aus verschiedenen Speichern lassen sich dann ohne Mühe kombinieren.

Schon heute gilt auch für die Bundesrepublik, was Univac-Vizepräsident J. Presper Eckert 1970 für die USA konstatierte: »Wir hätten bereits jetzt genug Rechen- und Speicher-Kapazität, um die Privatsphäre jedes Mitbürgers vollständig zu durchdringen«

In einer Untersuchung über »Datenbanken und Persönlichkeitsrecht"** kam auch der Bonner Jurist Dr. Ulrich Seidel, Lehrbeauftragter für EDV-Recht, zu dem Ergebnis: »Die befürchtete »Untertanen-Kartei«, die Auskünfte über Vorstrafen, Gesundheitszustand, Bildungsgrad, private Verhältnisse, Beteiligung an Demonstrationen und Geheimdienstbeurteilungen gibt, ist zum

* Auf einem vom Deutschen Gemeindetag vorgelegten Entwurf eines neuen Personalausweises (Originalgröße).

** Ulrich Seidel: »Datenbanken und Persönlichkeitsrecht«, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln; 202 Seiten: 42 Mark.

erstenmal in der Geschichte der Menschen technisch möglich geworden.«

Staatliche Computer -- beim Postzeitungsdienst und in den öffentlichen Bibliotheken -- könnten schon heute darüber Auskunft geben, wer welche Zeitungen und Bücher bevorzugt. In kommunalen Karteien und Dateien wird zuweilen vermerkt, wer zur Bundestagswahl die örtliche Kandidatenliste der DKP oder NPD unterschrieb (so geschehen in Oldenburg) und wer sich davor drückt, sein Wahlrecht auszuüben (so geschehen in Köln).

Computerbekannt wie die Weltanschauung von Millionen Bundesbürgern sind Details aus ihrer Arbeitswelt und ihrer Freizeit: Wo sie ihren Urlaub verbracht »haben, wieviel Miete sie zahlen, ob sie oft oder selten den Arbeitsplatz wechseln, ob sie ihren Teilzahlungsverpflichtungen regelmäßig nachkommen, ob sie an Krebs leiden, welche Schallplatten sie lieben, ob sie Alimente zahlen müssen, wieviel Kubikmeter Wasser sie pro Monat verbrauchen, ob sie eine Mischehe führen, welche Farbe ihre Augen haben, welchen Wagentyp sie bevorzugen und ob sie eine arabische Großmutter haben -- es ist gespeichert in den EDV-Anlagen von Reiseunternehmen -- Kreditinstituten, Arbeitsbehörden, Versandhäusern, Universitätskliniken, Schallplattenringen, Banken, Stadtwerken, Rathäusern, Eheanbahnungsfirmen, im Flensburger Kraftfahrt-Bundesamt und im Kölner Ausländerzentralregister.

Außer Zweifel steht, daß nach einem totalitären Umsturz, wie CDU-MdB Otto Schmidt schon 1968 warnte, die »neuen Machthaber« sich diesen Umstand leicht zunutze machen könnten. Ein Diktator brauchte, so Schmidt, »nur auf einen Knopf zu drücken, um den einzelnen Bürger mittels Computer durchsichtig zu machen«.

Doch immer häufiger taucht neuerdings unter Computer-Kennern der Verdacht auf, daß eine Dossier-Diktatur auch ganz undramatisch errichtet werden könnte. »Ohne daß auch nur im geringsten die Verwaltung oder einer ihrer Beamten entfernt totalitäre Absichten hätte«, meint der Regensburger Informatik-Professor Wilhelm Steinmüller in einem Rechtsgutachten für das Bundesinnenministerium. könnten sich in einer hochcomputerisierten Demokratie Effekte einstellen. »die der Beobachter von außen nicht von den Auswirkungen totalitärer Systeme unterscheiden kann«

Fatale Folgen ergäben sich schon dann, wenn lediglich auf Rationalisierung bedachte Bürokraten jene Personen-Daten zusammenfassen oder austauschen würden, die bislang auf Dutzende von Behörden verstreut und daher oftmals schwer zugänglich sind. »Der Staat«, formuliert der Erlanger EDV-Jurist Kamlah, »ist nur deshalb nicht allwissend, weil viele seiner Behörden die Informationen nicht kennen, die anderen Behörden zur Verfügung stehen.«

Über jeden Bürger 300 verschiedene Einzelangaben.

Wenngleich mancher Computer-Philosoph von einer gleichsam gläsernen Zukunftsgesellschaft träumt, in der nicht nur, wie in Schweden, die Gehälter, sondern auch das Intimleben offengelegt werden könnten, weil der Mensch sein Menschsein nicht mehr zu verbergen brauche -- noch herrscht unter Juristen die Ansicht vor, daß ein gewisser Schutz der Privatsphäre sehr wohl vonnöten sei. Allerdings ist »Privatsphäre« nach Meinung Rechtskundiger kein ein für allemal exakt abzugrenzender Bereich. Steinmüller: »"Privatsphäre« wandelt sich in die Zielvorstellung, relativ zur einzelnen Verwaltungskompetenz nur das jeweilige Informationsminimum zur Verfügung zu stellen,«

Der Hamburger CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Klaus Lattmann faßt solches Rechtsempfinden in die Worte: »Der Beamte, der meinen Wagen zuläßt, muß nicht unbedingt wissen, daß ich zwei uneheliche Kinder habe.« IPA-Geschäftsführer Burhenne: »Es darf einfach nicht sein, daß irgendwer auf den Kopf drückt und ich vollkommen nackend vor ihm stehe.«

Die Gefahr solcher Enthüllungen wächst. Überall in der Bundesrepublik entstehen staatliche oder kommunale Rechenstellen und Gebietsrechenzentren. Fachdatenbanken und Landesämter für Datenverarbeitung, deren Computer das Wissen vieler Behördensparten und -stufen vereinen und die von schreibmaschinengroßen »Terminals« aus in Sekundenschnelle über das Telephon-, Telex- oder Datex-Netz der Post angezapft werden können.

Die Gefahren der Denk-Roboter. von Science-fiction-Autoren seit Jahrzehnten beschworen, haben damit ihr Gesicht verändert: Als Modell des Big Brother erscheint nicht mehr das kompakte Elektronik-Monster, das sich in Hollywood-Filmen mit blecherner Stimme und blinkenden Augen den Planeten untertan macht, sondern eher eine verstreute Vielzahl handelsüblicher EDV-Anlagen, deren Inhalte durch Ringschaltungen übertragbar sind.

Zum Großen Bruder könnten sich mithin die Landes-Datensysteme auswachsen, die derzeit mit Millionenaufwand in den westdeutschen Provinzen installiert werden -- wie etwa in Bayern, wo nach Angaben der CSU-Regierung eine Zentrale entstehen soll, »über die auf sämtliche im Netz der Datenverarbeitungsanlagen der öffentlichen Verwaltung Bayerns gespeicherten Daten entweder unmittelbar oder mittelbar zugegriffen werden kann«; Datenschützern wie dem Heidelberger Rechtswissenschaftler Adalbert Podlech erscheinen Teile der bayrischen EDV-Pläne als »verfassungsrechtlich unzulässig«.

Und schon drängen Bonner Bundesbürokraten gar darauf, alles vorhandene Computer-Wissen von Staat und Wirtschaft in einem einzigen Datenbanksystem anzusammeln: Eine 15köpfige Arbeitsgruppe von Regierungsbeamten hat detaillierte »Vorschläge für die Planung und den Aufbau eines allgemeinen arbeitsteiligen Informationsbankensystems« vorgelegt.

Auf 1116 Seiten gibt das dreibändige Werk darüber Auskunft, wie die Zellen dieses gigantischen Nationalhirns, das praktisch alles Wissen über Gott und die Welt aufnehmen soll, gegliedert sein könnten. Nur mit der Theologie hatten die Regierungsgutachter Schwierigkeiten: Im zweiten Band, Seite 210, erwägen sie, »Gott« unter »Absolutes« abzulegen -- jedoch: »Gibt es ein solches nicht, dann fällt dieser ganze Bereich (zu dem in früheren Zeiten etwa auch die Engel, auch die Gestirne gehörten) weg.«

Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, daß viele der Informationen zentral abgerufen werden können, die bereits heute in den einzelnen Datensammlungen gespeichert sind. Allein in Hessens Ämtern, ergab eine Umfrage für den Wiesbadener Landtag, liegen über jeden Bürger »rund 300 verschiedene Einzelangaben« vor. »Mit fortschreitendem Alter«, weiß der Kölner Soziologie-Professor Erwin Kurt Scheuch, »hinterläßt der Mensch eine immer breiter werdende Papierspur, die vom Computer gelesen und ausgewertet werden kann.«

Schon was in den ersten Sekunden eines Menschenlebens geschieht, halten EDV-Anlagen fest: Ob Frühgeburt oder Steißgeburt -- die Computer der Kassenärztlichen Vereinigungen konservieren es ein Menschenleben lang.

Schulen archivieren die Ergebnisse frühkindlicher Intelligenztests und alle Zeugnisnoten. Bremen beginnt, seine Schülerdaten elektronisch zu speichern; andere Bundesländer werden folgen. An Berufsschülern werden Psycho-Tests vorgenommen, deren Fragen tief in die Privatsphäre reichen -- Beispiel: »Ich denke zuviel über geschlechtliche Dinge nach.«

Mit dem Beginn des Berufslebens wächst das Computer-Wissen rapide an: Finanzamt, Sozialversicherung, Krankenkasse. Wer zudem etwa in der »Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend« gegen die derzeitige Berufsausbildung agitiert, hat gute Chancen, in das »Nachrichtendienstliche Informationssystem« ("NADIS") zu geraten, das derzeit vom Bundesamt für Verfassungsschutz« vom Bundesnachrichtendienst und vom Militärischen Abschirmdienst aufgebaut wird; der Verfassungsschutz erfaßt seit Februar 1971 mit einer IBM-Anlage vom Typ 360/40 und seit Juni dieses Jahres mit dem System IBM 370/155 mehr als zwei Millionen »biographische und ortsbezogene Grunddaten«.

»Ich schätze ein Märchen höher als ein Gewehr.«

Ob jemand mit -18 den Wehrdienst verweigert oder als Freiwilliger zur Bundeswehr geht -- Militär-Archive halten das ebenso fest wie die Musterungsdaten und die Intelligenz-Quotienten der Rekruten. In »diesem Sommer ließ Bonn zudem die Seelenlage der Armee erkunden: In 55 Ausbildungseinheiten wurden Tausenden Soldaten 393 Intimfragen gestellt, vom Drogenkonsum bis zur Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs. Auf den Interview-Bögen vermerkten die Wehr-Psychologen die Personenkennummer der Befragten.

Wer sich um einen Studienplatz in einem der überlaufenen Fächer wie Medizin oder Pharmazie bewirbt, wird mitsamt seinen Noten in den Computern der zentralen Vergabestelle der Kultusminister in Dortmund katalogisiert. In einigen Städten liegen darüber hinaus computergerecht aufbereitete Angaben über die politische Gesinnung der Studenten vor -- so in Hamburg, wo die hochschulamtliche »Beratungsstelle für Studenten« rund 20 000 Studierende »in Ihrem eigenen Interesse« aufforderte, vor der Immatrikulation einen achtseitigen »Einstellungs und Interessen-Fragebogen« auszufüllen. Auszüge:

Ich glaube, daß ein großes Maß an Freiheit wichtiger ist als gute Manieren und Achtung vor dem Gesetz ... a) stimmt, b) unsicher, c) stimmt nicht.

Weil es nicht immer möglich ist, Dinge schrittweise durch vernünftige Methoden zu erledigen, ist es manchmal notwendig, Gewalt anzuwenden -- a) stimmt, b) dazwischen, c) stimmt nicht.

Ich schätze ein schönes Märchen höher als ein präzises Gewehr ... a) ja b) unsicher, c) nein.

Dazu mußten die Studenten zwar nicht ihren Namen, aber Geschlecht, Geburtsdatum, Postleitzahl des Geburtsorts. Familienstand und Studienfach angeben -- Informationen, die mit Computerhilfe Rückschlüsse auf Identität und Radikalität der befragten Jungakademiker ermöglichen.

Seit die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen haben, politische Extremisten vom öffentlichen Dienst fernzuhalten, läßt etwa die Landesregierung in Mainz über jeden einzelnen Bewerber ein Computer-Formblatt mit geheimdienstlichen Beurteilungen ausfüllen.

In Hessen: der einzige Datenschutzbeauftragte der Welt.

Auch Staatsdiener entgehen den behördlichen Datensammlern nicht. Über Hunderttausende von Bundes- und Landes-Bediensteten samt ihren Angehörigen sind aus den obligaten Fragebogen zur »Überprüfung der Zuverlässigkeit in sicherheitsmäßiger Hinsicht« alle Lebenslauf-Details bekannt -- von »lückenlosen Angaben« über sämtliche Auslandaufenthalte bis hin zu den Wohnsitzen der Verlobten »in den letzten zehn Jahren«.

Und unablässig entstehen neue Datenbanken. in West-Berlin baut der Bund derzeit für 37 Millionen Mark ein »Bundeszentralregister« auf. Bürger, die einmal wegen Geistesschwäche« Drogensucht oder Alkoholismus »nicht nur einstweilig« in eine Anstalt eingewiesen wurden, werden in den Berliner Computern ebenso registriert wie politisch oder kriminell Vorbestrafte und einstige Fürsorgezöglinge -- »trotz energischer und wissenschaftlich wohlbegründeter Einsprüche« ("Deutsches Ärzteblatt") vieler Fachleute.

Das Wiesbadener Bundeskriminalamt (BKA) installiert unterdessen ein bundesweites Computer-System namens »KRIPOLIS«, dem das Fachblatt »Kriminalistik« nachsagt. es habe »wegen seiner unauffälligen schleierartigen Verbreitung im ganzen Land und an den Grenzen die Wirkung eines maschendichten Schleppnetzes«. Die EDV-Polizisten sind derzeit dabei, »Milliarden und Milliarden von Daten« (BKA-Chef Horst Herold> zu verarbeiten; die entstehenden Polizei-Informationssysteme, »mit partiellem Anschluß der Staatsanwaltschaft«, werden »praktisch die Mehrzahl aller Bundesbürger erfassen« (Steinmüller).

Nicht einmal mit dem Tode reißt die papierne Spur ab, die jeder Lebende hinterläßt: Die Computer westdeutscher Großstädte wissen nicht nur, ob ein Bürger Hundehalter oder Waffenträger, Angler oder Abonnent des Stadttheaters ist -- auch Angaben über die Grabstelle auf dem städtischen Friedhof werden elektronisch archiviert: Lage, Größe, Klasse, Zustand, Vertragsende.,

Lediglich in einem einzigen westdeutschen Bundesland, in Hessen, versucht eine unabhängige Instanz, die Bürger vor dem Mißbrauch solcher Daten zu schützen: Ende 1970 verabschiedete der Wiesbadener Landtag ein »Datenschutzgesetz« und setzte als bislang einziges Parlament der Welt einen »Datenschutzbeauftragten« ein, den sozialdemokratischen Ex-Staatssekretär und einstigen Bundestagsabgeordneten Willi Birkelbach.

Hessens »Computer-Zerberus«, wie ihn das SPD-Blatt »Demokratische Gemeinde« nennt, sucht seither beispielsweise zu verhindern, daß die politische Polizei oder der Verfassungsschutz sich aus öffentlichen Bibliotheken Listen von Entleihern bestimmter politischer Literatur beschaffen -- Schnüffelbräuche, wie sie in den USA seit langem üblich sind. Eine von Birkelbach inspirierte Klausel im »Anwendungshandbuch« für die hessischen Gebietsrechenzentren, Unterabteilung Bibliothekswesen, soll gewährleisten, »daß keine individuellen oder individualisierbaren Leserprofile hergestellt werden«. Detektei-Daten

für den Verfassungsschutz?

Keinerlei Einfluß freilich kann Birkelbach -- zuständig allein für den staatlichen Bereich -- auf die Computer der Privatwirtschaft nehmen. Dort aber, in den Kundendateien und Personalkarteien, in den Detekteien und Auskunfteien, sammeln sich mittlerweile Datenbestände, die in ihrem Umfang denen des Staates kaum nachstehen.

In Großunternehmen beispielsweise testen Betriebspsychologen immer häufiger Intelligenz und Begabung, Hilfsbereitschaft und Anhänglichkeit, sexuelle Triebe und seelische Nöte des Personals. Umfassende Psycho-Profile, die sich computergerecht in wenigen Ziffern zusammenfassen lassen, können Auskunft über die Ausprägung Dutzender von Eigenschaften geben -- in welchem Maße ein Mitarbeiter etwa »sensibel«, »loyal«, »aktiv-dynamisch«, »pedantisch« oder »aggressiv« ist. Und es ist gang und gäbe, daß Personaldaten zumindest unter Schwesterfirmen, manchmal aber auch -- über sogenannte »Schutzvereinigungen« -- in ganzen Branchen herumgereicht werden.

Ebenso »vogelfrei«, klagt Dr. Gabriele Erkelenz von der Bonner Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher, sind Angaben, die Kunden Firmen gegenüber machen -- auf Bestellscheinen und Rätselcoupons, in Kreditanträgen und Kaufverträgen. Kundenkarteien, einst sorgsam gehüteter Firmenschatz, sind -- ohne Einwilligung der Betroffenen -- zum begehrten Handelsobjekt geworden, seit Werber und Marktforscher, auf feinste Streuung ihrer Botschaften bedacht, das Volk immer sorgfältiger in Zielgruppen zerlegen.

Vertrieben werden die Daten über das Konsumverhalten der Bundesbürger von speziellen Adressenverlagen, die immer häufiger die Möglichkeit nutzen, die schon seit langem betriebene Selektierung von Personenangaben nun mit EDV-Einsatz zu erweitern und zu beschleunigen. Die Gütersloher »Adressen-Zentrale« ("A-Z") beispielsweise offeriert der werbenden Wirtschaft Angaben über »praktisch alle privaten Haushaltungen der BRD und West-Berlins

Der Ettlinger Anschriften-Verlag Donnelley & Gerardi -- Tochterunternehmen von Dun & Bradstreet, der größten Auskunftei der Welt -- preist in seinem 256-Seiten-Katalog »über 60 Millionen Adressen« an -- aufgegliedert in Gruppen wie »61 000 Teilnehmerinnen eines Kurses über Charme und Schönheit«, »40 000 Postkäufer von Bandscheiben-Sitzkissen« oder »1 100 000 Kunden eines Versandhauses für Ehehygiene«.

Die Einbecker »Merkur Direktwerbegesellschaft« bietet -- neben vielem anderen -- an:

20000 Käufer von Rheuma-Kuren. Ein Personenkreis, der außerordentlich hohe Beträge für die genannten Kuren aufgewendet hat.

125 000 Zahnprothesenträger.

30 000 Privatpatienten aus Bad Ems. Eine Personengruppe mit hohem Einkommen und nicht unbedeutendem Vermögen.

»Wir müssen«, sagt Westdeutschlands Direktwerber-Verbandschef Heinz Fischer, »eines Tages so weit sein, daß wir unseren Kunden die Anschriften von allen Grauhaarigen liefern können oder von allen Männern, die den Bart links tragen«

Wenn erst der bargeldlose Zahlungsverkehr vollends Selbstverständlichkeit geworden ist, stehen der kassenlosen Gesellschaft noch mehr Daten ins Haus -- dann könnte es, so der EDV-Jurist Seidel, sogar möglich sein, daß »über eine Datenbank ermittelt wird, wer die Miete des Mädchens im Appartement nebenan bezahlt hat, wer am Dienstagabend im Night-Club verkehrte, welche Geschäfte jemand betreten hat und welche Dienstleistungen in Anspruch genommen wurden« -- der Bürger werde dann »in der Tat transparent«.

Durchsichtig sind schon heute jene Millionen von Westdeutschen, die auf Pump leben. Selbst wer Kleinkredite beantragt, muß in der Regel im Kredit. antrag Auskunft über Scheidungen und Grundbesitz, Abzahlungsverpflichtungen und frühere Zahlungsbefehle erstatten und, so ein Neckermann-Formular, »auch über (seinen) Tod hinaus alle Ärzte, Versicherungsträger, Krankenanstalten, Behörden usw.« zum Bruch der Schweigepflicht ermächtigen.

Dem Antragsteller bleibt zumindest in Notsituationen, so Simitis, »nichts anderes übrig, als sich dem Fragenkatalog zu fügen« und Informationen zu erteilen, deren Verbleib er nicht kontrollieren kann. Nur wenige wissen von der »Tendenz der Banken, Erfahrungen auszutauschen und Informationen zu koordinieren« (Simitis), und dem Brauch von Handelsunternehmen, selbst abgelehnte Kreditanträge zu sammeln und »Listen von unzuverlässigen und faulen Kunden« weiterzugeben (so der »Rat des deutschen Handels").

In dem vom Handels-Rat gepriesenen »Dreiecksverhältnis Handelsunternehmen -- Kreditinstitut -- Auskunftei« kommt dem dritten Partner der wichtigste Part zu: Die Wirtschaftsauskunftei »Creditreform« etwa erteilt jährlich mehr als fünf Millionen Auskünfte. Die Wiesbadener »Vereinigung der deutschen Schutzgemeinschaften für allgemeine Kreditsicherung e. V.« (Schufa) kann ihren Anschlußfirmen, vor allem Geldinstituten, aber auch der Polizei mit Dossiers über fast jeden zweiten Bundesbürger dienen.

Dabei sind die individual-Informationen, mit denen die meisten der rund 500 westdeutschen Auskunfteien und Detekteien handeln und die dem Betroffenen oft »wie ein Schatten anhängen« (Kamlah), nach dem Urteil etwa der Düsseldorfer Kundenkreditbank »vielfach nur bedingt zuverlässig«.

Nicht ohne Grund befürchten die britischen EDV-Autoren Warner und Stone für Westeuropa Zustände wie in den USA, wo manch einer ein »neues Auto nicht auf Kredit kaufen kann, weil er sich irgendwann einmal geweigert hat, eine nicht bestellte Zeitschrift zu bezahlen«. Überdies scheint sich in der westdeutschen Schnüffel-Branche der Trend abzuzeichnen, zunehmend Politisches zu registrieren.

Akten über 20 000 vermeintlich verdächtige Bundesdeutsche führt beispielsweise die nach eigenen Angaben »größte private Abwehrorganisation Europas«, die Kasseler G. & F. Mihm OHG ("Ermittlungen, Beobachtungen, Aufklärungen"). Firmenchef Mihm, der noch 1969 im Auftrage der NPD arbeitete, einen Lügendetektor betreibt und seine Erkenntnisse auch dem Verfassungsschutz anbietet, hat sich auf »Industrieschutz« spezialisiert: »Wir schauen scharfen Auges nach links.«

Doch so gespenstisch manchem die sich anbahnende »Goldfischglas-Gesellschaft« (Birkelbach) auch erscheinen mag -- unter Verwaltungsfachleuten in Wirtschaft und Behörden ist die Notwendigkeit des EDV-Einsatzes bei Mas-

* Ausnüchterungszelle in Hamburg.

sen- und Routinearbeiten unumstritten. Die automatische Verarbeitung auch »personenbezogener Daten« erscheint Datenschützern unbedenklich, sofern alle Angaben rechtmäßig gesammelt, sicher gespeichert, nur von den jeweils Befugten eingesehen, mit Zustimmung des Betroffenen weitergegeben und rechtzeitig gelöscht werden. --

Nur wird in der bundesdeutschen Praxis allzuoft gegen eine oder mehrere dieser Forderungen verstoßen -- und häufig sogar gegen alle.

Ein Kommissar verkaufte dienstliche Informationen für 3500 Mark.

Ob Computer-Daten rechtmäßig gesammelt wenden, ist juristisch oft strittig. Zumindest Zweifel wecken etwa die Methoden, mit denen viele Unternehmen ihre Personal-Informationssysteme füttern: Eingegeben, gespeichert und womöglich nach Jahren an befreundete Firmen weitergegeben werden unter anderem jene Daten, die vor der Anstellung von Bewerbern »freiwillig erzwungen« wurden (so Verbraucherfunktionärin Gabriele Erkelenz). Große Firmen fragen, wie EDV-Jurist Kamlah kritisiert, auf ihren Einstellungsbogen beispielsweise »nach allen Vorstrafen eines Bewerbers, auch nach denen, die der beschränkten Auskunft unterliegen«.

Dabei sind sogar heikle Daten nur selten ausreichend gesichert. »In manchen Betrieben«, spottet der Bonner EDV-Unternehmensberater Rainer von zur Mühlen, »braucht man nur einen weißen Kittel überzuziehen und kann schon ungehindert an das Datenarchiv und an die Maschine heran.«

Bislang zwar sind in Westdeutschland Fälle von Datenkriminalität nur vereinzelt offenbar geworden -- so 1972, als Angestellte des Versandhauses »Quelle« beschuldigt wurden, EDV-Material mit 327 500 Adressen von Sammelbestellern gestohlen zu haben, um es über Mittelsmänner für 164 000 Mark an das Pforzheimer Konkurrenzunternehmen Klingel verkaufen zu lassen; so letzten Monat, als ein Hamburger Kriminalkommissariatsleiter zu einem Jahr Freiheitsentzug mit Bewährung verurteilt wurde, weil er unter anderem dienstlich bezogene Informationen aus den Datensammlungen der Krankenkassen und der »Schufa« für insgesamt 3500 Mark an einen Privatdetektiv verkauft hatte.

Der Frankfurter Univac-Datenschutzexperte Adolf Hauter aber ist sicher, daß »ein weiteres Ansteigen von Vertrauensschäden« zu erwarten sei. Und Harvard-Jurist Arthur R. Miller glaubt gar, daß bald Datenbank-Überfälle durch das »organisierte Verbrechertum«, »raffinierte Schnüffelprogramme« von Geheimdiensten und »sogar Dunkelfirmen, die »Daten gegen Dollar« anbieten, durchaus im Bereich des Möglichen liegen« werden.

Aktueller und akuter freilich ist die Gefahr, daß behördliche Daten auf scheinlegalem Wege in falsche Hände geraten. Denn Gelegenheit, die rechtliche Zulässigkeit von Amtshilfe-Ersuchen fremder Ämter zu beurteilen, bietet sich im EDV-Zeitalter kaum einem Beamten mehr, wenn von einer anderen Dienststelle aus einem gemeinsamen Informationssystem auf direktem Wege ("on line") Daten abgerufen werden können.

Viele Behörden und auch Politiker scheinen den Persönlichkeitsrechten der Bundesbürger ohnehin eher lax gegen-Überzustehen. Anders läßt sich kaum die Unbekümmertheit erklären, mit der immer häufiger -- oft durchaus im Einklang mit Gesetzen -- amtliche Personendaten weitergereicht werden.

Die Post gibt über ihre Deutsche Postreklame GmbH die Anschriften ihrer Kunden preis -- vom Briefmarkensammler bis zum Telex-Nutzer, aufgegliedert nach Bar- und Girozahlern. Das Flensburger Kraftfahrt-Bundesamt stellt den Autoadressen-Verlegern Kraftfahrer-Daten zur Verfügung. Datenschützer Birkelbach weiß, daß auch Anschriften von Examenskandidaten an Versicherungen und Bausparkassen »tapfer verkauft« werden.

Westdeutschlands Staatsdiener haben, kritisiert Jurist Seidel, die im Grundgesetz festgelegte Amtshilfe längst »zu einer Wirtschaftshilfe für private Gewerbebetriebe ausgedehnt«. Es nimmt denn auch kaum wunder, daß der Einbecker Merkur-Verlag in seinem Katalog unter den Kennziffern 1104 bis 1107 anbietet, auch Anschriften »lediger Strafgefangener«, »lediger ehemaliger Fürsorgezöglinge«, »lediger ehemaliger Kinderheimzöglinge« und »lediger Mütter« zu vermitteln.

Statistische Landesämter finden nichts dabei, interessierten Gemeindebeamten auf Wunsch Angaben über örtliche Scheidungsfälle (Gründe, Prozeßparteien, Aktenzeichen) mitzuteilen. Finanzämter versorgen, gemäß Bundesausbildungsförderungsgesetz, regelmäßig die Hochschulen mit persönlichen Daten über Einkommen und Vermögen der Studenten und ihrer Eltern.

Unbehagen bereiten vielen Datenschützern auch die westdeutschen Polizei-Computer, deren Mißbrauch keineswegs ausgeschlossen ist. Praktisch überall kann, so weiß der hessische Ex-Landesanwalt Hans-Joachim Reh, von Polizisten »durch Fernabruf abgefragt werden, ob eine bestimmte Person vom System erfaßt ist und welche Merkmale über sie gespeichert sind« -- und schon ein einziger bestechlicher Beamter genügt, um Erpresser oder Schnüffler mit mannigfaltigem Material zu versorgen,

Dabei handelt es sich bei den Polizeiinformationen »vielfach um Bewertungen und Beurteilungen, die mehr oder weniger stark von der subjektiven Einstellung des Ermittlungsbeamten abhängen, und um Vermutungen und Verdächtigungen« (Reh) -- Stichwörter: »geisteskrank«, »gewalttätig«, »Simulant«, »süchtig«. Rechtslehrer Steinmüller kritisiert die »rein repressive Ausgestaltung« der Polizeidateien, in denen es kein »geplantes Vergessen« gebe -- der Jurist sieht darin einen »Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Sicherungen der Strafprozeßordnung oder der Menschenrechtskonvention«. »Allen Schulkindern die Fingerabdrücke abnehmen.«

Nicht minder bedenklich stimmen die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, daß die Polizei mit Computerhilfe technisch in der Lage wäre, auch Daten aus polizeifremden Anlagen auszuwerten. In externen Datenbeständen haben Westdeutschlands Polizisten schon in der Vergangenheit wiederholt geschnüffelt. So durchblätterten zum »Bundesfahndungstag« 1968 Hunderte von Polizeibeamten -- wie zuvor auch schon Verfassungsschützer -- die Karteien diverser Ortskrankenkassen nach den Namen gesuchter Straftäter. Solche Polizei-Aktionen -- damals lösten sie Proteste aus -- würden sich in der EDV-Gesellschaft per Datenfernübertragung schnell und lautlos vollziehen lassen.

Bislang haben in Westdeutschland noch am ehesten Richter Wachsamkeit gegenüber derlei Praktiken bewiesen. So untersagte Anfang dieses Jahres der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof einer Landespolizeidirektion. über einen Freiburger Studienreferendar -- gegen den alle Verfahren eingestellt worden waren -- weiterhin erkennungsdienstliche Unterlagen zu speichern, die nach einer verbotenen Demonstration entstanden waren. Es verstoße gegen die Menschenwürde, argumentierten die Richter, »Material

über die persönlichen Verhältnisse eines Bürgers ohne eine besondere, rechtsstaatlich relevante Notwendigkeit aufzubewahren«.

Das Personenkennzeichen wird zur begehrten Handelsware.

Doch viele Beamte scheinen gar nicht daran zu denken, derlei Daten zu vernichten; ihnen ist, im Gegenteil. offenbar an einer Art Superpersonalakte über jedermann gelegen. »In einigen US-Staaten«, schwärmt Kiels Landeskriminalamtschef Harald Magnusson, »werden allen Kindern bei der Einschulung legal die Fingerabdrücke abgenommen und gespeichert. Ich bin für eine solche Volksdaktyloskopie.«

Solche Sehnsüchte nach immer mehr. immer intimeren Informationen bestätigen amerikanische Erfahrungen. die Datenschutz-Professor Arthur R. Miller auf die bündige Formel bringt: »Im gleichen Maße, wie die Informationsspeicherung billiger und besser wurde, vergrößerte sich der Appetit der Behörden auf Daten und die Neigung, dieses Aktenmaterial zu zentralisieren und zu vergleichen.«

Diese Regel gilt freilich für die Privatwirtschaft ebenso wie für den Staat. Und so scheint schlüssig, daß in beiden Bereichen auf die Dauer auch der Ap-

* Oben: im Bundeskriminalamt; unten: aus dem »Krimisialpolizeilichen Informationssystem Schleswig-Holsteins«; der Dossierauszug enthält unter anderem Angaben über Haftbefehle (hb), den Grund der Ausschreibung (ga), verschlüsselte Tätermerkmale (mk) und »Grundangaben« über Straftaten (gr).

** Die ersten sechs Ziffern stellen das Geburtsdatum dar. In der siebten Stelle weist eine Schlüsselzahl auf Geschlecht und Geburtsjahrhundert hin. Die nächsten vier Ziffern bilden eine Serien- und Zählnummer, mit der alle am gleichen Tage geborenen Personen gleichen Geschlechts unterschieden werden. Die zwölfte Ziffer, eine Prüfzahl, wird bei jeder Anwendung oder Übermittlung maschinell errechnet und dient dazu, Obertragungsfehler zu erkennen.

petit auf die Daten des jeweils anderen wächst -- daß sich mithin ein »Trend zum privat-staatlichen Verbund« (Steinmüller) abzeichnet.

Bislang stand einem solchen Verbund ein technisches Hindernis im Wege: Ohne einheitliche Personenkennzeichen können Individualdaten aus verschiedenen Speichern nur unter Schwierigkeiten kombiniert werden -- Name und Anschrift genügen oft nicht zur Kennzeichnung einer Person.

Diese letzte technische Barriere vor der totalen Erfassung der Bundesbürger freilich wird fallen, wenn Bonn das Bundesmeldegesetz verabschiedet. Datenschützer rechnen damit, daß die Ausgabe des zwölf stelligen Personenkennzeichens (PK)** zwangsläufig zu einer bislang ungeahnten Konzentration und Verknüpfung von Personendatenbeständen führen wird.

Amerikanische und skandinavische Erfahrungen bestätigen solche Befürchtungen. In Schweden ist das PK bereits zur äußerst begehrten Handelsware geworden, und in den USA hat sich die Sozialversicherungsnummer zum »national identifier« entwickelt -- sie taucht mittlerweile auch auf Führerscheinen, Kontoauszügen und Studentenausweisen auf und ermöglicht somit die elektronische Kombinierung diverser Datenbestände. Ein »Alibi-Gesetz«

mit unverbindlichen Klauseln.

Das US-Sozialministerium, dem »die Furcht vor einem Standard-Universal-Identifizierungsmittel gerechtfettigt« erscheint, fordert daher neuerdings eine gesetzliche Regelung, nach der -- von fest umrissenen Ausnahmen abgesehen -- niemand gezwungen werden darf, seine Sozialversicherungsnummer preiszugeben.

Ein »national identifier« aber scheint exakt das zu sein, was westdeutsche Rationalisierungsfachleute von Handel und Industrie und Numerierungsexperten staatlicher Bürokratien anstreben. »Die Wirtschaft«, weiß Genscher, »hat die Möglichkeit, das PK als allgemeines Geschäftszeichen zu verwenden.«

Schon 1970, als dieses »größte Automatisierungsvorhaben des Bundes« (Innenministerium) erstmals in der Bundesrepublik diskutiert worden war, hatte sich den Befürwortern erschlossen, daß das PK politisch nur durchgesetzt werden kann, wenn gleichzeitig ein »Datenschutzgesetz« verabschiedet wird. Aufgeschreckte Parlamentarier begannen zu ahnen, welche Gefahren beispielsweise der Einsatz regierungseigener »Machterhaltungscomputer« mit sich bringen könnte, die mit Angaben über den sozialen Status und über politische Verhaltensweisen aller Bürger gefüttert sind.

Die besorgten Abgeordneten, die sich in ihrer Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft (IPA) mit der Datenschutz-Problematik befaßten, begriffen bald, daß lediglich mit technischen Sicherungsvorkehrungen, wie die Computerindustrie sie empfiehlt, den drohenden Gefahren kaum begegnet werden kann: Die handelsüblichen Vorrichtungen wie Hauptspeicherschutz, Blattschreiber-Protokolle, Kennungsgeber, Schlösser und andere Schreib- und Abfragesperren sind allenfalls dazu geeignet, Unbefugten den Zugang zu Datensammlungen zu erschweren. Wer jedoch befugt und wer unbefugt sein soll, bestimmte Personendaten zu sammeln, zu verarbeiten oder weiterzugeben, müsse der Gesetzgeber regeln.

In einem eigenen Entwurf, der im Bundestag freilich nie diskutiert wurde, setzten sich JPA-Mitglieder -- angeführt von den Abgeordneten Dichgans (CDU), Hirsch (SPD) und Kirst (FDP> -- schon 1971 dafür ein, daß jedem Bürger ein Auskunfts- und Berichtigungsrecht zusteht und daß Daten aus privaten Sammlungen nur mit Einwilligung der Betroffenen weitergeleitet werden dürfen*.

Die erste Lesung dieses Entwurfs, angesetzt für Januar 1972, wurde von Genschers Innenministerium mit der Bitte um Geduld blockiert -- statt dessen präsentierte die Regierung im Frühsommer dieses Jahres eigene Vorschläge, die sich freilich wie eher unverbindliche Klauseln ausnehmen. Burhenne: »Ein Alibi-Gesetz.«

So sollen die Bestimmungen des Gesetzes nur dann angewendet werden

* Eine Reihe von Ausnahmeregelungen sieht der IPA-Entwurf für Nachrichtendienste, Pressearchive, das Bundeszentralregister und für Personalakten vor, die nicht einem Informationssystem eingegliedert sind.

können, wenn bestehende oder künftige Spezialvorschriften -- von Rechtsverordnungen bis hin zu Gemeindesatzungen -- dem nicht entgegenstehen. Diese »doppelte Subsidiarität« schafft, so Steinmüller, ein »System legislativer Durchbrechungen«.

Über die unternehmenseigene Datenverarbeitung der Privatwirtschaft soll nicht etwa ein unabhängiger. beispielsweise vom Parlament bestellter Datenschutzbeauftragter wachen, sondern ein, wie Jurist Steinmüller spottet, »Datenschutzknecht": ein vom jeweiligen Computer-Herrn eingesetzter Beauftragter. Steinmüller: »Wenn der mal was sagt, fliegt er rau&« in der öffentlichen Verwaltung soll als Kontrolle allein die bereits bestehende behördeninterne Aufsicht ausreichen, »Berechtigte Interessen der Bürger vernachlässigt.«

Solche »Selbstkontrolle der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft« widerspricht nach Ansicht Steinmüllers freilich »der mehrhundertjährigen Entwicklung der Staatstheorie und Verfassungspraxis in den westlichen Ländern« der »einhelligen Meinung« aller einschlägigen Sachverständigen und »sämtlichen bekanntgewordenen Gesetzen, -entwürfen und -vorhaben zum Schutz der Privatsphäre« in westlichen Ländern.

Für ebenso verhängnisvoll wie die geplante Selbstüberwachung halten die Kritiker des Genscher-Entwurfs die gesehene Regelung der Daten-Weitergabe: Personalchefs und Kreditagenturen, Auskunfteien und Adressenhändler sollen Privatangaben aus fremden kommerziellen Datenbanken schon beziehen dürfen, wenn sie »ein berechtigtes Interesse an ihrer Kenntnis glaubhaft dargelegt« haben. Dann kommt es nicht mehr darauf an, ob »schutzwürdige Belange des Betroffenen« beeinträchtigt werden, wie sie wenigstens Berücksichtigung finden, wenn Anfragen an nichtkommerzielle Datenbanken (etwa an Personalinformationssysteme) gerichtet werden.

»Hier macht sich« rügt denn auch die Verbraucher-Vertreterin Gabriele Erkelenz, »der Staat zum Handlanger privater Interessen.« Der DGB-Bundesvorstand kann »den Eindruck nicht verhehlen, daß der Entwurf den Schutz von Datensammlung und -verwertung höher Eichtet als den Persönlichkeitsschutz« --

»Sensationellerweise -- (Steinmüller) völlig ausgenommen von den Regelungen der Regierungsvorlage sind nationale und multinationale Wirtschaftsunternehmen jeglicher Größe, sofern sie interne Informationssysteme betreiben -- nach Ansicht von LPA-Experten »eine folgenschwere Schlechterstellung der Arbeitnehmer«. Ausgespart von den Datenschutzvorschriften des Genscher-Entwurfs bleiben auch Daten in »Akten« und »Aktensammlungen« -- was nach Meinung der IPA etwa den Detekteien mannigfache Möglichkeiten zur »Umgehung des Gesetzes« bietet.

Obendrein verlangt der Entwurf Datenschutz nur dann, wenn er »zumutbar« ist; das heißt, wenn seine »Schutzwirkung in einem angemessenen Verhältnis zu dem Aufwand steht«, den er verursacht (Paragraph 4). Die IPA wendet dagegen ein, daß »richtigerweise« der grundgesetzliche Persönlichkeitsschutz »Schranken für die ungezügelte Rationalisierung« setzen müsse -- »und nicht umgekehrt«.

»Verfassungsrechtliche Bedenken« bringt die IPA dagegen vor, daß der Regierungsentwurf die Regierung »ermächtigt« zu regeln, was im einzelnen »zumutbar« ist. Das Gesetz selber sei voller »Generalklauseln«, »Leerformeln« und »unbestimmter Rechtsbegriffe«.

Anders als in den USA, so monieren die Interparlamentarier weiter, werden deutsche EDV-Nutzer nicht dazu verpflichtet, »Datenverwendungsprotokolle« zu führen und Betroffenen Auskünfte daraus zu erteilen. Auch in dieser Gesetzeslücke sieht die IPA einen »Rückzug« des Genscher- Ministerium »vor dem Druck der Verbände«.

Trotz so offensichtlicher Mängel scheinen die IPA-Abgeordneten wenig zuversichtlich. mit wirksamen Datenschutzbestimmungen die Stellung des Bürgers gegenüber den computerisierten Bürokratien der Zukunft sichern zu können: Die Innenminister der Länder stehen hinter dem Entwurf, und »die Fraktion der Beamten ist«, sagt Burhenne, »in allen Parlamenten sehr groß« --

Dennoch hält Datenschützer Burhenne es nicht für ausgeschlossen. daß der Kabinettsentwurf »den Bach runtergehen« könnte. Bonns Sozialdemokraten jedenfalls scheint die einmütige Kritik der Fachleute nicht unbeeindruckt zu lassen. Vor allem in der SPD-Bundestagsfraktion, in Gerhard Jahns Justizministerium und unter hessischen Genossen wächst das Unbehagen am Kabinettsentwurf. Im Bundesrat hat Wiesbadens Ministerpräsident Albert Osswald schon im Sommer moniert, bei der Genscher-Vorlage würden »berechtigte Interessen« der Bürger »vernachlässigt«.

Auf der anderen Seite freilich stehen die bundesdeutschen Computer-Interessenten, die sich weitgehend darin einig sind, daß die Forderung »Datenschutz kommt vor Datenfluß« (Osswald) nicht Gesetz werden darf. Selbst Genschers Entwurf. der kaum Minimalforderungen verwirklicht. wird erbittert bekämpft.

Vereint kritisieren die einschlägigen Interessenverbände, dieses »Schwindlerschutzgesetz« (Bund Deutscher Detektive) habe »Schlagseite zugunsten des individuellen Bürgers« (Zentraler Kreditausschuß). bringe »nur Ärger« (Rechenzentren-Verband), löse »Kostenlawinen« aus (Rat des deutschen Handels), führe zur »Behinderung des freien Marktes« (Ausschuß für wirtschaftliche Verwaltung) und regele, kurzum, »Materien. die der Regelung nicht bedürfen« (Verband der Handelsauskunfteien).

Angesichts solchen Drucks zweifeln Fachleute daran, daß es gelingen wird, den Bürger -- wie Birkelbach fordert -- »vor beliebiger Durchleuchtung zu schützen« --

»Das wird«, weiß Hessens Datenschutzbeauftragter, »ein ziemlicher Kampf sein.

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